Der Themenbereich der Unternehmensmitbestimmung erlangt in der betrieblichen Praxis immer mehr an Bedeutung, nicht zuletzt aufgrund der Reformbestrebungen der Ampel-Koalition sowie des in diesem Jahr in Kraft getretenen Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (hierzu unser Blogbeitrag vom 14. September 2023). Für Unternehmen mit in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmern ist insbesondere das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) praxisrelevant, welches im folgenden Beitrag näher dargestellt werden soll:
Was ist Unternehmensmitbestimmung?
Neben dem Drittbeteiligungsgesetz, dem Montan-Mitbestimmungsgesetz und den „neueren“ Gesetzen bei grenzüberschreitenden Vorgängen (MgFSG und MgVG) ist das MitbestG eine der tragenden Rechtsquellen der Unternehmensmitbestimmung.
Die Unternehmensmitbestimmung soll Arbeitnehmern größerer Unternehmen neben der betriebsverfassungsrechtlich gewährten Mitbestimmung in sozialen und personellen Angelegenheiten die Teilhabe an unternehmerischen Entscheidungen ermöglichen. Ziel ist es, die Arbeitnehmern trotz – oder gerade wegen – ihrer Unterordnung unter die organisatorische Leitung der Unternehmensführung an selbiger in gewissen Grenzen partizipieren zu lassen.
Gremium der Unternehmensmitbestimmung ist auch beim MitbestG der Aufsichtsrat. Dieser setzt sich paritätisch aus Vertretern der Arbeitnehmer und aus Vertretern der Anteilseigner zusammen. Die Einflussmöglichkeit der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ist aufgrund der Parität höher als bei Aufsichtsräten nach dem Drittelbeteiligungsgesetz.
Und wann findet das MitbestG Anwendung?
Nach dem MitbestG wird den Arbeitnehmern ein Mitbestimmungsrecht in Form der Entsendung von gewählten Vertretern in den Aufsichtsrat zugesprochen, soweit es sich bei dem Unternehmen um
- eine inländische Aktiengesellschaft (AG), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder Genossenschaft handelt,
- die in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer (Schwellenwert) beschäftigt.
Ausgenommen sind Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend politisch, koalitionspolitisch, konfessionell, karitativ, erzieherisch, wissenschaftlich oder künstlerisch tätig sind. Ebenso solche, die Zwecke der Berichterstattung und Meinungsäußerung verfolgen.
Bei der Berechnung des Schwellenwertes zählen zu den Arbeitnehmern nicht nur alle Angestellten und zur Berufsausbildung Beschäftigte, sondern auch im Unternehmen beschäftigte Leiharbeitnehmer, soweit die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung erforderlich. Entscheidend ist demnach, ob das Unternehmen den jeweiligen Arbeitsplatz innerhalb eines Jahres für einen Zeitraum von über sechs Monaten mit Leiharbeitnehmern besetzt.
Die Arbeitnehmer eines Konzernunternehmens werden grundsätzlich dem herrschenden Unternehmen zugerechnet. Ausreichend ist das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem herrschenden Unternehmen und den übrigen untergeordneten Konzernunternehmen, sodass eine einheitliche Leitung durch ersteres besteht.
Und der Aufsichtsrat?
Ist der gesetzlich vorgeschriebene Schwellenwert von in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer erreicht, ist in dem Unternehmen ein Aufsichtsrat zu bilden, sofern ein solcher nicht bereits existiert. Dieser ist zu einer Hälfte mit Vertretern der Arbeitnehmer und zur anderen Hälfte mit solchen der Anteilseigner zu besetzen.
Als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat werden nicht nur Arbeitnehmer des Unternehmens, sondern auch Vertreter der Gewerkschaften ernannt. Letztere können, müssen aber nicht zwingend Unternehmensextern sein. Zwingend ist jedoch, dass die Gewerkschaft im Unternehmen vertreten ist. Je nach Größe des Aufsichtsrats sind zwei bzw. drei Vertreter der Gewerkschaft beteiligt.
Je nach Unternehmensgröße variiert hierbei die Größe des Aufsichtsrats:
Bis 10.000 Arbeitnehmer | Je sechs Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmer, | Hiervon vier Arbeitnehmer des Unternehmens und zwei Vertreter von Gewerkschaften |
10.001 bis 20.000 Arbeitnehmer | Je acht Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmer | Hiervon sechs Arbeitnehmer des Unternehmens und zwei Vertreter von Gewerkschaften |
Über 20.000 Arbeitnehmer | Je zehn Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmer | Hiervon sieben Arbeitnehmer des Unternehmens und drei Vertreter von Gewerkschaften |
Die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat genießen ähnliche Schutzrechte wie Betriebsratsmitglieder. Es besteht z.B. ein Benachteiligungsverbot, ein Anspruch auf Freistellung sowie relativer Kündigungsschutz.
Der Aufsichtsrat hat im Wesentlichen die Aufgabe, das zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens bestimmte Organ zu beraten, zu kontrollieren und zu überwachen. Hierdurch können die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrats wesentlichen Einfluss auf die Unternehmenspolitik ausüben.
Zudem wird in mitbestimmten Unternehmen auch außerhalb der Rechtsform der AG (mit Ausnahme der KGaA) das Vertretungsorgan der Gesellschaft vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen. Nach der Rechtsprechung des BGH umfasst dies auch die Ausgestaltung der Anstellungsverträge und der Vergütungskonditionen.
Alle Mitglieder des Aufsichtsrats – auch die Arbeitnehmervertreter – unterliegen dem objektiven Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds. Die vom jeweiligen Mitglied geschuldete Sorgfalt kann je nach Größe und Typus des Unternehmens variieren.
Unabhängig davon ist es für alle Aufsichtsratsmitglieder zur Verwirklichung der Überwachungspflicht unerlässlich, sich einen Überblick über die wesentlichen Grundlagen der Geschäftsführung und die wichtigsten Geschäftsvorfälle zu verschaffen. Sollte dieser Pflicht nicht nachgegangen werden, droht die persönlichen Haftung.
Und wie wird gewählt?
Für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer sieht das MitbestG unterschiedliche Wahlverfahren vor.
Eine unmittelbare Wahl findet statt, sofern es sich um Unternehmen mit weniger als 8.000 Arbeitnehmern handelt. Im Übrigen werden im Rahmen einer mittelbaren Wahl zunächst in jedem Betrieb des Unternehmens Delegierte bestimmt, die wiederum die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat wählen.
Die wahlberechtigten Arbeitnehmer können zudem unabhängig von der Größe des Unternehmens in einer vorgelagerten Abstimmung darüber entscheiden, ob eine unmittelbare oder mittelbare Wahl stattfindet. Hierfür bedarf es eines Antrags, der von einem Zwanzigstel der wahlberechtigten Arbeitnehmer unterzeichnet wurde.
Die Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner werden durch das nach Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Wahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats befugte Organ (Wahlorgan) und, soweit gesetzliche Vorschriften dem nicht entgegenstehen, nach Maßgabe der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags bestellt.
Für den Aufsichtsrat börsennotierter Unternehmen, die der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, sieht das Gesetz eine Geschlechterquote vor. Selbiger muss mindestens zu 30 % aus Frauen und mindestens 30 % aus Männern bestehen.
Und wenn es Streit gibt?
Sofern Unklarheiten hinsichtlich der Zusammensetzung eines (paritätischen) Aufsichtsrats bestehen oder erstmals ein Aufsichtsrat nach dem MitbestG gebildet werden soll, ist das sog. Statusverfahren durchzuführen. Hierbei handelt es sich um ein formalisiertes Verfahren zur Klärung des zutreffenden Mitbestimmungsstatus, das bei Uneinigkeit vor den ordentlichen Gerichten geführt werden kann.
In diesem Zusammenhang ist das Kontinuitätsprinzip zu beachten, demzufolge die Besetzung des Aufsichtsrats von der Veränderung tatsächlicher Verhältnisse wie der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer unberührt bleibt. Das gilt auch dann, wenn der Schwellenwert nachträglich nicht mehr erreicht wird und der Anwendbarkeit des MitbestG so die Grundlage entzogen wird. Zur Bestimmung des anwendbaren Mitbestimmungsstatuts bedarf es stets der Durchführung des Statusverfahrens.
Für die Praxis
Die Regelungen des MitbestG sind teilweise undurchsichtig, insbesondere wenn es an Vorkenntnissen auf dem Gebiet der Unternehmensmitbestimmung fehlt. Risiken bestehen in vielerlei Hinsicht.
Bei der Beurteilung des einschlägigen Mitbestimmungsstatuts ebenso wie bei der Durchführung der verschiedenen Wahlverfahren schleichen sich regelmäßig Fehler ein. Das kann dazu führen, dass die gesamte Wahl des Aufsichtsrats und damit auch die Beschlüsse desselben nichtig sind.
Mitglieder des Aufsichtsrats sollten sich hinsichtlich ihrer Rechte und Pflichten bestens auskennen. Entsprechende Schulungen können dabei helfen, das mit ihrer Tätigkeit verbundene enorme Haftungsrisiko zu minimieren.
Oft sind die unterschiedlichen Fallgestaltungen im Zusammenhang mit der Unternehmensmitbestimmung schwer zu erfassen. Vertiefte Kenntnisse der rechtlichen Rahmenbedingungen sind deshalb unerlässlich.