Das Arbeitsrecht kennt zahlreiche Schwellenwerte. Immer wieder stellt sich die Frage, ob Leiharbeitnehmer im Betrieb des Entleihers bei der Berechnung der Schwellenwerte zu berücksichtigen sind. Bislang gerichtlich noch nicht entschieden war die Frage, ob Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Betriebsgröße nach § 17 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen sind. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf setzt sich in der Entscheidung vom 8. August 2016 (Az. 11 Sa 705/15) nun erstmals mit dieser Frage auseinander und kommt zu einem überraschenden Ergebnis.
Worum ging es in der Entscheidung?
Geklagt hatte eine Arbeitnehmerin, die die Unwirksamkeit ihrer betriebsbedingten Kündigung geltend machte. Der Arbeitgeber beschäftigte im Betrieb regelmäßig 120 Mitarbeiter. Zusätzlich wurden drei, zeitweise auch vier Leiharbeitnehmer in diesem Betrieb tätig. Der Arbeitgeber beschloss zwölf Arbeitnehmer zu entlassen, wovon auch die Klägerin betroffen war. Auf eine Massenentlassungsanzeige verzichtete der Arbeitgeber jedoch. Der Arbeitgeber überlegte kurz, ob er eine Massenentlassungsanzeige stellen muss, addierte hierzu die Stammbelegschaft und die Leiharbeitnehmer (zusammen 123 bzw. 124 Beschäftigte) und kam zu dem Ergebnis, dass er hinter dem Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Nr. 2 KSchG zurück bleiben würde. Er wollte ja weniger als 10% seiner Belegschaft entlassen. Dachte er zumindest.
Leiharbeitnehmer und die Schwellenwerte
Das Bundesarbeitsgericht hatte zahlreiche Gelegenheiten darüber zu entscheiden, ob Leiharbeitnehmer bei der Berechnung von Schwellenwerten zu berücksichtigen sind und kam immer zu dem Ergebnis: Ja, Leiharbeitnehmer zählen:
- Berücksichtigung bei der Betriebsgröße im Sinne des § 23 Abs, 1 S. 2 KSchG, wenn der Einsatz der Leiharbeitnehmer auf einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf beruht,
- Ermittlung der Unternehmensgröße im Sinne des § 111 S. 1 BetrVG, wenn der Leiharbeitnehmer länger als drei Monate im Unternehmen eingesetzt wird,
- Berücksichtigung bei der Größe des Betriebsrats nach § 9 S. 1 BetrVG im Entleihbetrieb,
- Berücksichtigung der auf Stammarbeitsplätzen eingesetzten wahlberechtigten Leiharbeitnehmer für den Schwellenwert des Wahlverfahrens nach § 9 Abs. 1, Abs. 2 MitbestG.
Diese Rechtsprechung wurde durch die Änderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die zum 1. April 2017 in Kraft trat, in § 14 Abs. 2 AÜG teilweise in Gesetzesform gegossen.
Was ist nun mit den Schwellenwerten in § 17 Abs. 1 KSchG?
Zunächst nimmt das LAG Düsseldorf mit dem BAG an, dass es auf den Einzelfall ankomme, ob bei dem jeweiligen gesetzlich vorgesehenen Schwellenwert Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen seien, um dann dazu überzuleiten, dass eine Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern nicht dem Sinn und Zweck des § 17 Abs. 1 KSchG entspreche. Mit der Massenentlassungsanzeige werden im Wesentlichen zwei Zwecke verfolgt:
§ 17 KSchG verfolgt in erster Linie arbeitsmarktpolitische Ziele. Die Bundesagentur für Arbeit soll durch die ihr zu übermittelnden Informationen in die Lage versetzt werden, Massenentlassungen zu verhindern oder sich zumindest im Vorhinein auf eine Entlassung in größerem Umfang einzustellen. An diesem arbeitsmarktpolitischen Ziel fehle es bei Leiharbeitnehmern. Selbst wenn Leiharbeitnehmer nicht mehr im Betrieb des Entleihers eingesetzt werden, sind sie nicht unmittelbar von einer Entlassung bedroht, da das Arbeitsverhältnis zum Verleiher fortbesteht.
Ferner soll durch die Unterrichtung des Betriebsrat bei einer Massenentlassung sichergestellt werden, dass der Betriebsrat im Falle weitreichender Personalmaßnahmen die Möglichkeit der Vermeidung oder Abmilderung von Entlassungen mit dem Arbeitgeber beraten kann. Da Entlassungen im Betrieb des Entleihers nicht zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit den Leiharbeitnehmern führen, muss der Betriebsrat des Entleihbetriebs mit dem Arbeitgeber im Hinblick auf die Leiharbeitnehmer nicht beraten, ob Entlassungen vermieden oder abgemildert werden können. Das Arbeitsverhältnis mit dem Verleiher besteht ja fort.
Praxistipp
Die Revision gegen die Entscheidung des LAG Düsseldorf ist bei dem BAG anhängig (Az. 2 AZR 90/17). Hier bleibt abzuwarten, ob das BAG der Ansicht des LAG Düsseldorf folgt oder entsprechend seiner bisherigen Tendenz Leiharbeitnehmer bei der Betriebsgröße im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG mitzählt. Bis zu einer abschließenden Klärung durch das BAG empfiehlt es sich, vorsorglich eine Massenentlassungsanzeige zu stellen.
Mehr zu den Schwellenwerten im Arbeitsrecht finden Sie im Beitrag von Bernhard Groß, bereits hier im Blog veröffentlicht.
Mehr zur Änderung des § 14 Abs. 2 AÜG finden Sie im Beitrag von Dr. Moritz von der Ehe, bereits hier im Blog veröffentlicht.