Trotz angespannter Wirtschaftslage drohen selbst in Krisenbranchen weiterhin teure Tarifabschlüsse. Unternehmen sehen sich zunehmend gezwungen, steigenden Personalkosten durch einen Abbau übertariflicher Leistungen entgegenzuwirken. Dieser Beitrag zeigt betriebsverfassungsrechtliche Möglichkeiten und Hürden beim Abbau übertariflicher Leistungen auf – im solventen wie im insolventen Szenario.
Übertarifliche Leistungen kommen in den unterschiedlichsten Ausgestaltungen daher: Bonuszahlungen, Treueprämien, Zulagen, betriebliche Altersversorgungsleistungen oder auch das Dienstfahrrad. Wenn die Unternehmensbilanz ein übertarifliches Leistungsniveau nicht länger hergibt, stellt sich die Frage, ob der Anspruch der Arbeitnehmer auf die übertarifliche Leistung beseitigt werden kann. Liegt den übertariflichen Leistungen wie häufig eine Betriebsvereinbarung zugrunde, sind Kündigungsmöglichkeiten zu prüfen – auch dann, wenn die Lösung später am Verhandlungstisch gefunden werden soll.
Kündigung von Betriebsvereinbarungen zu übertariflichen Leistungen
In aller Regel sind (unbefristete) Betriebsvereinbarungen ohne sachlichen Grund ordentlich kündbar, sofern die Betriebsparteien dies nicht ausgeschlossen haben. Sonderfragen können sich unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes stellen, hier kann ein sachlicher Grund – etwa in Gestalt einer angespannten Finanzlage – erforderlich sein. Die Kündigung muss unter Einhaltung der von den Betriebsparteien vereinbarten Kündigungsfrist erklärt werden. Wurde keine Kündigungsfrist vereinbart, gilt die gesetzliche Kündigungsfrist von drei Monaten (§ 77 Abs. 5 BetrVG).
Mitbestimmung des Betriebsrats beim Abbau freiwilliger übertariflicher Leistungen
Soll die übertarifliche Leistung vollständig eingestellt werden, geht an der Kündigung der zugrundeliegenden Betriebsvereinbarung kaum ein Weg vorbei. Naturgemäß darf dieser Prozess nicht am Betriebsrat vorbeilaufen – das wäre kurzsichtig und nicht sozialpartnerschaftlich. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats entsteht in diesem Szenario in der Regel aber nicht. Fragen der betrieblichen Lohngestaltung sind zwar mitbestimmungspflichtig (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG), über den Dotierungsrahmen – die Größe des „Geldtopfes“, der für die Leistung zur Verfügung steht – entscheidet jedoch allein das Unternehmen. Das gilt auch, wenn der Geldtopf ganz weggenommen wird.
Anders liegt der Fall, wenn die übertarifliche Leistung gekürzt oder umgestaltet werden soll. Hier darf der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmen, jedenfalls, wenn sich mit dem Dotierungsrahmen auch der Verteilungsschlüssel an die Arbeitnehmer ändert. Wichtig ist hier, den Betriebsrat frühzeitig „abzuholen“ und die ökonomischen Zwänge bestmöglich zu veranschaulichen. Auch bietet sich von vornherein ein klarer Zeitplan an, der auch den Zeitpunkt definiert, in dem bei ausbleibender Einigung die Einigungsstelle angerufen wird.
Weitergeltung der Betriebsvereinbarung trotz Kündigung – die Nachwirkung
Wer über Kündigungen von Betriebsvereinbarungen nachdenkt, muss im selben Atemzug die Frage nach der Nachwirkung stellen. Nachwirkung meint die gesetzlich angeordnete oder vereinbarte Fortgeltung einer Betriebsvereinbarung über das Beendigungsdatum hinaus, solange, bis eine Folgevereinbarung gefunden wird. In Bezug auf übertarifliche Leistungen können die folgenden Grundsätze aufgestellt werden:
- Wird die übertarifliche Leistung ganz eingestellt und haben die Parteien die Nachwirkung nicht vereinbart, wirkt die gekündigte Betriebsvereinbarung nicht nach.
- Wird die übertarifliche Leistung gekürzt, ohne, dass der Verteilungsplan geändert wird, wirken ausschließlich die Regelungen der bisherigen Betriebsvereinbarung über den Verteilungsplan nach, nicht aber solche über den bisherigen Dotierungsrahmen.
- Wird die übertarifliche Leistung gekürzt und zugleich der Verteilungsplan geändert, wirkt die gesamte bisherige Betriebsvereinbarung nach.
- Haben die Betriebsparteien eine Nachwirkung ohne weitere Differenzierung vereinbart, wirkt ebenfalls die gesamte bisherige Betriebsvereinbarung nach. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BAG auch, wenn die übertarifliche Leistung ganz eingestellt werden soll. Der Arbeitgeber kann nach erfolglosen Verhandlungen aber die Einigungsstelle anrufen, die im Falle eines Dotierungsrahmens von „0“ lediglich das Ende der Nachwirkung feststellen können wird.
Besonderheiten bei betrieblicher Altersversorgung
Ansprüche der Arbeitnehmer auf betriebliche Altersversorgungsleistungen lassen sich nicht ohne weiteres durch Kündigung der zugrundeliegenden Betriebsvereinbarungen beseitigen. Abhängig von der Intensität, mit der in Rechte der Arbeitnehmer eingegriffen werden soll, muss die Einschränkung oder Stilllegung des Versorgungssystems von unterschiedlich gewichtigen Gründen getragen werden. Das BAG hat hierzu eine sogenannte „Drei-Stufen-Theorie“ aufgestellt, die unser Blogbeitrag vom 28. September 2017 näher erklärt.
In Restrukturierungsszenarien ist das Ziel häufig ein dauerhafter oder befristeter „pension freeze“: Bereits erdiente Versorgungsanwartschaften werden nicht angetastet, es sollen aber keine neuen Anwartschaften mehr entstehen. Dies stellt in der Regel einen Eingriff auf der „zweiten Stufe“ dar, für den das BAG „triftige Gründe“ fordert. Triftige Gründe können etwa eine langfristig unzureichende Eigenkapitalverzinsung oder eine langfristige Substanzgefährdung des Unternehmens sein. Die Insolvenz muss aber noch nicht konkret drohen. Unumgänglich ist es, die finanzielle Lage des Unternehmens genau und nicht nur als Momentaufnahme zu würdigen und mit den Anforderungen des BAG nach der Drei-Stufen-Theorie genau abzugleichen.
Was ändert sich in der Insolvenz?
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird die Beseitigung sogenannter „massebelastender“ Betriebsvereinbarungen erleichtert. Es gilt eine Maximalkündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende (§ 120 Abs. 1 S. 2 InsO). Diese Maximalkündigungsfrist greift, wenn die Parteien in der Betriebsvereinbarung eine längere Kündigungsfrist vereinbart haben, die Betriebsvereinbarung befristet ohne vorzeitige Kündigungsmöglichkeit abgeschlossen wurde und selbst dann, wenn die Parteien die ordentliche Kündbarkeit der Betriebsvereinbarung ausgeschlossen haben.
Auf die gesetzlich angeordnete Nachwirkung wirkt sich die Verfahrenseröffnung nicht aus. Die gesetzliche Nachwirkung greift unabhängig davon, ob die Kündigung der Betriebsvereinbarung vor oder nach Verfahrenseröffnung erklärt wurde. Allerdings „sticht“ die Verfahrenseröffnung eine freiwillig zwischen den Parteien vereinbarte Nachwirkung. Lässt der Insolvenzverwalter etwa eine übertarifliche Leistung ganz einstellen, wirkt die gekündigte Betriebsvereinbarung anders als im solventen Szenario auch dann nicht nach, wenn die Parteien die Nachwirkung vereinbart hatten.
Die Drei-Stufen-Theorie des BAG zu Leistungen aus einer betrieblichen Altersversorgung gilt auch in der Insolvenz fort. Die Verfahrenseröffnung wird jedoch regelmäßig Grund genug sein, jedenfalls in Zukunft keine weiteren Anwartschaften der Arbeitnehmer auf betriebliche Versorgungsleistungen entstehen zu lassen. Ob die Insolvenz sogar einen Eingriff in bereits erdiente Anwartschaften rechtfertigt, ist eine Frage des Einzelfalls, dürfte aber Sonderfällen vorbehalten sein.