Der EuGH hatte mit seinem Urteil vom 27.4.2017 (Rechtssache „Asklepios“) mit europarechtlichen Bedenken vorerst aufgeräumt, die (nach deutscher Rechtslage) die nach Betriebsübergang gem. § 613a BGB fortgeltende Dynamik einer einzelvertraglichen Verweisung auf einen bestimmten Tarifvertrag betrafen (sog. „kleine dynamische Bezugnahmeklausel“).
Nunmehr hatte sich das BAG in seinem Urteil vom 30.8.2017 (4 AZR 95/14) erneut mit dem Fall zu beschäftigen und bestätigte dabei unter Berücksichtigung der Vorgaben des EuGH seine bisherige Rechtsprechung.
Die Vorlage des BAG und die Vorgaben des EuGH
Das BAG hatte nach aufkommenden Zweifeln an der Vereinbarkeit einer Fortgeltung der Dynamik von kleinen dynamischen Bezugnahmeklauseln mit den europäischen Vorgaben dem EuGH im Falle eines Betriebsübergangs sinngemäß die Frage vorgelegt, ob das Unionsrecht der dynamischen Anwendung von Tarifverträgen aufgrund einer dynamischen Bezugnahmeklausel nach einem Betriebsübergang entgegenstehe, sofern das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsehe.
In der Rechtssache „Asklepios“ führte der EuGH unter Verweis auf die auch durch die Betriebsübergangsrichtlinie anerkannte Privatautonomie zunächst aus, dass die Betriebsübergangsrichtlinie einer dynamischen Fortgeltung nicht per se entgegenstehe.
Da diese allerdings den Zweck eines gerechten Ausgleichs zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen verfolge, müsse der Erwerber nach dem Übergang die erforderlichen Anpassungen vornehmen können; dies sei dann anzunehmen, wenn das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten betreffend die Verweisung vorsehe.
Hiervon sei im vorliegenden Fall gemäß der Vorlagefrage des BAG „auszugehen„, welches die Frage letztlich abschließend zu beurteilen habe.
Die Umsetzung der Vorgaben des EuGH durch das BAG
Das BAG hat nunmehr festgestellt, dass mit Blick auf die Vorgaben des EuGH die Bindung des Erwerbers an die individualrechtlich vereinbarte dynamische Bezugnahme nicht gegen unionsrechtliche Vorgaben verstoße, da die deutsche Rechtsordnung sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten vorsehe.
Überzeugend ist dies hinsichtlich der einvernehmlichen Änderung der Arbeitsvertragsbedingungen: Solche sind auch nach einem Betriebsübergang möglich und auch die Sperrfrist des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB steht dem nicht entgegen. Diese gilt ausschließlich für diejenigen Rechte und Pflichten, die zuvor kollektivrechtlich galten – dies ist bei der individualvertraglichen Bezugnahmeklausel gerade nicht der Fall.
Weniger überzeugend sind jedoch die Ausführungen des BAG zur Änderungskündigung gem. § 2 KSchG: Insoweit verweist das BAG darauf, der Umstand, dass eine solche gem. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt sein müsse, sei mit den Vorgaben des EuGH vereinbar. Der EuGH habe keine materiell-rechtlichen Kriterien aufgestellt, denen die einseitige Anpassungsmöglichkeit genügen müsse.
Insbesondere würden für den Betriebserwerber keine voraussetzungsfreien Änderungsmöglichkeiten verlangt, sondern lediglich die Möglichkeit von „erforderlichen“ Anpassungen. Das Merkmal der „Erforderlichkeit“ könne jedoch bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Änderungskündigung im Rahmen eines Änderungskündigungsschutzverfahrens ausreichend berücksichtigt werden.
Den vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BAG zur Entgeltabsenkung durch Änderungskündigung teilweise (und berechtigterweise) erhobenen Einwand, eine Änderungskündigung zum Zwecke der Beseitigung der Dynamik sei nahezu unmöglich, hält das BAG für nicht durchgreifend: Bei der Entdynamisierung der Verweisungsklausel gehe es gerade nicht um eine Entgeltabsenkung, sondern die Aufrechterhaltung des bisherigen Entgeltniveaus.
Im Ergebnis gelangt das BAG damit zu einer Fortgeltung der Dynamik der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auch für die Zeit nach einem Betriebsübergang.
Daneben hat sich das BAG auch (nochmals) zur Thematik der Altverträge (abgeschlossen vor dem 1.1.2002) geäußert. Hier hat das BAG konsequent und nach wie vor überzeugend seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach kleine dynamische Bezugnahmeklauseln weiterhin als Gleichstellungsabreden auszulegen sind, die im Falle eines Betriebsübergangs auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber ihre Dynamik verlieren.
Praxisfolgen und Ausblick
Wie zu erwarten, ist das BAG auch trotz der Entscheidung des EuGH bei seiner bisherigen Rechtsauffassung zu kleinen dynamischen Bezugnahmeklauseln geblieben.
Dies bedeutet, dass bei nach dem 1.1.2002 vereinbarten Klauseln auch nicht tarifgebundene Betriebserwerber an die Dynamik gebunden sind und die nach dem Betriebsübergang vereinbarten Tariflohnerhöhungen weitergeben müssen.
Die Sichtweise des BAG, wonach die Änderungskündigung mit dem Ziel der Lösung von der vereinbarten Dynamik dem Betriebserwerber eine ausreichende „einseitige Anpassungsmöglichkeit“ im Sinne der Vorgaben des EuGH biete, muss vor dem Hintergrund der grundsätzlich hohen Anforderungen an eine solche aber stark angezweifelt werden. Mit den konkreten Anforderungen setzt sich das BAG jedoch nicht auseinander.
Man kann den Ausführungen des BAG allerdings durchaus entnehmen, dass die entsprechenden Voraussetzungen in richtlinienkonformer Auslegung wohl (deutlich) unter denjenigen einer Änderungskündigung zum Zwecke der Entgeltreduzierung liegen müssten.
Eine Konkretisierung wird sich hier aber erst herausarbeiten, wenn sich das BAG mit der Wirksamkeit einer entsprechenden Änderungskündigung zu befassen hat. Auch ist zu erwarten, dass sich in diesem Zusammenhang auch der EuGH erneut mit dieser Thematik zu befassen haben wird. Das letzte Wort zur dynamischen Bezugnahme ist also noch lange nicht gesprochen.