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Streikrecht 3.0? – Streiken im digitalen Zeitalter

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„Ob vor dem Rechner oder vor dem Werkstor“ – gestreikt werden kann überall. Oder nicht? Erste Gewerkschaften haben das bisher eher analog verstandene Streikrecht auf dem „just do it“-Weg digitalisiert. Die Frage der Zulässigkeit eines sog. digitalen Streiks hängt eng mit der Frage zusammen, ob Gewerkschaften überhaupt ein digitales Zugangsrecht zum Betrieb zusteht.

Was ist ein digitaler Streik?

Die Durchführung eines Streiks, d.h. einer gemeinsamen und planmäßigen Einstellung der Arbeitsleistung durch eine Vielzahl von Arbeitnehmern ohne Einverständnis des Arbeitgebers, wird regelmäßig von verschiedenen öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Gewerkschaft begleitet. Finden diese Aktionen nicht im analogen Raum statt, sondern digital, spricht man von einem digitalen Streik.

Die Erscheinungsformen eines digitalen Streiks können vielfältig sein. Das Modell des rein digitalen Streiks steckt gerade noch in den Kinderschuhen. Bisher erfolgten erste digitale Streiks ohne jegliche physische Zusammenkunft dergestalt, dass Gewerkschaften Einwahllinks zu digitalen Veranstaltungsräumen zur Verfügung stellten. Über diese Links konnten sich die Arbeitnehmer dann entweder über dienstliche oder private Endgeräte einwählen. Neben der bloß passiven Teilnahmemöglichkeit bekamen die teilnehmenden Arbeitnehmer auch die Möglichkeit, sich über Abstimmungstools an sog. Echtzeit-Umfragen aktiv am Streik zu beteiligen.

Als weitere Erscheinungsform kommen hybride Streiks in Betracht. Bei hybriden Streiks findet der Hauptteil des Streikgeschehens durch physische Anwesenheit der Streikteilnehmer meist an von der Öffentlichkeit wahrnehmbaren Orten statt. Das Hauptgeschehen wird zusätzlich digital gestreamt, um so den nicht anwesenden Arbeitnehmern ebenfalls eine (aktive) Teilnahme von zuhause zu ermöglichen.

Neue Herausforderungen durch digitale Streiks

Das Streik- oder allgemeiner formuliert das Arbeitskampfrecht ist bis jetzt weitestgehend gesetzlich ungeregelt geblieben. Rechtmäßigkeitsanforderungen werden durch die Rechtsprechung fortlaufend weiterentwickelt. Für digitale Streiks bedeutet dieser Umstand, dass zunächst einmal die allgemeinen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für physisch erfolgende Streiks Anwendung finden. Das heißt, dass der Streik z.B. nicht die während der Laufzeit von Tarifverträgen geltende Friedenspflicht verletzen und sich das Streikziel nur auf tariffähige Inhalte beziehen darf. Inwieweit das Betriebsgelände des Arbeitsgebers Austragungsort von Streikhandlungen sein darf, ist immer wieder Gegenstand von höchstrichterlichen Entscheidungen, so z.B. zuletzt BAG vom 20.11.2018 – 1 AZR 189/17 bestätigt durch BVerfG vom 9.07.2020 – 1 BvR 719/19.

Digitale Streiks bergen darüber hinaus die Gefahr, dass mangels physischer Präsenz auf vergleichsweise unscheinbarem Wege Rechtspositionen des Arbeitgebers verletzt werden. So stellt sich z.B. die Teilnahme von Arbeitnehmern an digitalen Streikveranstaltungen als problematisch dar, wenn sie über dienstliche Endgeräte oder allgemein über die vom Arbeitgeber bereitgestellte Infrastruktur erfolgt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Endgeräte und Infrastruktur nicht für private Zwecke genutzt werden dürfen. Dann können im Einzelfall insbesondere die Koalitionsfreiheit oder Eigentums- und Besitzrechte sowie das Hausrecht des Arbeitgebers rechtwidrig beeinträchtigt werden. Auch besteht ggf. das Risiko der Verletzung von betrieblichen Datensicherheits- und Geheimhaltungsvorgaben. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von einzelnen digitalen Streikmaßnahmen sind stets die betroffenen Interessen der Gewerkschaft, der Arbeitnehmer und des Arbeitgebers gegeneinander abzuwägen.

Das gewerkschaftliche Zugangsrecht zum Betrieb

Die Zulässigkeit von digitalen Begleitaktionen zu einem Streik mit Auswirkungen auf den Betrieb des Arbeitgebers hängt im Wesentlichen auch davon ab, inwieweit ein digitales Zugangsrecht der Gewerkschaft zum Betrieb besteht. Höchstrichterliche Entscheidungen existieren zu diesem Thema bisher nicht – insoweit bisher nur ArbG Bonn vom 11.05.2022 – 2 Ca 93/22.

Unstreitig haben Gewerkschaften ein aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitetes allgemeines physisches Zutrittsrecht zum Betrieb des Arbeitgebers. Dieses Recht ermöglicht es Gewerkschaften, koalitionsspezifische Tätigkeiten insbesondere solche zur Werbung, Information und Beratung auszuüben.

Ob das bisher im Wesentlichen nur anlog verstandene Zutrittsrecht zum Betrieb auch bereits ein digitales Zugangsrecht umfasst, ist fraglich – hierzu ausführlich Göpfert/Stöckert, NZA 2021, 1209 sowie Dr. Burkard Göpfert im Blogbeitrag und Video. Ein Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus März 2021 sieht jedenfalls vor, dass eine Neuregelung im Tarifvertragsgesetz dergestalt erfolgen soll, dass Arbeitnehmervereinigungen zur Nutzung elektronischer Kommunikationssysteme im Betrieb berechtigt werden sollen. Bisher ist eine Umsetzung dieser Idee noch nicht erfolgt. Ob deshalb schon jetzt digitale Streikaufrufe oder sonstige Animationen zur Teilnahme an (digitalen) Streiks zulässig sind, ist fraglich und bedarf jedenfalls einer genauen Prüfung im Einzelfall.

Wie können sich Arbeitgeber gegen rechtswidrige digitale Streiks wehren?

Zunächst können Arbeitgeber selbst bereits präventiv versuchen zu verhindern, dass es zu rechtwidrigen oder jedenfalls unerwünschten Streikmaßnahmen kommt. Hierfür können Arbeitgeber(-verbände) mit Gewerkschaften tarifvertragliche Vereinbarungen schließen, die „Leitplanken“ für gewerkschaftliche (digitale) Befugnisse im Betrieb des Arbeitgebers aufstellen.

Unmittelbar vor einem (digitalen) Streik oder während des Streikgeschehens selbst sollten Arbeitgeber die gewerkschaftlichen Tätigkeiten insbesondere im Betrieb genau beobachten. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der digitale Streik z.B. die Cybersicherheit des Unternehmens gefährdet, sollten sofort Unterlassungsansprüche gegenüber der Gewerkschaft geltend gemacht werden.

Lenkt die Gewerkschaft daraufhin nicht ein, muss die nächste Eskalationsstufe erklommen werden. Das bedeutet im Streikrecht regelmäßig, dass ein einstweiliges Verfügungsverfahren gerichtet auf die Unterlassung bestimmter Streikmaßnahmen oder aber sogar des ganzen Streiks eingeleitet werden muss. Selbstverständlich sind auch normale Hauptsacheverfahren möglich. Meist machen diese jedoch nur Sinn, wenn es um Haftungsfragen wegen erlittener Schäden aufgrund bereits erfolgter rechtswidriger Streiks oder bestimmter Streikmaßnahmen geht.

Fazit: Wenn die Digitalisierung auf ein weitestgehend ungeregeltes Streikrecht trifft, ist das Ergebnis (zunächst) Rechtsunsicherheit

Bei einem digitalen Streik wird die Arbeitsniederlegung durch die Arbeitnehmer um digitale Aktionen der Gewerkschaft ergänzt. Je nach Ausgestaltung der Veranstaltungen und konkreter Teilnahme durch die Arbeitnehmer können Arbeitgeberrechte verletzt werden. Wann ein rechtmäßiger digitaler Streik in einen unrechtmäßigen digitalen Streik umschlägt, ist bisher noch nicht geklärt. Deshalb sollten Arbeitgeber stets die genauen Umstände des Einzelfalles im Auge behalten, um ggf. gerichtlich gegen unrechtmäßige Streikaktionen vorgehen zu können. Die Rechtsprechung wird in der Zukunft die Zulässigkeitsvoraussetzungen von digitalen Streikmaßnahmen definieren.

Friederike Welskop


Rechtsanwältin
Associate
Friederike Welskop berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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