Nach dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. September 2022 zur Pflicht zur Arbeitszeiterfassung hat am 18. April 2023 das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt (vgl. Blogbeitrag vom 18. April 2023). Dieser sieht für Arbeitgeber die ausdrückliche Pflicht vor, die Arbeitszeit elektronisch zu erfassen. Unabhängig davon, ob der Referentenentwurf in der vorgelegten Form in Kraft tritt, gilt bereits jetzt: Arbeitgeber müssen die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer grundsätzlich vollständig erfassen. Ob bzw. welche Auswirkungen diese Pflicht auf bestehende Arbeitsverträge hat, beleuchtet dieser Beitrag.
Keine grundsätzliche Anpassungspflicht
Die gute Nachricht vorweg: Ein grundsätzliches Erfordernis zur Anpassung bestehender Arbeitsverträge bestünde auch nach dem vorgelegten Gesetzesentwurf nicht. Die Pflicht zur Erfassung von Arbeitszeit ist nicht neu und besteht bereits heute für über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit (vgl. § 16 Abs. 2 S. 1 ArbZG). Auch an der insoweit bestehenden zweijährigen Aufbewahrungsfrist würde sich durch den Gesetzesentwurf nichts ändern. Insofern wurde diese Pflicht nunmehr lediglich auf die Erfassung der gesamten Arbeitszeit erweitert und die Erfassung in elektronischer Form vorgeschrieben.
Vertrauensarbeitszeit und Delegation der Arbeitszeiterfassung weiterhin möglich
Auch ist es für Arbeitgeber weiterhin möglich, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auf seine Arbeitnehmer (bspw. per arbeitsrechtlicher Weisung) zu delegieren oder Vertrauensarbeitszeit zu vereinbaren. Zu beachten ist jedoch, dass auch in diesen Fällen der Arbeitgeber in der Verantwortung bleibt: So ist es weiterhin seine Pflicht, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden (§ 16 Abs. 4 ArbZG-E). Dies stellt im Übrigen keine Veränderung zur bisherigen Rechtslage dar.
Erfassen jedoch Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit selbständig, so stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies auf die Vergütung haben kann. Konkret stellt sich die Frage, welche – vom Arbeitnehmer erfasste – Arbeitszeit vom Arbeitgeber zu vergüten ist.
Vergütung von (erfasster) Arbeitszeit
Grundsätzlich besteht zwischen Arbeitszeit und Vergütung eine enge Verknüpfung. Aufzeichnungs- und vergütungspflichtige Arbeitszeit laufen jedoch nicht immer parallel, sodass insbesondere bei Sonderformen der Arbeit, beispielsweise bei Dienstreisen ein grundlegendes Verständnis maßgeblich ist.
Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung stammt aus dem öffentlichen Recht und ist Teil des Arbeitsschutzrechts. Die Pflicht zur Vergütung der Arbeitszeit entstammt hingegen aus dem Privatrecht. Die von den Tarif- oder Arbeitsvertragsparteien getroffenen Regelungen bestimmen somit in der Regel, welche Arbeitsleistung der Arbeitgeber wie zu vergüten hat. Vor dem Hintergrund der nunmehr bevorstehenden Gesetzesänderungen dürfte eine klare Trennung von Arbeitszeiterfassung und Vergütung wichtiger denn je werden.
Vergütungsregelungen zu Reisezeiten im Fokus
Vor allem die Frage, inwieweit Reisezeiten (z.B. von Außendienstmitarbeitern, die ihre Arbeitszeit im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit eigenständig erfassen) als Arbeitszeit gelten, ist arbeitsschutz- und vergütungsrechtlich differenziert zu betrachten.
In arbeitsschutzrechtlicher Hinsicht bestimmt sich nach der vom BAG entwickelten „Beanspruchungstheorie“, ob Reisezeit als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes einzustufen ist. Vergütungsrechtlich kommt es hingegen auf entsprechende tarif- oder arbeitsvertragliche Regelungen an. Existieren keine entsprechenden tarif- bzw. einzelvertraglichen Regelungen, ist nach Ansicht des BAG die „Fremdnützigkeit“ der Reise entscheidend (BAG v. 17.10.2018 – 5 ZR 553/17), die bei dienstlich veranlassten und erforderlichen Reisen regelmäßig anzunehmen sein wird.
Im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen im Arbeitszeitrecht könnten Reisezeiten, die bislang nicht vergütet wurden und für die keine separaten arbeitsvertraglichen Regelungen bestehen, bei vollständiger Erfassung der Arbeitszeit nun doch zu vergüten sein. Es kann daher der Bedarf bestehen, konkrete Regelungen zur Vergütung von Reisezeiten zu vereinbaren. Dies kann sowohl in Arbeits- bzw. Ergänzungsvereinbarungen, aber auch auf tarifvertraglicher Ebene erfolgen. In inhaltlicher Sicht besteht eine mögliche und zulässige Lösung darin, neben der allgemeinen Vergütungsregelung eine abweichende (z.B. geringere) Vergütung für Reisezeiten vorzusehen.
Fazit
Sollte der Referentenentwurf des BMAS zum Arbeitszeitgesetz in seiner aktuellen Fassung in Kraft treten, wäre die Pflicht zur (elektronischen) Arbeitszeiterfassung gesetzlich ausdrücklich geregelt.
Eine Anpassungspflicht hinsichtlich bestehender Arbeitsverträge ergäbe sich hieraus grundsätzlich nicht; auch Vertrauensarbeitszeit und die Delegation der Erfassung der Arbeitszeit blieben weiterhin möglich. Zu empfehlen ist es allerdings, kritisch zu prüfen, inwieweit Regelungen zur Vergütung von Reisezeiten angepasst und ggf. differenziert ausgestaltet werden können.
Zum Beschluss des BAG vom 13. September 2022 zur Pflicht zur Arbeitszeiterfassung vgl. unsere Blogbeiträge vom 14. September 2022 und 5. Dezember 2022.