Mit der für die Praxis relevanten Frage, ob der Beweiswert einer zeitgleich mit der Eigenkündigung eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist, hat sich kürzlich (Urteil vom 10.8.2023 – 6 Sa 682/22) das LAG Köln befasst.
Worum ging es?
Die seit Anfang 2021 bei der Beklagten beschäftige Klägerin erklärte nach einem am Vortag geführten Personalgespräch mit Schreiben vom 19.1.2022 ihre Eigenkündigung zum 28.2.2023. Bereits unmittelbar nach dem Gespräch hatte sie ihre persönlichen Sachen gepackt, das Diensthandy zurückgegeben und sich von Kollegen verabschiedet. Mit Ausspruch der Eigenkündigung meldete sie sich krank und übermittelte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 19.1.2022 bis zum 2.2.2022 und anschließend bis zum 16.2.2022. Am 17.2.2022 erschien die Klägerin im Betrieb und nahm sodann bis zum 23.2.2022 Urlaub. Ab dem 24.2.2022 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung bis zum 31.3.2022.
Die Beklagte zahlte die Vergütung nur bis zum letzten Arbeitstag und vergütete die Urlaubstage, zahlte aber im Übrigen kein Entgelt. Sie hielt die Vermutungswirkung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für erschüttert, zumal die angeblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten passgenau die verbleibende Kündigungsfrist abdeckte.
Daraufhin erhob die Klägerin Klage auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Sie leide seit Jahren an einer psychischen Belastungsstörung. Diese sei aufgrund des Gesprächs vom 18.1.2022 wieder ausgebrochen. Ihre Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg.
Die Entscheidung des LAG Köln
Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gelte während der streitgegenständlichen Zeiträume aufgrund der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als bewiesen. Es ergeben sich keine hinreichenden Zweifel an dem Beweiswert dieser Bescheinigungen.
Die von der Beklagten als Indiz zur Erschütterung des Beweiswerts der Bescheinigung geltend gemachte Ankündigung der Klägerin, sich krankschreiben zu lassen, könne ohne Vorgeschichte eine Erschütterung des Beweiswertes einer danach vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durchaus veranlassen, nicht aber bei der Vorgeschichte der Klägerin, die bereits in der Vergangenheit an einer depressiven Störung gelitten habe. Auch von einer „passgenauen“ Bescheinigung könne keine Rede sein. Die Zeiträume, für die die Klägerin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt habe, seien durch einen Urlaub vom 17.2.2022 bis zum 23.2.2022 unterbrochen gewesen. Außerdem endete der Klinikaufenthalt der Klägerin ab dem 24.2.2022 nicht etwa „passgenau“ zum Ende der Kündigungsfrist am 28.02.2022, sondern erst einen Monat später, am 31.3.2022.
Praxishinweise
Aufgrund einer „passgenauen“ Übereinstimmung zwischen Kündigungsfrist und bescheinigter Arbeitsunfähigkeit hielt das BAG in seiner Entscheidung vom 8.9.2021 (5 AZR 149/21) ernsthafte Zweifel an der Erkrankung für gerechtfertigt. Wir haben über das Urteil in unserem Blog berichtet. Seitdem mehren sich die Urteile zu diesem Themenkomplex. So sei nach Auffassung des LAG Niedersachen der Beweiswert dann nicht erschüttert, wenn der Arbeitnehmer zunächst krank sei und erst danach eine arbeitgeberseitige Kündigung erhalte. Auch hierüber hatten wir berichtet. Nach der nunmehr vorliegenden Entscheidung des LAG Köln ist der Beweiswert einer mit der Eigenkündigung eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann nicht erschüttert, wenn der Mitarbeiter eine entsprechende medizinische Vorgeschichte aufweist. Der in der Entscheidung betonte hohe Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bleibt dann bestehen, wenn wenig später ein stationärer Aufenthalt in einer Klinik notwendig wird, der erst einen Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet.