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Kein Beweisverwertungsverbot durch Betriebsvereinbarung

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Das BAG hat in einer aktuellen Entscheidung bestätigt, dass in einer Betriebsvereinbarung kein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot vereinbart werden kann (BAG Urt. v. 29.06.2023 – 2 AZR 296/22). Die Forderung von Betriebsräten nach solchen Beweisverwertungsverboten in Betriebsvereinbarungen ist in der Praxis zunehmend beliebter geworden. Dem hat das BAG nun einen Riegel vorgeschoben. Denn die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens stehe nicht zur Disposition der Betriebsparteien.

Das Urteil des BAG hat in mancherlei Hinsicht richtungsweise Bedeutung. Bereits der Pressemitteilung war ein wichtiger Aspekt des Urteils in datenschutzrechtlicher Hinsicht zu entnehmen. So wurde mitgeteilt, dass eine offene Videoüberwachung – trotz einer Verletzung von Datenschutzrecht – nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führe, wenn der Nachweis einer vorsätzlichen Pflichtverletzung in Rede stünde. Wir berichteten bereits in unserem Blogbeitrag vom 1.8.2023. Den Entscheidungsgründen ist nun zu entnehmen, dass in einer Betriebsvereinbarung keine rechtswirksamen Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbote geregelt werden können.

Inhalt der Entscheidung

Gegenstand des Urteils war ein Kündigungsrechtsstreit über eine fristlose Kündigung. Die Arbeitgeberin kündigte aufgrund des Verdachts des Arbeitszeitbetrugs. Die zugrundeliegenden Erkenntnisse hatte sie der Auswertung der Aufzeichnungen der (offenen) Videoüberwachung und des Zeiterfassungssystems entnommen. Hierzu existierte eine Betriebsvereinbarung, die regelte, dass „keine personenbezogene Auswertung erfolgt“. Das LAG Niedersachsen (Urt. v. 6.7.2022 – 8 Sa 1149/20) entnahm dieser Regelung ein (Sachvortrags- und) Beweiswertungsverbot.

Das BAG konnte der Betriebsvereinbarung demgegenüber nicht entnehmen, dass die Parteien eine Datenverarbeitung zum Zwecke der Ahndung von vorsätzlichen Pflichtverletzungen ausschließen wollten. Eine solche Regelung stünde nicht im Einklang mit dem „Wohle des Betriebs“ nach § 2 Abs. 1 BetrVG.

Maßgeblich sei jedoch, dass den Betriebsparteien die Regelungsmacht fehle, in das gerichtliche Verfahren einzugreifen. Sie könnten weder ein über das formelle Verfahrensrecht hinausgehendes Verwertungsverbot etablieren noch die Möglichkeiten des Tatsachenvortrags zu betrieblichen Geschehnissen einschränken (Sachvortragsverwertungsverbot).

Auch könne die Betriebsvereinbarung keine berechtigte Privatheitserwartung bei den Arbeitnehmern begründen. Denn Zutrittserfassung und Videoüberwachung seien nicht heimlich erfolgt; der Arbeitnehmer habe sich der Datenverarbeitung vielmehr „sehenden Auges“ ausgesetzt.

Als weiteres Argument komme hinzu, dass eine Regelung nach § 134 BGB nichtig sei, die das Recht zur außerordentlichen Kündigung zumindest erheblich einschränke. Schließe eine Regelung jedoch das Recht aus, Erkenntnisse für eine außerordentliche Kündigung in einen Kündigungsschutzprozess einzuführen, läge darin eine erhebliche Einschränkung.

Einordnung der Entscheidung

Damit bleibt das BAG in diesem Urteil seiner verwertungsfreundlichen Linie in jeder Hinsicht treu. Bezeichnenderweise findet sich die ausdrückliche Formulierung „Datenschutz ist kein Tatenschutz“. In diesem Sinne hatte das BAG schon früh ausgeführt, dass die Verletzung von Verfahrensregelungen in einer Betriebsvereinbarung ein Sachverhaltsverwertungsverbot nicht rechtfertigen (Urt. v. 13. 12. 2007 – 2 AZR 537/06). Im Jahr 2016 hatte das BAG diese Aussage in zwei Entscheidungen bestätigt (Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15; 20.10.2016 – 2 AZR 395/15). Die Frage der Zulässigkeit von Beweisverwertungsverboten in Betriebsvereinbarungen war gleichwohl bis zuletzt offen. Explizit hierzu hatte sich das LAG Baden-Württemberg im Jahr 2018 geäußert (Urt. v. 6.6.2018 – 21 Sa 48/17). In der Revisionsinstanz dieses Rechtsstreits bedurfte es dann keiner Entscheidung, ob die Betriebsparteien Verwertungsverbote begründen können (Urt. v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18). Umso mehr ist es zu begrüßen, dass sich das BAG nun eindeutig geäußert hat, obwohl es auch in diesem Rechtsstreit nicht zwingend entscheidungserheblich war.

Fazit

Das Urteil ist uneingeschränkt zu begrüßen und wird in der Praxis Diskussionen über die Aufnahme von Beweisverwertungsverboten in Betriebsvereinbarungen beenden oder zumindest weitgehend entschärfen. Der Hinweis des BAG auf die Verpflichtung der Betriebsparteien auf „das Wohl des Betriebs“ ist wohltuend. Gleichwohl sollte das Urteil jedoch nicht zum Anlass genommen werden, weniger Sorgfalt beim Verfassen von Betriebsvereinbarungen walten zu lassen. So kann durch Betriebsvereinbarungen Einfluss auf die Zulässigkeit von Datenverarbeitungen genommen werden. Unzulässige Datenverarbeitungen bergen stets ein Bußgeldrisiko. Insoweit gilt es weiter zu berücksichtigen, dass der Datenschutz auf anderer Ebene zu einem beliebten Druckmittel in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten geworden ist.

Christine Norkus

Rechtsanwältin

Associate
Christine Norkus berät nationale und internationale Unternehmen überwiegend zu Fragen des Beschäftigtendatenschutzes, sowie zu sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Datenschutz".
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