open search
close
Neueste Beiträge Private Equity M&A

Ablauf des Massenentlassungs­anzeigeverfahrens – die Basics im Überblick

Print Friendly, PDF & Email

Eine Unternehmensübernahme bringt häufig organisatorische und strukturelle Veränderungen mit sich, die in einem nicht unerheblichen Personalabbau münden können. Das kann die Pflicht zur Durchführung einer Massenentlassungsanzeige auslösen, die den Arbeitgeber Zeit kostet. Um unnötige Verzögerungen beim Personalabbau und Fehler bei der Massenentlassungsanzeige zu vermeiden, sollten Arbeitgeber sich rechtzeitig mit dem Ablauf des Verfahrens befassen.  Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die einzelnen Schritte des Massenentlassungsverfahrens und verweist auf weitere Blog-Beiträge, die sich mit einzelnen Verfahrensschritten befassen.

Vorprüfung seitens des Arbeitgebers

Stehen mehrere Entlassungen an, sollte der Arbeitgeber stets prüfen, ob die in § 17 Abs. 1 KSchG genannten Schwellenwerte innerhalb von 30 Kalendertagen überschritten werden. Maßgeblich ist dabei die charakteristische Personalstärke des jeweils betroffenen Betriebes (vgl. hierzu auch den Beitrag vom 23. November 2023). Mit dem Begriff der „Entlassungen“ im Rahmen des § 17 KSchG beschäftigen sich u.a. die Beiträge vom 14. Februar 2023, vom 14. Dezember 2021 und vom 18. Dezember 2019. Der Arbeitgeber muss dabei für jeden geplanten Kündigungstermin prüfen, ob die Schwellenwerte überschritten werden.

Ist das der Fall, sollte sich der Arbeitgeber bereits im Rahmen der Vorprüfung versichern, welche Agentur für Arbeit für seine Massenentlassungsanzeige zuständig ist. Grundsätzlich ist das die Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der von der Massenentlassung betroffene Betrieb liegt (vgl. hierzu auch den Beitrag vom 10. Januar 2023, der sich u.a. mit der Frage nach der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit auseinandersetzt). Das Einreichen der Massenentlassungsanzeige bei der örtlich unzuständigen Agentur für Arbeit kann zur Unwirksamkeit der durchgeführten Entlassungen führen.

Das Konsultationsverfahren
Schriftliche Unterrichtung des zuständigen Betriebsratsgremiums

Das Konsultationsverfahren beginnt mit der schriftlichen Unterrichtung des zuständigen Betriebsratsgremiums durch den Arbeitgeber über die in § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG genannten Punkte. Eine Abschrift dieses Unterrichtungsschreibens hat der Arbeitgeber gleichzeitig der zuständigen Agentur für Arbeit zuzuleiten (vgl. zu Fehlern im Rahmen der Zuleitungspflicht z.B. den Beitrag vom 19. April 2021). In zeitlicher Hinsicht hat diese Unterrichtung spätestens zwei Wochen vor der geplanten Massenentlassungsanzeige zu erfolgen. Zuständig ist grundsätzlich der von der Massenentlassung örtlich betroffene Betriebsrat. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn mehrere Betriebe von einer nach einem einheitlichen Unternehmenskonzept vollzogenen Betriebsänderung betroffen sind. Mit den Besonderheiten beim Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes beschäftigt sich der Beitrag vom 10. Juni 2020.

Inhaltlich hat der Arbeitgeber das zuständige Betriebsratsgremium über die Gründe der geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Mitarbeitenden und der in der Regel beschäftigten Mitarbeitenden, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Mitarbeitenden sowie die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehener Kriterien zu informieren. Diese Unterrichtung hat schriftlich zu erfolgen, § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG, wobei die Textform nach § 126b BGB ausreicht (vgl. BAG, v. 22.9.2016 – 2 AZR 276/16, NZA 2017, 175). Dabei sollte der Arbeitgeber immer darauf achten, dass die Unterrichtung ein Formular zur Empfangsbestätigung sowie Terminvorschläge zur Beratung innerhalb der zwei Wochen bis zur geplanten Abgabe der Massenentlassungsanzeige enthält und dass das zuständige Betriebsratsgremium dem Arbeitgeber den Zugang der vollständigen Unterrichtung schriftlich bzw. in Textform bestätigt.

Beratungen mit dem zuständigen Betriebsratsgremium

Im Rahmen des Konsultationsverfahrens hat der Arbeitgeber mit dem zuständigen Betriebsratsgremium ernsthaft und mit dem Ziel einer Einigung die Möglichkeiten zu erörtern, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken. Eine Einigung ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Mit den Folgen einer fehlenden Verhandlungsbereitschaft auf Seiten des Arbeitnehmergremiums befasst sich der Beitrag vom 4. Mai 2017. Nicht ausreichend ist es im Rahmen der Beratungen, die Informationen dem zuständigen Betriebsratsgremium nur zuzuleiten und das Gremium lediglich dazu anzuhören. Bei dem Konsultationsverfahren handelt es sich um einen ergebnisoffenen Prozess, sodass eine Änderung der Entscheidung des Arbeitgebers im Rahmen der Konsultation noch möglich sein muss.

Neben den o.g. zwingenden Angaben, die das Unterrichtungsschreiben enthalten muss, sind im Rahmen der Beratung auch „zweckdienliche“ Auskünfte zu erteilen. Das bedeutet, dass Fragen des jeweiligen Betriebsrats im Zusammenhang mit der beabsichtigten Massenentlassung und ihren wirtschaftlichen Hintergründen wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten sind. Mit weiteren Einzelheiten der Beteiligung des zuständigen Betriebsratsgremiums beschäftigt sich zum Beispiel der Beitrag vom 10. September 2019.

Erstattung der Massenentlassungsanzeige

Hat der Arbeitgeber im Anschluss an das Konsultationsverfahren die Entscheidung getroffen, Entlassungen durchzuführen, hat er dies gegenüber der zuständigen Agentur für Arbeit anzuzeigen. In zeitlicher Hinsicht muss diese Anzeige nach Erhalt der Stellungnahme des Betriebsratsgremiums bzw. bei Nichtäußerung nach Ablauf der Frist von zwei Wochen nach vollständiger Unterrichtung durchgeführt werden.

Der Inhalt der Anzeige richtet sich nach § 17 Abs. 3 S. 4 und S. 5 KSchG. Mit den aktuellen Entwicklungen der Anforderungen an die „Soll-Angaben“ und den Rechtsfolgen bei Verstößen gegen diese Vorgaben beschäftigen sich insbesondere die Beiträge vom 8. Juli 2024, vom 29. Februar 2024 und vom 22. Dezember 2023. Die Anzeige ist gem. § 17 Abs. 3 S. 2 schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsratsgremiums zu den Entlassungen vom Arbeitgeber zu erstatten. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine für die Anzeige ausreichende Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG nur vor, wenn sich der Erklärung entnehmen lässt, dass das Betriebsratsgremium seine Beteiligungsrechte als gewahrt ansieht und er eine abschließende Meinung zu den vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigungen geäußert hat. Verweigert das Betriebsratsgremium die Stellungnahme, muss der Arbeitgeber glaubhaft machen, dass er das Gremium mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet hat sowie den Stand der Beratungen darlegen (§ 17 Abs. 3 S. 3 KSchG). Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Arbeitgeber bei der Anzeige die Schriftform nach § 126 BGB einhalten und mit Blick auf die in § 18 KSchG geregelte Folge eine Eingangsbestätigung und die Bestätigung der Vollständigkeit der Unterlagen bei der Agentur für Arbeit anfordern.

Durchführung der Entlassungen und Beendigung der Arbeitsverhältnisse

Die Durchführung der Entlassungen ist nach dem Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit möglich. Aus Gründen der Rechtssicherheit sollten die Entlassungen jedoch frühestens einen Tag nach dem bestätigten Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit vorgenommen werden. Soweit Kündigungen ausgesprochen werden, muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass die in § 102 Abs. 1 BetrVG geregelte Wochenfrist eingehalten wurde bzw. das zuständige Betriebsratsgremium innerhalb dieser Frist eine abschließende Stellungnahme abgegeben hat. Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen sollte der Arbeitgeber in diesen Fällen die Anhörungen nach § 102 Abs. 1 BetrVG bereits nach den Beratungen mit dem zuständigen Betriebsratsgremium durchführen.

Die Entlassungen sind grundsätzlich innerhalb von 90 Tagen durchzuführen. Verstreicht diese Frist, bedarf es ggf. einer erneuten Massenentlassungsanzeige, § 18 Abs. 4 KSchG.

Die Arbeitsverhältnisse enden entsprechend § 18 Abs. 1, Abs. 2 KSchG frühestens einen, ggf. zwei Monate nach dem Eingang der Massenentlassungsanzeige, soweit die jeweils einschlägigen Kündigungsfristen nicht länger sind.

Fazit

Die Pflicht zur Durchführung einer Massenentlassungsanzeige ergibt sich häufig aus den arbeitsrechtlichen Integrationsmaßnahmen, die im Anschluss an einen Unternehmenskauf durchgeführt werden. Die Durchführung von Massenentlassungsanzeigen ist daher in der Regel im Rahmen der „Business-Phase“ anzufinden (vgl. hierzu den Beitrag vom 21. Mai 2024).

Dabei sind das in §§ 17 f. KSchG geregelte Verfahren zur Massenentlassungsanzeige und die einschlägige Rechtsprechung zu diesem Thema nach wie vor unübersichtlich. Angesichts der Folge einer unzulässigen Massenentlassungsanzeige – der Unwirksamkeit der vorgenommenen Entlassungen (siehe hierzu auch den Beitrag vom 8. Juli 2024 – sollte man diesen Prozess nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern sich (arbeits)rechtlich beraten lassen, wenn man im Rahmen der Vorprüfung erkennt, dass die in § 17 Abs. 1 KSchG geregelten Schwellen voraussichtlich überschritten werden.

Maximilian Melles

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Senior Associate
Maximilian Melles berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät er seine Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Private Equity / M&A".
Verwandte Beiträge
Betriebsübergang Neueste Beiträge Private Equity M&A

Anforderungen an das Unterrichtungsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB – ein Hoffnungsschimmer?

Fehler in Unterrichtungsschreiben nach § 613a Abs. 5 BGB sind ein Dauerbrenner. Denn unvollständig oder unrichtig gestaltete Schreiben können zur Folge haben, dass Arbeitnehmer mitunter noch Jahre nach einem Betriebsübergang einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen und zum alten Arbeitgeber zurückkehren können. Gerade in Transaktionen unter Beteiligung von Private-Equity-Gesellschaften, welche bestimmte Unternehmen nur für einen beschränkten Zeitraum halten und nach wenigen Jahren – und oftmals nach…
Neueste Beiträge Private Equity M&A

Die Suche nach dem (arbeitsrechtlichen) Mehrwert in der Transaktion

Bei M&A-Transaktionen geben arbeitsrechtliche Themen sicherlich nicht den Ton an. Aber mit der richtigen Expertise kann das Arbeitsrecht auf Käufer- wie auch Verkäuferseite einen wichtigen Beitrag leisten, um Fehlentwicklungen mit hohem Reputationsrisiko aufzudecken oder passende wirtschaftliche Hebel zu liefern. Das arbeitsrechtliche Wertsteigerungspotential sollte daher nicht unterschätzt werden. Perspektivenwechsel Die rechtliche Due Diligence schafft in allen drei Phasen einer Transaktion (Acquisition, Business und Sale) eine Grundlage…
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Fehler bei der Massenentlassungsanzeige – nun soll der EuGH helfen

Kurz vor Weihnachten zeichnete sich im vergangenen Jahr noch eine beachtenswerte Rechtsprechungsänderung des BAG zur Massenentlassungsanzeige ab. Der 6. Senat kündigte an, von der bisherigen Rechtsprechungspraxis des BAG abweichen zu wollen, wonach Fehler bei der Massenentlassungsanzeige automatisch zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen führen. Wir berichteten hierzu in unserem Blogbeitrag vom 22. Dezember 2023. Nun geht es in nächste Runde – allerdings zunächst vor dem EuGH….
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.