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Arbeitnehmerüberlassung

Leiharbeitnehmer zählen! – Die geplante Änderung des § 14 Abs. 2 AÜG

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Leiharbeitnehmer

In einer ganzen Reihe von arbeitsrechtlichen Vorschriften ist der Eintritt von Rechtsfolgen von einer bestimmten (Mindest-)Zahl der in einem Betrieb oder Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer abhängig. Ob und inwieweit Leiharbeitnehmer bei derartigen „Schwellenwerten“ zu berücksichtigen sind, wird seit längerem diskutiert. Trotz einiger klärender Entscheidungen des BAG verbleiben Unsicherheiten. Der geplante § 14 Abs. 2 AÜG n.F. soll nun jedenfalls für das Betriebsverfassungsrecht und das Recht der Unternehmensmitbestimmung Klarheit schaffen.

Geplante Ergänzung des § 14 Abs. 2 AÜG

14 Abs. 2 AÜG n.F. ist Teil des von der großen Koalition geplanten „Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“, das nunmehr in Gestalt des durch die Koalitionäre am 10. Mai 2016 geänderten zweiten Referentenentwurfs vom 17. Februar 2016 vorliegt und zum 1. Januar 2017 in Kraft treten soll. Der Gesetzentwurf sieht eine Ergänzung des § 14 Abs. 2 AÜG um die folgenden Sätze 4, 5 und 6 vor:

„Soweit Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes mit Ausnahme des § 112a, des Europäische Betriebsräte-Gesetzes oder der auf Grund der jeweiligen Gesetze erlassenen Wahlordnungen eine bestimmte Anzahl oder einen bestimmten Anteil von Arbeitnehmern voraussetzen, sind Leiharbeitnehmer auch im Entleiherbetrieb zu berücksichtigen. Soweit Bestimmungen des Mitbestimmungsgesetzes, des Montan-Mitbestimmungsgesetzes, des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes, des Drittelbeteiligungsgesetzes, des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung des SE- und des SCE-Beteiligungsgesetzes oder der auf Grund der jeweiligen Gesetze erlassenen Wahlordnungen eine bestimmte Anzahl oder einen bestimmten Anteil von Arbeitnehmern voraussetzen, sind Leiharbeitnehmer auch im Entleiherunternehmen zu berücksichtigen. Soweit die Anwendung der in Satz 5 genannten Gesetze eine bestimmte Anzahl oder einen bestimmten Anteil von Arbeitnehmern erfordert, sind Leiharbeitnehmer im Entleiherunternehmen nur zu berücksichtigen, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt.“

Der Gesetzgeber setzt damit ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag um, Leiharbeitnehmer künftig bei allen Schwellenwerten der betrieblichen und der unternehmerischen Mitbestimmung zu berücksichtigen, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspreche.


Rechtsprechung des BAG zu Schwellenwerten

Das BAG ist in mehreren Entscheidungen von der bisherigen „Faustformel“ abgewichen, wonach Leiharbeitnehmer „wählen aber nicht zählen“. So für die Ermittlung der maßgeblichen Unternehmensgröße in § 111 Satz 1 BetrVG (BAG v. 18.10.2011 – 1 AZR 335/10) und hinsichtlich der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Betriebsratsgröße nach § 9 BetrVG (BAG v. 13.3.2013 – 7 ABR 69/11). Das BAG hat Leiharbeitnehmer zudem – jüngst – auch im Bereich der Unternehmensmitbestimmung nach § 9 MitbestG (BAG v. 4.11.2015 – 7 ABR 42/13) und („individualarbeitsrechtlich“) bei der Bestimmung der Betriebsgröße nach § 23 KSchG berücksichtigt (BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12).

Bislang hat das Gericht jedoch stets den Ausnahmecharakter der jeweiligen Entscheidung betont: Die Frage, ob Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind, lasse sich „nicht allgemein, sondern nur bezogen auf den jeweiligen Schwellenwert“ beantworten (BAG v. 4.11.2015 – 7 ABR 42/13).

Auch vermag die Rechtsprechung nicht in jeder Hinsicht zu überzeugen: So soll der Schwellenwert des § 111 Satz 1 BetrVG nach Ansicht des BAG vor allem dazu dienen, wirtschaftlich nicht leistungsfähige Unternehmen vor den Folgen einer sie überfordernden Mitbestimmung zu schützen. Ob sich aber die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens an der Zahl der in ihm beschäftigten (Leih-)Arbeitnehmer ablesen lässt, ist zumindest fragwürdig.

Zudem ist mit dem Verweis auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung der Bereich der unternehmerischen Mitbestimmung nur unzureichend erfasst. In der Regel zuständig für Fragen der Unternehmensmitbestimmung sind nämlich die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die bislang Leiharbeitnehmer bei Schwellenwerten nicht mitzählen (z.B. OLG Hamburg v. 31.1.2014 – 11 W 89/13).

Rechtsklarheit und neue Unsicherheiten

Aus Sicht der Praxis ist die geplante Ergänzung des § 14 Abs. 2 AÜG dennoch grundsätzlich zu begrüßen, beseitigt sie doch zumindest bestehende Unsicherheiten und dient damit vor allem der Rechtsklarheit: Leiharbeitnehmer sind künftig bei der Berechnung von Schwellenwerten der betrieblichen und der unternehmerischen Mitbestimmung prinzipiell mitzuzählen.

Ausnahme ist der Schwellenwert des § 112a BetrVG. Zu den Gründen dieser Ausnahme schweigt der Referentenentwurf zwar, erkennbar geht es aber darum, die Einbeziehung von Leiharbeitnehmern nicht zum Nachteil der Stammbelegschaft wirken zu lassen. Bezöge man Leiharbeitnehmer auch bei der Berechnung nach § 112a BetrVG ein, so erhöhte sich dadurch nur der Bezugswert für die dort genannten Prozentzahlen. Dadurch könnte bei bestimmten Betriebsänderungen die Sozialplanpflicht entfallen.

Neue Unsicherheiten dürften durch die Voraussetzung entstehen, Leiharbeitnehmer in der Unternehmensmitbestimmung nur dann zu berücksichtigen, wenn ihre Einsatzdauer 6 Monate übersteigt. Diese – erst „in letzter Minute“ in das Gesetz eingefügte – Einschränkung ist wahrscheinlich arbeitnehmerbezogen zu verstehen, so dass mehre kurzzeitig eingesetzte Leiharbeitnehmer auch dann nicht zu berücksichtigen sind, wenn ihr Arbeitsplatz länger als sechs Monate besteht. Umgekehrt dürften auch Vorbeschäftigungszeiten zu berücksichtigen sein, so dass es wohl auf die Gesamteinsatzdauer eines Leiharbeitnehmers ankommt.

Keine Regelung zu sonstigen Schwellenwerten

Unberührt von der Neufassung des § 14 Abs. 2 AÜG bleibt ausdrücklich die Frage, ob Leiharbeitnehmer auch bei der Berechnung anderer arbeitsrechtlicher Schwellenwerte zu berücksichtigen sind. Insoweit verbleibt es bei der Notwendigkeit der Auslegung der konkreten Regelung unter Berücksichtigung des jeweiligen Normzwecks.

Welche Unsicherheiten damit praktisch verbunden sind, zeigt das Beispiel des § 17 KSchG. Unter Berücksichtigung des höchstrichterlich-gesetzgeberischen „Trends“ zur Einbeziehung der Leiharbeitnehmer spricht viel dafür, Leiharbeitnehmer zumindest bei der Bestimmung der Betriebsgröße „im Zweifel mitzuzählen“. Rechtssicher geklärt ist das bislang nicht.

 

Mehr zur geplanten AÜG-Reform finden Sie im Beitrag von Dr. Philipp Wiesenecker, bereits hier im Blog veröffentlicht.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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