Die Betriebsratswahlen 2022 stehen unmittelbar vor der Tür. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Fehlern, weil das Wahlverfahren nicht ordnungsgemäß eingehalten wurde. Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben gleichermaßen ein Interesse daran, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß gewählt wird. Dieser Beitrag befasst sich mit dem Recht des Arbeitgebers auf Einsicht in die Wahlunterlagen.
Zwar ist ein Akteneinsichtsrecht nicht gesetzlich normiert, die Rechtsprechung liest ein solches jedoch aus § 19 WO. Durch dieses Recht hat der Arbeitgeber eine Möglichkeit, den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl (nachträglich) zu überprüfen und dadurch Fehler im Anfechtungsverfahren oder durch Feststellung der Nichtigkeit der Wahl geltend zu machen.
Umfang des Akteneinsichtsrechtes
Im Laufe des Wahlverfahrens werden viele Wahlunterlagen zusammengetragen. Hierzu gehören beispielsweise Sitzungsprotokolle, interne Besprechungszettel des Wahlvorstandes, Bekanntmachungen der Wählerliste oder Stellungnahmen zu Einsprüchen gegen die Richtigkeit der Wählerliste. Zu den Wahlakten gehören alle Unterlagen und Aufzeichnungen, die der Wahlvorstand in Bezug auf die Betriebsratswahl bei deren Vorbereitung und Durchführung gesammelt hat. Grundsätzlich darf der Arbeitgeber danach in alle Bestandteile der Wahlakten Einsicht nehmen.
Hiervon ist nach der Rechtsprechung eine Einschränkung zu machen: Unterlagen, die Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer zulassen – beispielsweise mit Stimmabgabevermerken versehene Wählerlisten, die aufzeigen, wer sich (nicht) beteiligt hat oder zurückgesandte Briefwahlunterlagen einzelner Arbeitnehmer – darf der Arbeitgeber nur einsehen, wenn er ein besonderes Interesse an der Einsicht hat. Denn in diesen Fällen greift der Grundsatz der geheimen Wahl aus § 14 Abs. 1 BetrVG ein, der den Wähler vor sozialem Druck schützen soll. Für den Arbeitgeber muss die Einsicht in derartigen Fällen zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Betriebsratswahl zwingend erforderlich sein. Ihm obliegt insoweit die Darlegungslast.
Geltendmachung des Akteneinsichtsrechts
Nach der Rechtsprechung besteht das Akteneinsichtsrecht jedenfalls für alle nach § 19 Abs. 2 BetrVG zur Anfechtung berechtigten Beteiligten, also für Arbeitgeber, mindestens drei Wahlberechtigte oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Das Einsichtsrecht kann unabhängig von einem Anfechtungs- oder Nichtigkeitsfeststellungsverfahren erhoben werden. Es kann während und nach der Wahl geltend gemacht werden. Insoweit besteht keine Frist.
Bei einer gerichtlichen Durchsetzung des Akteneinsichtsrechts muss der Antrag dem Bestimmtheitsgrundsatz (§ 253 Abs. 2 ZPO) entsprechen. Grundsätzlich genügt nach der Rechtsprechung, der allgemeine Antrag auf Einsichtnahme in Wahlunterlagen der datumsgemäß bezeichneten Betriebsratswahl. Der Arbeitgeber ist nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht gehalten, die in den Akten befindlichen Urkunden und Schriftstücke im Einzelnen zu bezeichnen. Das kann schon deshalb nicht gefordert werden, weil der Arbeitgeber in der Regel keine Kenntnis davon hat, welche konkreten Schriftstücke der Wahlvorstand zu den Akten genommen und dem Betriebsrat übergeben hat.
Möglich ist auch das Vorgehen im Wege einer einstweiligen Verfügung, was insbesondere im Hinblick auf eine etwaige Anfechtungsfrist oder andere Dringlichkeitsgründe interessant werden kann. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es sich bei einem stattgebenden Beschluss um eine Leistungsverfügung mit Vorwegnahme der Hauptsache handelt, welche nur in Ausnahmefällen bei besonderer Dringlichkeit der sofortigen Erfüllung zulässig ist.
Praxistipps: Diese Actionpoints sollten Arbeitgeber auf die Agenda nehmen
- Einsichtnahme während des laufenden Wahlverfahrens sinnvoll, um frühzeitig auf Fehler hinzuweisen und so eine ordnungsgemäße Wahl zu ermöglichen
- Geltendmachung des Einsichtsrechts nach der Durchführung der Wahl insbesondere bei Verdacht der Unwirksamkeit der Wahl empfehlenswert (Achtung: für mögliche Anfechtungsverfahren zweiwöchige Frist aus § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG für Anfechtungserklärung beachten)
- Einsichtnahme auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist ratsam, wenn der Verdacht der Nichtigkeit der Wahl besteht oder Fehler zur Vermeidung bei künftigen Wahlen aufgedeckt werden sollen
- Schriftlich darlegen, warum Unterlagen zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit konkret gebraucht werden, wenn diese Unterlagen Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer ermöglichen
- Grenzen des Wahlgeheimnisses sind zu beachten: Einsichtsrecht legitimiert weder Maßnahmen zur Aufklärung von Stimmdifferenzen noch die Aufklärung der Motivlage zur (Nicht-)Teilnahme der Wahl