open search
close
Individualarbeitsrecht Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Restrukturierung

Wir ziehen um! Zieht ihr mit? – Herausforderungen von Standortwechseln des Arbeitgebers

Print Friendly, PDF & Email

Das neue Bürogebäude ist fast fertiggestellt. Die Umzugskisten im alten Bürogebäude werden bereits gepackt. Was kann jetzt noch schiefgehen? Ein Umzug stellt auch für Arbeitgeber stets den Beginn eines neuen Abschnitts dar. Wir zeigen auf, woran Arbeitgeber denken sollten, damit auch möglichst alle Arbeitnehmer mitziehen.

Verschiedene Gründe bewegen Arbeitgeber zu einem Standortwechsel. So können große Restrukturierungen oder auch nur das bloße Auslaufen des Bürogebäudemietvertrags einen Umzug notwendig machen. Auch steuerrechtliche Erwägungen mit Blick auf einen günstigeren Gewerbesteuerhebesatz oder aber ein besserer Zugang zu Fachkräften an anderem Ort können jeweils Initiator für Umzugsgedanken sein.

Beim Umzug sind die Arbeitnehmer die wichtigste „Fracht“

Haben Arbeitgeber eine Entscheidung zur Standortverlagerung getroffen, ist stets zu prüfen, was dies für die betroffenen Arbeitnehmer bedeutet. Im Regelfall soll bei einer bloßen Standortverlagerung mit denselben Beschäftigten weitergearbeitet werden. Das setzt aber voraus, dass diese mit umziehen. Aber wie?

Mit Arbeitnehmern umziehen – Von einfach bis schwierig

Ob sich der Umzug mit Arbeitnehmern als einfach oder schwierig gestaltet, ist insbesondere sowohl eine Frage des Arbeitsvertrags als auch eine solche der Entfernung zwischen dem bisherigen Arbeitsort und dem neuen Standort.

Sieht der Arbeitsvertrag bereits eine gewisse Flexibilität beim Arbeitsort vor oder enthält ggf. sogar eine örtliche Versetzungsklausel, wird der Arbeitnehmer rechtlich „mitziehen“ müssen. Selbstverständlich vorausgesetzt, dass der neue Standort vom vertraglichen Flexibilitätsrahmen oder der Versetzungsklausel erfasst wird.

Problematischer wird es, wenn der Arbeitsvertrag sehr konkrete Angaben zum Arbeitsort enthält. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass sich der Arbeitgeber bereits vertraglich der Möglichkeit begeben hat, ohne entsprechende Änderungsvereinbarungen die Arbeitnehmer zur Arbeit am neuen Standort anzuweisen. Innerstädtische Standortverlagerungen dürften dabei noch am unproblematischsten sein. Ist beispielsweise im Arbeitsvertrag als Arbeitsort nur die politische Gemeinde des Unternehmensstandorts angegeben, kann der Arbeitgeber im Regelfall durch Ausübung seines Weisungsrechts gem. § 106 S. 1 GewO unter Einhaltung einer angemessenen Ankündigungsfrist den Arbeitnehmer zur Arbeit am neuen Standort anweisen. Standortverlagerungen über Stadtgrenzen, ggf. auch Bundeslandgrenzen hinaus, sind diffiziler. Steht im Arbeitsvertrag ein bestimmter Arbeitsort, der vom späteren Standort abweicht, ist keine örtliche Versetzungsklausel vorhanden und bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Arbeitgeber eine ggf. bundesweite Ausübung seines örtlichen Weisungsrechts vorbehalten hat, müssen Arbeitgeber die Vertragsbeziehungen mit den betroffenen Arbeitnehmern abändern. Hier kommen sowohl einvernehmliche Vertragsänderungen als auch betriebsbedingte Änderungskündigungen in Betracht.

Bei Neueinstellungen unmittelbar vor Durchführung der Standortverlagerung sollte darauf geachtet werden, dass der Arbeitsvertrag bereits so ausgestaltet ist, dass der Arbeitsortwechsel entsprechend vorgesehen ist.

Eskalationsmodus durch Änderungskündigung

Weigern sich Arbeitnehmer die Standortverlagerung mitzumachen und ist eine einvernehmliche Lösung nicht in Sicht, müssen Arbeitgeber eine betriebsbedingte Änderungskündigung in Betracht ziehen, um einseitig den vertraglich festgelegten Arbeitsort abzuändern. Grundsätzlich gelten für eine betriebsbedingte Änderungskündigung dieselben Rechtsmäßigkeitsgrundsätze wie bei einer betriebsbedingten Beendigungskündigung. Maßgeblich ist, dass eine Weiterbeschäftigung am bisherigen Standort aufgrund des Umzugs nicht mehr möglich ist, da es die bisherige Betriebsstätte dort nicht mehr gibt.

Kompromiss durch einvernehmliche Regelung

Änderungskündigungen machen nur Sinn, wenn auf die Mitarbeiter verzichtet werden kann, die den Standortwechsel nicht mitmachen wollen. Soweit die Arbeitnehmer, insbesondere solche in Schlüsselpositionen, jedoch nicht verzichtbar sind, müssen Arbeitgeber darüber nachdenken, wie sie die Arbeitnehmer vom Arbeitsortwechsel überzeugen können – jedenfalls so lange, bis Nachfolger eingearbeitet sind. Hierfür stehen verschiedene Tools als Incentives zur Verfügung: Beispielsweise können Arbeitgeber, ähnlich wie es manchmal bei Abschluss eines Neu-Arbeitsverhältnisses der Fall ist, den Arbeitnehmern eine Umzugspauschale anbieten. Alternativ kann auch eine finanzielle Beteiligung an einer ggf. erfolgenden doppelten Haushaltsführung vereinbart werden. Nicht vergessen werden darf als Option auch, den Arbeitnehmern – soweit es die Art der Tätigkeit erlaubt – eine Arbeit im Home Office oder mobiles Arbeiten zu ermöglichen.

Von welchen Möglichkeiten Arbeitgeber tatsächlich Gebrauch machen, hängt auch davon ab, wie viele Arbeitnehmer vom Standortwechsel betroffen sind, da der finanzielle Aufwand – insbesondere wenn entsprechende Angebote zwecks Gleichbehandlung allen Arbeitnehmern gemacht werden – erheblich sein kann.

Kommt es schließlich zu einer einvernehmlichen Änderung des Arbeitsortes, ist daran zu denken, dies entsprechend den aktuell geltenden Anforderungen des Nachweisgesetzes zu dokumentieren.

Spezialfall Auslandsstandortverlagerung

Bei einer Auslandsstandortverlagerung besteht selten die Erwartungshaltung von Arbeitgebern, dass ihre Bestandsmitarbeiter mitziehen. Sollte dies dennoch insbesondere bei Arbeitnehmern in unverzichtbaren Schlüsselpositionen der Fall sein, gilt auch in diesem Fall, dass Ausgangspunkt zur Prüfung der Umsetzbarkeit stets die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen sind. Darüber hinaus sind jedoch auch Aspekte wie Arbeitserlaubnisse, Visafragen sowie steuer- und sozialversicherungsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen.

Betriebsrat an Bord?

Unabhängig von etwaigen arbeitsvertraglichen Anpassungen sind bei Standortverlagerungen Mitbestimmungs- und Informationsrechte des Betriebsrats (und ggf. des bestehenden Wirtschaftsausschusses) sowie bestehende Betriebsvereinbarungen zu berücksichtigen. Mitbestimmungs- und Informationsrechte können insbesondere im Vorfeld zu einer Standortverlagerungsentscheidung gem. § 92a BetrVG bestehen oder eine Betriebsänderung im Falle eines (bereits) geplanten Umzugs betreffen.

Der (vollständige) Standortumzug des Arbeitgebers stellt grundsätzlich eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG dar, wenn die örtliche Änderung nicht nur geringfügig ist. Entscheidend ist, ob aus der räumlichen Verlegung des Standorts wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder einen erheblichen Teil der Belegschaft resultieren können. Das BAG hat 1982 entschieden (BAG vom 17.08.1982 – Az. 1 ABR 40/80), dass eine räumliche Verlagerung um 4,3 km innerhalb einer Großstadt die Beteiligungspflicht nach Nr. 2 auslösen kann. Nicht (allein) entscheidend ist, ob die Arbeitnehmer auf Grund der Bedingungen ihrer Arbeitsverhältnisse ohne Weiteres zur Tätigkeit in der neuen Betriebsstätte verpflichtet sind oder ob eine Änderung der Arbeitsverträge erforderlich ist. Liegt eine Betriebsänderung vor, müssen Verhandlungen zum Abschluss eines Interessen- und Sozialplans aufgenommen werden. In einem Sozialplan sollten insbesondere Regelungen für den Fall aufgenommen werden, dass arbeitnehmerseits ein Mitziehen (begründet) nicht realisiert wird oder (nachweisbar) nur schwer zu realisieren ist. Hier ist gestalterisch beispielsweise an (gestaffelte) Abfindungszahlungen oder eine Art Freiwilligenprogramm im Falle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder an eine Kostenbeteiligung bei einem arbeitgeberveranlassten Umzug zu denken. Ist die Standortverlagerung in größere Restrukturierungsmaßnahmen eingebettet, können weitere Rechte des Betriebsrats betroffen sein und umfangreichere Verhandlungen erfordern.

Kein entgegenstehender Tarifvertrag?

Tarifgebundene Arbeitgeber sollten vor Standortverlagerungen prüfen, ob ihrem Vorhaben bereits abgeschlossene Tarifverträge entgegenstehen. Sog. Standortsicherungstarifverträge sind keine Seltenheit und können als Firmentarifverträge oder firmenbezogene Verbandstarifverträge vorkommen. Durch Standortsicherungstarifverträge soll eine Standortverlagerung abgewendet werden. Der Arbeitgeber gibt im Rahmen eines Standortsicherungstarifvertrags für einen gewissen Zeitraum eine Standortgarantie ab (beispielsweise verzichtet er auf die Schließung bestimmter Betriebsstätten), im Gegenzug macht die Gewerkschaft Zugeständnisse u.a. bei Entgeltleistungen und verzichtet z.B. auf tarifliche Sonderzahlungen oder sieht Arbeitszeitverlängerungen vor. Standortsicherungstarifverträge sind nicht unumstritten, weil bisher ungeklärt ist, ob es sich bei einer Standortgarantie wirklich um ein tariflich regelbares Ziel handelt und wie die Garantie rechtlich einzuordnen ist. Hiermit hängt auch die Frage zusammen, ob Gewerkschaften für den Abschluss solcher Tarifverträge streiken dürfen.

Abzugrenzen sind Standortsicherungstarifverträge von sog. Tarifsozialplänen, die Standortverlagerungen nicht mehr präventiv zu verhindern versuchen, sondern Regelungen aufstellen, die die Folgen einer Standortverlagerung für die Gewerkschaftsmitglieder abmildern sollen („Rationalisierungsschutz“).

Fazit

Genauso wie beim Privatumzug gilt auch beim Umzug von Betriebsstätten und Unternehmen, dass das Vorhaben einiger Planung bedarf. Insbesondere muss vorher ein genauer Überblick erarbeitet werden, wie viele Arbeitnehmer in welchem Umfang betroffen sind. Bestehende Regelungen wie Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge, die einen Umzug ggf. erschweren, sind zu prüfen und Mitbestimmungs- und Informationsrechte der zuständigen Arbeitnehmervertretungsgremien zu wahren. Insgesamt handelt es sich um ein Thema, das aktuell aufgrund steigenden Kostendrucks auf Unternehmen und einer (behaupteten) Tendenz der Deindustrialisierung Deutschlands immer stärker in den Vordergrund gerät.

Friederike Welskop


Rechtsanwältin
Associate
Friederike Welskop berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
Verwandte Beiträge
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Politischer Content in sozialen Medien – Meinungsfreiheit vs. Rücksichtnahmepflicht

Im digitalen Zeitalter bieten die sozialen Medien nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Kommunikation. Veröffentlichter Content geht viral. Und immer häufiger belasten veröffentlichte oder geteilte Inhalte das Arbeitsverhältnis. Gleichwohl sind die Hürden für entsprechende Arbeitgeberkündigungen hoch. Immer häufiger rücken politische Äußerungen von Arbeitnehmern in den Fokus von Arbeitgebern. Ein prominentes Beispiel stellt etwa die Kündigung des Fußballbundesligisten Mainz 05 gegenüber dem Spieler, Anwar El Ghazi, wegen eines…
Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Prozessrecht Vergütung

Wer muss was beweisen? – Beweislast im Kontext der Betriebsratsvergütung

Die Volkswagen-Entscheidung des BGH zur Untreue bei Betriebsratsvergütung (siehe unseren Blogbeitrag vom 20. März 2023) hat viele Unternehmen veranlasst, die Vergütung ihrer Betriebsräte zu überprüfen und teilweise zu reduzieren, um rechtliche Risiken zu vermeiden. Wer diesen Prozess bereits durchlaufen hat weiß, wie knifflig diese Thematik ist. In einem aktuellen Urteil des LAG Niedersachsen (14.02.2024 – 6 Sa 559/23) werden die Grundsätze des BAG zur Anpassung…
Individualarbeitsrecht Kündigung, allgemein Neueste Beiträge

Kündigung per Einwurfeinschreiben: Auf die „postübliche Einwurfzeit“ kommt es an

Bei der Zustellung eines Kündigungsschreibens sind Fehler besonders ärgerlich – kommen jedoch häufig vor. Gerade bei längeren Kündigungsfristen, z.B. zum Quartalsende, kann eine fehlerhafte Zustellung zu (vermeidbaren) Mehrkosten für den Arbeitgeber führen. In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht den Zugangszeitpunkt bei Kündigungen durch Einwurfeinschreiben weiter präzisiert. Zugang durch Einwurfeinschreiben Der Zugang eines Kündigungsschreibens durch Einwurfeinschreiben tritt ein, wenn das Schreiben in den Machtbereich des…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.