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Mitbestimmter Aufsichtsrat: Maßgebliche Mitarbeiterzahlen im Konzern und im Gemeinschaftsbetrieb

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Deutschland zählt zu den Ländern, in denen Arbeitnehmervertreter Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen können (sog. Unternehmensmitbestimmung). Dieses System der Mitbestimmung soll die soziale Verantwortung der Unternehmen fördern und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ermöglichen.

In unseren Blogbeiträgen vom 25. Oktober 2023 und vom 29. März 2023 haben wir bereits die gesetzlichen Grundlagen im Überblick beleuchtet. Im folgenden Beitrag geht es um die Schwellenwerte für die zwingende Einrichtung eines mitbestimmten Aufsichtsrats nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) und dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG), insbesondere um die Zurechnung von Arbeitnehmern anderer Konzerngesellschaften.

Wann gibt es einen mitbestimmten Aufsichtsrat?

Die Regelungen des DrittelbG und MitbestG gelten grundsätzlich für die inländischen Rechtsformen der AG, KGaA, GmbH, eG, VVaG (nur DrittelbG) und Kapitalgesellschaft & Co. KG (nur MitbestG) ab einem Schwellenwert von in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern (DrittelbG) bzw. mehr als 2.000 Arbeitnehmern (MitbestG).

Wie erfolgt die Schwellenwertberechnung?

Als Arbeitnehmer im Sinne des Schwellenwertes zählen:

  • Arbeitnehmer im Sinne des § 5 BetrVG (leitende Angestellte werden nur im Anwendungsbereich des MitbestG mitgezählt),
  • Leiharbeitnehmer, sofern die Einsatzdauer 6 Monate übersteigt (hierbei ist eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung maßgeblich, also nicht die Einsatzdauer eines konkreten Individuums),
  • im Ausland tätige Arbeitnehmer, sofern die Auslandstätigkeit lediglich vorübergehend erfolgt.

Es gilt ein Pro-Kopf-Prinzip, d.h. auch in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer werden als ein Arbeitnehmer mitgezählt.

Wann werden Arbeitnehmer von Konzernunternehmen bei der Schwellenwertberechnung berücksichtigt?

Ob Arbeitnehmer von Konzernunternehmen einem Unternehmen für Zwecke eines mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerts zugerechnet werden, hängt davon ab, ob eine Mitbestimmung nach dem DrittelbG oder eine paritätische Mitbestimmung nach dem MitbestG im Raum steht.

1. Mitbestimmung nach dem DrittelbG

Gemäß dem DrittelbG werden Arbeitnehmer einer anderen Konzerngesellschaft dem herrschenden Unternehmen nur dann zugerechnet, wenn

  • zwischen den Unternehmen ein Beherrschungsvertrag besteht oder
  • das abhängige Unternehmen in das herrschende Unternehmen eingegliedert

2. Paritätische Mitbestimmung nach dem MitbestG

Nach dem MitbestG werden Arbeitnehmer zum herrschenden Unternehmen mitgezählt, wenn ein Konzernverhältnis (§ 18 AktG) zwischen den Unternehmen besteht. Diese Voraussetzung beinhaltet verschiedene Konstellationen, in denen ein herrschendes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar – über eine oder mehrere Tochtergesellschaften – aufgrund gesellschaftsrechtlicher Einwirkungsmöglichkeiten Einfluss auf ein anderes (abhängiges) Unternehmen nehmen kann. Neben einem Beherrschungsvertrag kommt auch eine Einflussmöglichkeit aufgrund Mehrheitsbeteiligung am abhängigen Unternehmen in Betracht. Es genügt aber auch, dass anderweitige rechtliche oder auch nur tatsächliche Umstände einen beherrschenden Einfluss vermitteln. Eine Zurechnung von Arbeitnehmerzahlen kommt somit in einer größeren Zahl von Konstellationen in Betracht als nach dem DrittelbG.

3. Sonderkonstellationen

Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften werden in der Regel nur der Konzernobergesellschaft (Konzernmutter) zugerechnet, nicht aber Konzernzwischengesellschaften. Nur im Ausnahmefall eines „Konzerns im Konzern“ werden Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften für Zwecke der mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte nicht nur der Obergesellschaft, sondern auch einer Zwischengesellschaft zugerechnet. Das setzt jedoch voraus, dass die Zwischengesellschaft über die zentrale Leitungsbefugnis gegenüber den beherrschten Gesellschaften verfügt, was in der Praxis nur selten der Fall ist.

Gesellschaften, die von mehreren unabhängigen Unternehmen gemeinsam beherrscht werden (sog. Gemeinschaftsunternehmen), können mit jeder Obergesellschaft einen Konzern bilden. Arbeitnehmer können demnach mehreren Obergesellschaften im Sinne des MitbestG zugerechnet werden und Wahlrechte in verschiedenen Obergesellschaften haben und Vertreter in mehreren Aufsichtsräten sein. Die genauen Voraussetzungen für eine solche mehrfache Konzernzugehörigkeit sind umstritten. Überwiegend wird hierfür verlangt, dass eine einheitliche Leitung der Unternehmen vorliegt. Nach einer Ansicht ist hierfür bereits eine 50/50-Beteiligung am Gemeinschaftsunternehmen ausreichend. Teilweise wird zusätzlich für eine koordinierte gemeinsame Leitung ein Stimmenpool oder Konsortialvertrag verlangt. In der Rechtsprechung ist bisher jedoch keine einheitliche Linie zu erkennen.

Zurechnung im Gemeinschaftsbetrieb

Setzen mehrere Unternehmen – konzernintern oder konzernübergreifend – Personal in einem gemeinsamen Betrieb ein, in dem eine einheitliche Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten besteht, spricht man von einem Gemeinschaftsbetrieb.

Das BAG spricht Arbeitnehmern eines Gemeinschaftsbetriebs mehrerer Unternehmen das aktive Wahlrecht bei den Aufsichtsratswahlen nicht nur ihres Vertragsarbeitgebers, sondern auch der anderen am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen zu. Die Frage, inwieweit Arbeitnehmer eines Gemeinschaftsbetriebs den beteiligten Unternehmen für Zwecke der mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwerte zugerechnet werden können, ist hingegen höchstrichterlich noch nicht geklärt und wird von den Instanzgerichten unterschiedlich beurteilt.

Teilweise wird vertreten, dass die im Gemeinschaftsbetrieb tätigen Arbeitnehmer nicht nur ihrem Arbeitgeber, sondern allen am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmen zuzurechnen Dies wird mit dem Zweck der Mitbestimmung begründet, die Beteiligung der Arbeitnehmer in den Organen desjenigen Unternehmens zu ermöglichen, das die für sie wesentlichen Entscheidungen trifft. Dies treffe bei einem Gemeinschaftsbetrieb eben auf alle beteiligten Unternehmen zu. Einschränkend wird für eine Zurechnung von Arbeitnehmern zu mehreren Unternehmen eines Gemeinschaftsbetriebs teilweise verlangt, dass das Weisungsrecht gegenüber dem jeweiligen Arbeitnehmer aufgrund der gemeinsamen Leitung von mehreren Unternehmen gemeinschaftlich ausgeübt wird.

Nach anderer Ansicht sind die Arbeitnehmer eines Gemeinschaftsbetriebs nur für den mitbestimmungsrechtlichen Schwellenwert desjenigen Unternehmens zu berücksichtigen, mit dem sie arbeitsvertraglich verbunden sind.

Das OLG Düsseldorf hat eine Zurechnung von Arbeitnehmern im Gemeinschaftsbetrieb zu einem nicht arbeitsvertraglich mit den Arbeitnehmern verbundenen Unternehmen spezifisch für den Schwellenwert von über 500 Arbeitnehmern des DrittelbG mit der Begründung abgelehnt, durch eine solche Zurechnung würde die Wertung des DrittelbG umgangen, dass Arbeitnehmer anderen Unternehmen als ihrem Arbeitgeber eben nur bei Bestehen von Beherrschungsverträgen oder im Fall einer Eingliederung zugerechnet werden. Ein faktischer Konzern zwischen zwei oder mehreren Unternehmen genüge nach dem DrittelbG gerade nicht. Für eine Zurechnung für Zwecke einer „großen“ (paritätischen) Mitbestimmung bei einem Schwellenwert von über 2.000 Arbeitnehmern verfängt dieses Argument allerdings nicht, weil nach dem MitbestG Arbeitnehmer auch im faktischen Konzern dem herrschenden Unternehmen zugerechnet werden.

Aktueller Hinweis

Die Zurechnung von Arbeitnehmern in Konzernsituationen und im Gemeinschaftsbetrieb könnte sich künftig im Anwendungsbereich des DrittelbG erweitern und den für das MitbestG geltenden Regeln annähern. Die Regierungskoalition hat im Koalitionsvertrag angekündigt, auch im Anwendungsbereich des DrittelbG (d.h. bei mehr als 500 bis 2.000 Arbeitnehmern) die Arbeitnehmer von Konzernunternehmen bereits dann zur Obergesellschaft zuzurechnen, wenn nur eine Mehrheitsbeteiligung des herrschenden Unternehmens an dem oder den abhängigen Unternehmen besteht oder die Voraussetzungen eines faktischen Konzerns vorliegen.

Eine solche Änderung der Rechtslage könnte sich auch auf die Rechtsprechung zur gegenseitigen Zurechnung von Arbeitnehmern im Gemeinschaftsbetrieb auswirken: Es steht zu erwarten, dass Instanzgerichte verstärkt dazu übergehen werden, Arbeitnehmer im Gemeinschaftsbetrieb auch im Anwendungsbereich des DrittelbG allen beteiligten Unternehmen zuzurechnen, womit sich der Anwendungsbereich für Unternehmensmitbestimmung erheblich ausdehnen würde.

Dr. Anne-Kathrin Bertke


Rechtsanwältin
Principal Counsel
Anne-Kathrin Bertke berät zu allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit bilden die Beratung bei komplexen Umstrukturierungen und Unternehmenstransaktionen, auch in der Insolvenz, bei inländischen und grenzüberschreitenden Umwandlungen, auf dem Gebiet der Unternehmensmitbestimmung und bei SE-Gründungen. Darüber hinaus berät sie Unternehmen und Führungskräfte bei Vorstands- und Geschäftsführerangelegenheiten, auch im Zusammenhang mit Börsengängen sowie im Bankensektor, und vertritt Mandanten in Gerichtsverfahren vor Zivil- und Arbeitsgerichten. Anne-Kathrin Bertke verfügt darüber hinaus über besondere Expertise bei der kommunikativen Begleitung von Mandaten. Sie ist Mitglied der Fokusgruppen "Aufsichtsratsberatung" und "Private Equity/M&A".

Wibke Stech

Rechtsanwältin

Associate
Wibke Stech berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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