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Betriebsrat Betriebsverfassung

Flucht des Betriebsrats aus dem Amt? Pflichtverstöße und Amtswechsel

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Betriebsrat

Die Betriebsratswahlen stehen unmittelbar vor der Tür. In vielen Betrieben eine regelmäßig wiederkehrende Routine – in anderen Anlass für erhitzte Gemüter im Wahlkampf. Der ein oder andere Kandidat buhlt, nicht anders als im politischen Betrieb, mit härteren Bandagen um die Aufmerksamkeit und Gunst seiner Wähler. Auch jenseits des Wahlkampfes aber kommen Amt und Arbeitspflicht des Betriebsrats sich gelegentlich ins Gehege.

Verstoß „aus vorheriger Amtszeit“?

Unzufriedenheit mit der Arbeitspflicht des Betriebsrat war es, die dem Urteil des 2. Senats des BAG vom 16. November 2017 (2 AZR 14/17) zu Grunde lag.

Die Betriebsratsvorsitzende eines kleinen Tagungszentrums in Baden-Württemberg, beschäftigt als Abteilungsleiterin Housekeeping, war aus privaten Gründen in einen Ort in rund 250 Kilometer Entfernung verzogen und kam seither nur dreimal pro Woche zur Arbeit in den Betrieb. Da sich Kunden über ihre Abwesenheit beschwert hatten, wurde sie angewiesen, künftig wieder an 5 Tagen die Woche im Betrieb zu erscheinen.

In Vollzeit und ohne Homeoffice-Abrede hätte sie der Weisung Folge leisten müssen. Stattdessen, selbst für die Dienstpläne zuständig, widersetzte sie sich der Anweisung und trug sich weiterhin nur an drei Tagen vor Ort ein. Sie setzte dies auch nach Abmahnung fort. Der Betriebsrat, dessen Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung wegen der Arbeitsverweigerung eingeholt wurde, verweigerte die Zustimmung. Der Arbeitgeber beantragte die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung, die letztlich vom LAG rechtskräftig erteilt wurde.

Kurz nach Zustellung des Beschlusses legte die Betriebsratsvorsitzende ihr Amt nieder. Der Betriebsrat bestellte einen Wahlvorstand für eine neu einzuleitende Betriebsratswahl und bestellte die ehemalige Vorsitzende zur Vorsitzenden des Wahlvorstands. Das Unternehmen kündigte seiner ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden nach der Zustellung und erneut mit Rechtskraft des Beschlusses. Im Zeitpunkt der zweiten Kündigung war sie schon nicht mehr Vorsitzende des Betriebsrats.

Gegen die Kündigungen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Berufung auf den Sonderkündigungsschutz treuwidrig sei. Das LAG hat die zweite, nach Rechtskraft ausgesprochene Kündigung für wirksam erklärt und die Revision zugelassen.


Gegenstand der Zustimmungsersetzung: Der Verstoß

Das BAG hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Zustimmungsersetzung noch Bestand hatte, wenn sich das zu Grunde liegende Amt zwischenzeitlich geändert hatte. Mit viel betriebsverfassungsrechtlicher Energie hatte sich die Klägerin der ersetzten Zustimmung zu entziehen versucht und argumentiert, das Verfahren habe sich doch erledigt, weil ihr Amt in Folge Niederlegung erloschen sei. Eine valide Argumentation?

Nein, wie das BAG unter Bestätigung und Präzisierung seiner bisherigen Rechtsprechung festgestellt hat. Das Erlöschen des Amts im Betriebsrat führe nicht dazu, dass sich ein Zustimmungsersetzungsverfahren erledige oder ein (noch nicht rechtskräftiger) Zustimmungsbeschluss wirkungslos werde. Gegenstand des Zustimmungsersetzungsverfahrens sei der Anspruch auf Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung aus den vom ihm geltend gemachten Gründen. Der entscheidende Rechtssatz des BAG:

„Die gerichtliche Entscheidung im Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG ersetzt nicht die Zustimmung des Betriebsrats im Hinblick auf eine konkrete Amtsträgereigenschaft, sondern bezogen auf die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe.“

Damit kommt es für die Ersetzung der Zustimmung allein auf den Verstoß an. Ist diesbezüglich eine Zustimmung ersetzt, wäre ein neuerliches Zustimmungsersetzungsverfahren im neuen Amt, das sich auf denselben Sachverhalt stützt, wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig. Das Amt (im Zeitpunkt des Verstoßes) spielt nur insofern eine Rolle, als bei der Bewertung der Kündigungsgründe zu prüfen ist, ob durch die Ausübung des Amtes erst die Gelegenheit entstand, in Konflikt mit den arbeitsvertraglichen Pflichten zu geraten. Das wäre zu Gunsten des Betriebsrats abzuwägen.

Wichtig ist insoweit auch der Hinweis des BAG, dass es bei der kündigungsrechtlichen Prüfung nicht um die kollektiven Interessen am Erhalt der Amtstätigkeit des Funktionsträgers geht: Es geht „allein“ (BAG a.a.O.) um eine Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand. Ob die Person noch als Wahlvorstand gebraucht wird oder nicht, spielt bei der Prüfung keine Rolle.

Abgrenzung zum Ausschluss aus dem Betriebsrat

Zentral bleibt die im Vorfeld zu klärende Frage, ob das Betriebsratsmitglied durch sein Amt erst die Gelegenheit zum Verstoß gegen den Arbeitsvertrag bekam. Denkbar ist das vor allem bei Verstößen gegen die vertragliche Pflicht zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen: Erhält ein Betriebsrat im Rahmen seines Amtes von Geschäftsgeheimnissen Kenntnis und veröffentlicht diese gegen den Willen des Arbeitgebers, verstößt er zwar gegen seinen Arbeitsvertrag. Die Pflichtverletzung ist jedoch nur eingetreten, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist. Deshalb ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen.

Eine außerordentliche Kündigung wäre unwirksam, wenn der Ausschluss aus dem Betriebsrat als milderes Mittel in Betracht kommt (so LAG Hessen vom 12. März 2015 – 9 TaBV 188/14). Der Ausschluss aus dem Betriebsrat allerdings muss dann, anders als die Kündigung, sehr wohl das Amt im Blick behalten: Endet die laufende Amtszeit vor Rechtskraft und wurde der Amtsträger wiedergewählt, wird der Ausschließungsantrag wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Dennoch bleibt der Ausschluss – wenn auch unzulässig – milderes Mittel (so LAG Hessen a.a.O.). Nicht ganz ohne Grund hatte das Hessische LAG die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen.

Bis auf weiteres ist allerdings davon auszugehen, bei der Prüfung des Ausschlusses aus dem Betriebsrat nicht der Verstoß, sondern das Amt zählt. Verstöße gegen Ende der Amtszeit könnten dann häufig ohne Konsequenz bleiben. Das BAG hatte keine Gelegenheit, den Widerspruch aufzulösen, der Beschluss ist rechtskräftig.

Folgen für die Praxis

Die Praxis auf Unternehmensseite muss sich durch das Urteil des BAG nicht ändern. Sie muss bei Kündigung eines Amtsträgers „nur“ gewährleisten, dass die Kündigung unverzüglich nach Rechtskraft einer gerichtlichen Zustimmungsersetzung ausgesprochen wird. Welches Amt der zu kündigende Betriebsrat bei Rechtskraft ausübt, ist ohne Belang.

Für die Praxis vor dem Arbeitsgericht ist damit Klarheit gewonnen: Liegt die rechtskräftig ersetzte Zustimmung einmal vor, ist die anschließende Prüfung im Kündigungsschutzverfahren rein kündigungsrechtlich durchzuführen – einen „Sonderbonus“ wegen des Amtes gibt es dann nicht. Damit bleibt es bei der praktisch präjudiziellen Wirkung des Beschlussverfahrens: Wird die Zustimmung ersetzt, wird die Kündigungsschutzklage regelmäßig unbegründet sein.

Die Wahl des richtigen Weges folgt also folgendem Prüfungsprogramm:

  • Verstoß nur gegen den Arbeitsvertrag: Zustimmungsersetzung und Kündigung unbeschadet des Amts bei Zugang der Kündigung und nicht durch Neuwahl heilbar.
  • Verstoß auch gegen den Arbeitsvertrag oder Verstoß bei Gelegenheit des Betriebsratsamts: Ausschluss aus dem Betriebsrat als milderes Mittel zu prüfen, nach h.M. zu heilen durch Neuwahl.
  • Grober Verstoß (nur) gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten: Ausschließlich Ausschluss gem. § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG zu beantragen.

Im Zweifelsfall sollte mit einem Antrag auf Zustimmungsersetzung nach § 103 Abs. 2 BetrVG hilfsweise der Antrag auf Ausschluss aus dem Betriebsrat gestellt werden – jedenfalls dann, wenn die Pflichtverletzung zumindest auch eine grobe Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten darstellt oder wenn Klarheit durch Rechtsbeschwerde angestrebt ist.

Ist der Fall jedoch – wie im Fall des BAG vom 16. November 2017 – klar auf der arbeitsvertraglichen Ebene angesiedelt, bleibt es wie bisher nur bei einem Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG. Der Arbeitgeber muss dann nur darauf achten, unverzüglich nach Rechtskraft zu kündigen, egal, welches Amt der Amtsträger zu dem Zeitpunkt ausübt. Noch vor der Rechtskraft kündigen muss der Arbeitgeber allerdings dann, wenn die Amtszeit endet.

Die Trennung von dem sich pflichtwidrig verhaltenden Betriebsrat bleibt also eine Herausforderung, die sich – wenn auch in der Praxis nicht häufig – auf von der Rechtsprechung zunehmend ausdifferenziertem Terrain stellt.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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