Macht eine Gesellschaft gegen ihre Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglieder Schadensersatzansprüche aus Organhaftung gerichtlich geltend, ist die Klage in der Regel gegen das Organmitglied zu richten. Dies gilt auch dann, wenn Versicherungsschutz in Form einer Vermögensschadenshaftpflichtversicherung (D&O-Versicherung) besteht. Es gibt aber auch Gestaltungen, die eine unmittelbare Klage der Gesellschaft gegen den D&O-Versicherer (sog. Direktprozess) ermöglichen. Dieser Beitrag beleuchtet unter Berücksichtigung neuester Rechtsprechung, was es für die Organe und die Gesellschaft hierbei zu beachten gilt.
Ausgangpunkt: Kein Direktanspruch gegen den D&O-Versicherer
Im Rahmen der D&O-Versicherung sind verschiedene Rechtsverhältnisse zu unterscheiden: Der Versicherungsvertrag wird in der Regel zwischen dem D&O-Versicherer und der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin abgeschlossen. Versicherte Personen im Rahmen dieses Vertrags sind üblicherweise die Mitglieder des Vertretungsorgans, häufig auch die des Aufsichtsrats und gegebenenfalls auch leitende Angestellte. Nimmt die Gesellschaft ein Organmitglied wegen einer Pflichtverletzung nach § 93 Abs. 2 AktG bzw. 43 Abs. 2 GmbHG auf Schadensersatz in Anspruch, ist eine Klage wegen dieses Haftungsanspruchs grundsätzlich gegen das Organmitglied zu richten, nicht gegen den Versicherer (kein Direktanspruch). Das Organmitglied als versicherte Person hat dann wiederum einen Freistellungsanspruch gegen den D&O-Versicherer aus dem zu seinen Gunsten abgeschlossenen Versicherungsvertrag.
Direktprozess durch Abtretung
Möglich ist es jedoch auch, dass das Organmitglied seinen Freistellungsanspruch gegen den D&O-Versicherer an die Gesellschaft abtritt. Der Freistellungsanspruch wird hierdurch zum Zahlungsanspruch, den die Gesellschaft unmittelbar gegen den D&O-Versicherer geltend machen kann. Die grundsätzliche Zulässigkeit dieser Gestaltung ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt (BGH vom 13.4.2016 – IV ZR 304/13). Sie kann aus verschiedenen Gründen interessant sein. Dies gilt insbesondere bei einem noch fortbestehenden Anstellungsverhältnis. Hier würde ein Gerichtsprozess, bei dem sich Gesellschaft und Vorstand/Geschäftsführer als Gegner gegenüberstehen, die Zusammenarbeit erheblich belasten.
Abtretung erfüllungshalber
Üblicherweise erfolgt die Abtretung des Freistellungsanspruchs erfüllungshalber. Dies bedeutet, der Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen das Organmitglied bleibt erhalten und erlischt erst, wenn die Gesellschaft durch die Klage gegen die D&O-Versicherung auch tatsächlich Befriedigung erlangt hat. Aus Sicht des Organmitglieds empfiehlt sich daher eine Stillhaltevereinbarung (pactum de non petendo), wonach die geschädigte Gesellschaft so lange auf ein weiteres Vorgehen gegen das Organmitglied persönlich verzichtet, wie die Möglichkeit besteht, vom Versicherer Schadensersatz zu erhalten. Nach Auffassung des OLG Schleswig in einem Urteil vom 26.2.2024 (16 U 93/23) ist bei einer Abtretung erfüllungshalber auch ohne ausdrückliche Vereinbarung von einem solchen pactum de non petendo auszugehen.
Möglicher Fallstrick: Abtretung an Erfüllungs statt
Für das Organmitglied regelmäßig noch günstiger ist eine Abtretung an Erfüllungs statt. Die Abtretung an Erfüllungs statt führt zum endgültigen Erlöschen des Schadenersatzanspruchs der Gesellschaft gegen das Organmitglied. Es steht dann also fest, dass das Organmitglied nicht mehr persönlich in Anspruch genommen werden kann.
Für die Gesellschaft stellt sich dann jedoch die Frage, ob sie nach einer solchen Abtretung überhaupt gegen den Versicherer vorgehen kann. Denn die Einstandspflicht des D&O-Versicherers hängt grundsätzlich vom Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gegen die versicherte Person, hier also das Organmitglied, ab. Daher wird vertreten, dass mit Erlöschen dieses Haftungsanspruchs auch die Einstandspflicht des Versicherers entfalle. Die Abtretung an Erfüllungs statt hätte also zur Folge, dass die Gesellschaft ganz leer ausginge. Das OLG Köln hat dieser Auffassung jedoch jüngst in einem Urteil vom 21.11.2023 [Oberlandesgericht Köln, 9 U 206/22 (nrw.de)] eine Absage erteilt. Der Deckungsanspruch bestehe auch bei einer Abtretung an Erfüllungs statt fort und die Gesellschaft können nach Abtretung daher den D&O Versicherer in Anspruch nehmen.
Auch wenn man dieser überzeugenden Rechtsauffassung folgt, verbleiben Risiken für die Gesellschaft: Nach einer Abtretung an Erfüllungs statt ist ein Rückgriff auf das Privatvermögen des Organmitgliedes auch dann nicht möglich, wenn der Prozess gegen den D&O-Versicherer aus deckungsrechtlichen Gründen ganz oder teilweise erfolglos ist (etwa weil es sich um eine vorsätzliche Pflichtverletzung des Organmitglieds handelt, die nicht vom Versicherungsschutz erfasst ist oder weil die Versicherungssumme überschritten wird).
Auswirkungen auf die Beweislast
Im „klassischen“ Organhaftungsprozess der Gesellschaft gegen ein Organmitglied gilt eine Beweislastumkehr: Nicht die Gesellschaft muss beweisen, dass der Vorstand pflichtwidrig gehandelt hat, sondern das Vorstandsmitglied muss beweisen, dass es pflichtgemäß gehandelt hat (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG). Im GmbHG fehlt eine entsprechende explizite Regelung. Der Bundesgerichtshof geht jedoch in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auch zulasten von GmbH-Geschäftsführern eine solche Beweislastumkehr gelte. Wie aber ist die Beweislast verteilt, wenn die Gesellschaft nach erfolgter Abtretung unmittelbar den D&O-Versicherer in Anspruch nimmt? Dies ist streitig. Nach Auffassung des OLG Köln in dem erwähnten Urteil vom 21.11.2023 soll die gesetzliche Beweislastverteilung auch in diesem Direktprozess gelten: Somit muss der anstelle des Organmitglieds verklagte D&O-Versicherer letztlich darlegen und beweisen, dass das Organmitglied pflichtgemäß gehandelt hat.
Zu beachten: Vergleichs- und Verzichtsverbot des § 93 Abs. 4 AktG
Die dargestellte Gestaltung (Abtretung des Deckungsanspruchs und dadurch Ermöglichung eines Direktprozess gegen den D&O-Versicherer) muss bei einer Aktiengesellschaft zudem die Grenzen des § 93 Abs. 4 Satz 2 Aktiengesetz beachten. Hiernach kann die Gesellschaft erst drei Jahre nach der Entstehung des Anspruchs und nur dann auf Ersatzansprüche verzichten oder sich über sie vergleichen, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit von Aktionären, die 10 % des Grundkapitals vertreten, Widerspruch erhebt. Auch die Vereinbarung einer Abtretung an Erfüllung statt fällt unter dieses Vergleichs- und Verzichtsverbot, da sie gegenüber dem Vorstand einen Verzicht darstellt. Ob die Abtretung einer Forderung erfüllungshalber (verbunden mit einem pactum de non petendo) ebenfalls den Einschränkungen unterliegt, ist dagegen umstritten. Wohl überwiegend wird dies verneint.
Ausblick
Die Möglichkeiten, einen Direktprozess gegen den D&O-Versicherer zu führen, werden in der Praxis immer häufiger genutzt. Das ausführlich begründete Urteil des OLG Köln vom 21.11.2023 dürfte diese Tendenz weiter verstärken. Die Vertreter der Gesellschaft (im Falle eines Anspruchs gegen den Vorstand einer Aktiengesellschaft also der Aufsichtsrat) müssen aber bei der Entscheidung für diese Option und bei der konkreten Ausgestaltung Sorgfalt walten lassen, wollen sie nicht selbst in die Haftung geraten.