Auch wenn die (bereinigte) Entgeltdifferenz zwischen Frauen und Männern je nach EU-Mitgliedsstaat unterschiedlich ausfällt (Deutschland 2022: 7%): Einigkeit besteht darin, dass sie zu hoch ist. Die EU beabsichtigt, dieses Gefälle mit der neuen Entgelttransparenzrichtlinie (2023/970/EU) zu nivellieren. Zwar muss Deutschland die Richtlinie erst bis 2026 umsetzen. Unternehmen können sich aber wegen der erheblichen Umwälzungen für nahezu jedes Entgeltsystem nicht zurücklehnen, sondern müssen bereits jetzt konkrete Projektpläne erarbeiten. Wir beantworten die wichtigsten Fragen und zeigen konkrete To-Dos auf.
1. Wir haben kein ausdifferenziertes Vergütungssystem, sondern legen die Vergütung frei fest – müssen wir nun eines schaffen?
Ja. Nach Art. 4 Abs. 1 der Entgelttransparenzrichtlinie (EntgTranspRL) ergreifen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Arbeitgeber über Vergütungsstrukturen verfügen, durch die gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gewährleistet wird. Entgeltstrukturen müssen so beschaffen sein, dass anhand objektiver, geschlechtsneutraler und mit den Arbeitnehmervertretern (soweit vorhanden) vereinbarter Kriterien beurteilt werden kann, ob sich die Arbeitnehmer im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden.
Wir empfehlen Ihnen einen Drei-Stufen-Plan:
To-Do 1: Evaluation der bestehenden Entgeltstrukturen („Due Diligence“)
To-Do 2: Erarbeitung bzw. Anpassung eines Vergütungssystems, welches den neuen Anforderungen gerecht wird.
To-Do 3: Wo Mitbestimmung zu beachten ist, Verhandlung entsprechender Regelungswerke mit den Arbeitnehmervertretern.
2. Wir haben ein Vergütungssystem, aber müssen nichts tun, da alles auf Grundlage von Tarifverträgen und/oder Betriebsvereinbarungen geregelt ist. Richtig?
Nein. Insbesondere müssen Sie prüfen, ob die Eingruppierungslogiken unter den Tarifverträgen bzw. Betriebsvereinbarungen (Beschreibung der Entgeltgruppen, Merkmale für die Eingruppierung) diskriminierungsfrei sind. Kriterien umfassen zulässigerweise nur Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen und gegebenenfalls etwaige weitere Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position relevant sind. Da die meisten Tarifverträge nicht auf einer analytischen Arbeitsbewertung beruhen, sondern einer summarischen, dürften entsprechend viele Regelwerke neu- bzw. nachzuverhandeln sein. Das lässt die auf den ersten Blick lange Umsetzungsfrist (siehe 6.) in einem ganz anderen Licht dastehen. Gleiches gilt auf der betriebsverfassungsrechtlichen Ebene, insbesondere bei der Vergütung von (echten) AT-Angestellten sowie Leitenden Angestellten.
To-Do: Auch hier empfehlen wir den vorstehenden Drei-Stufen-Plan. Die „Richtigkeitsvermutung“ für Tarifverträge, die unter der bisherigen Rechtslage gilt, wird sich zukünftig nicht mehr aufrechterhalten lassen.
3. Müssen wir das Einstellungsverfahren anpassen?
Höchstwahrscheinlich. Im Einstellungsverfahren dürfen Arbeitgeber Bewerber nicht mehr nach ihrem aktuellen oder vorherigen Entgelt fragen, was bislang häufig formularmäßig erfasst wurde. Stattdessen müssen sie den Bewerbern vor dem Bewerbungsgespräch Informationen über das Einstiegsgehalt oder dessen Spanne geben. Außerdem müssen Arbeitgeber sicherstellen, dass Stellenausschreibungen und Berufsbezeichnungen geschlechtsneutral sind und das Einstellungsverfahren allgemein diskriminierungsfrei abläuft.
To-Do 1: Überarbeiten Sie Ihre Einstellungsverfahren und stellen Sie sicher, dass sie den neuen Anforderungen entsprechen.
To-Do 2: Dokumentation der „Einstellungsgrundsätze“ in einer Policy.
4. Gibt es neue Verpflichtungen zur Dokumentation?
Ja. Neu ist weiter die Verpflichtung des Arbeitgebers, anlasslos allen Beschäftigen Informationen in leicht zugänglicher Weise zur Verfügung zu stellen, welche Kriterien für die Festlegung des Entgelts, ihrer Entgelthöhen und ihrer Entgeltentwicklung verwendet werden. Kleinunternehmen (<50 Arbeitnehmer) könnten gesetzlich hiervon noch verschont bleiben.
Die Richtlinie erweitert die Verpflichtungen von Arbeitgebern mit > 100 Arbeitnehmern erheblich. Sie müssen nun umfangreiche Informations-, Berichts-, Erörterungs- und Bereitstellungspflichten gegenüber den zuständigen Stellen (Aufsichtsbehörden, Gleichbehandlungsstellen, Arbeitnehmervertretern) und den Arbeitnehmern erfüllen. Diese betreffen etwa Informationen über das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle und den Anteil der Arbeitnehmer, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten. Bei Verstößen drohen Schadensersatzverpflichtungen, eine Umkehr der Beweislast, vergaberechtliche Einschränkungen und Sanktionen.
Arbeitnehmer müssen jährlich über ihre Auskunftsrechte informiert werden. Sie dürfen nicht daran gehindert werden, ihr Gehalt offenzulegen, um den Grundsatz gleichen Entgelts durchzusetzen.
To-Do 1: Schaffung der entsprechenden Prozesse und Datenverfügbarkeiten zur Erfüllung dieser Verpflichtungen.
To-Do 2: Erstellung von Standard-Unterrichtungsschreiben an Aufsichtsbehörden, Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmervertreter
To-Do 3: Anpassung von Vertraulichkeitsregeln in Arbeitsverträgen hinsichtlich des Entgelts.
5. Wir haben ein erhebliches Entgeltgefälle festgestellt. Was müssen wir tun?
Wenn bei einem Arbeitgeber mit > 100 Arbeitnehmern ein Entgeltgefälle von mindestens 5 % besteht, welches nicht durch objektive, geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt werden kann und nicht innerhalb von sechs Monaten behoben wird, müssen Arbeitgeber mit den Arbeitnehmervertretungen zusammenarbeiten, um diskriminierende Entgeltunterschiede festzustellen, zu korrigieren und zu verhindern („Joint Pay Assessment“).
Im Rahmen des Joint Pay Assessment müssen die Gehälter der verschiedenen Arbeitnehmergruppen analysiert, die Gründe für die Ungleichheit ermittelt, Maßnahmen zur Beseitigung der Unterschiede festgelegt und eine Wirksamkeitsanalyse bereits vorgenommener Maßnahmen gefahren werden – und all dies gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern. Über das Joint Pay Assessment ist den Arbeitnehmern, den Arbeitnehmervertretungen sowie den Aufsichtsbehörden zu berichten (!).
To-Do 1: Gestaltung des Prozesses für das Joint Pay Assessment (ggf. zu hinterlegen durch Regelungsabrede oder freiwillige Betriebsvereinbarung).
To-Do 2: Entwurf Musterschreiben zum Bericht über das Joint Pay Assessment.
6. Gelten die neuen Regelungen ab sofort?
Nein. Insoweit wird einiges auf den Zeitpunkt der deutschen Umsetzungsgesetzgebung ankommen. Schon nach der Richtlinie sind aber Berichtspflichten verpflichtend vorgesehen:
- Arbeitgeber mit 250 oder mehr Arbeitnehmern haben bis zum 7. Juni 2027 und in jedem darauffolgenden Jahr einen Bericht zur Entgelttransparenz in Bezug auf das vorangehende Kalenderjahr vorzulegen.
- Arbeitgeber mit 150 bis 249 Arbeitnehmern haben bis zum 7. Juni 2027 und danach alle drei Jahre die Informationen in Bezug auf das vorangehende Kalenderjahr vorzulegen.
- Arbeitgeber mit 100 bis 149 Arbeitnehmern haben bis zum 7. Juni 2031 und danach alle drei Jahre die Informationen in Bezug auf das vorangehende Kalenderjahr vorzulegen.
- Arbeitgeber mit weniger als 100 Arbeitnehmern können die Informationen nach der Richtlinie auf freiwilliger Basis vorlegen; die nationale Umsetzungsgesetzgebung kann jedoch auch eine Berichtspflicht vorsehen.
To-Do: Berücksichtigung entsprechender personeller Kapazitäten und zu schaffender (IT-gestützter) Prozesse bei der Budgetierung.