Bereits mit Wirkung zum 1.1.2008 ist das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) in Kraft getreten. Damit wurde die bis 2008 in der gesetzlichen Rentenversicherung geltende Regelaltersgrenze von 65 Jahren schrittweise angehoben. Welche Auswirkungen sich aus der Anpassung der gesetzlichen Regelaltersgrenze für die betriebliche Altersversorgung ergeben, war seither bereits Gegenstand zahlreicher Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts. Jüngst hatten sich die Erfurter Richter mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit die Anpassung der Regelaltersgrenzen bei der Berechnung unverfallbarer Anwartschaften nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zu berücksichtigen ist.
Bedeutung der Altersgrenzen in der betrieblichen Altersversorgung
In Versorgungszusagen sind in der Regel feste Altersgrenzen definiert, ab deren Erreichung Altersleistung in Anspruch genommen werden kann. Grundsätzlich sind diese Regelungen in den Versorgungszusagen unabhängig von den Regelaltersgrenzen der gesetzlichen Rentenversicherung.
Unproblematisch liegt der Fall, wenn in den Versorgungszusagen allgemein auf die „jeweils in der gesetzlichen Rentenversicherung geltende Regelaltersgrenze“ Bezug genommen wird.
In älteren Versorgungsordnungen wird jedoch häufig konkret das 65. Lebensjahr als Altersgrenze benannt (oft entsprach diese Altersgrenze im Zeitpunkt der Erteilung der Zusage der gesetzlichen Regelaltersgrenze). Hier stellt sich die Frage, wann in diesem Fall die Rente in Anspruch genommen werden kann: Bereits mit dem 65. Lebensjahr oder erst bei Erreichen der individuellen (angehobenen) Regelaltersgrenze?
Das BAG legt die Versorgungsordnungen in diesem Fall regelmäßig dahingehend aus, dass für den Versorgungsfall der Altersvorsorge auf die jeweilige Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung Bezug genommen wird (BAG v. 15.5.2012 – 3 AZR 11/10). Diese Auslegung bestätigte das BAG auch in seiner aktuellen Entscheidung vom 11.2023 – 3 AZR 1/23.
Sog. „unverfallbare Anwartschaften“ und ihre Berechnung
Die in einer Versorgungsordnung festgelegte Altersgrenze ist insbesondere auch für die Berechnung der unverfallbaren Anwartschaft von Bedeutung. Scheidet ein Arbeitnehmer zum Beispiel bereits vor Erreichen der Altersgrenze mit einer unverfallbaren Anwartschaft aus dem Arbeitsverhältnis aus, stellt sich die Frage, wie deren Höhe zu berechnen ist.
Die konkrete Höhe dieser unverfallbaren Anwartschaft einer reinen Leistungszusage wird gemäß § 2 Abs. 1, § 2a BetrAVG zeitanteilig („pro-rata-temporis-Verfahren“ oder auch „m/n-tel Berechnung“ genannt) berechnet. Hiernach hat ein Arbeitnehmer, der mit der unverfallbaren Anwartschaft vorzeitig ausscheidet, einen Anspruch mindestens in Höhe des Teiles der ohne das vorherige Ausscheiden zustehenden Leistung, entsprechend dem Verhältnis der Betriebszugehörigkeitsdauer zu der Zeit vom Beginn der Betriebszugehörigkeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. der (festen) Altersgrenze in der Versorgungsregelung.
Auf welche Altersgrenze bei dieser Berechnungsmethode abzustellen ist, wenn der betroffene Arbeitnehmer vor Inkrafttreten des RV-Anpassungsgesetzes ausgeschieden ist, hat nunmehr das BAG in seiner Entscheidung vom 21.11.2023 beantwortet:
Für die Berechnung gemäß § 2a BetrAVG sind die Versorgungsregelungen und Bemessungsgrundlagen im Zeitpunkt des Ausscheidens des jeweiligen Arbeitnehmers zugrunde zu legen (sog. „Veränderungssperre“). Diesbezügliche Veränderungen, die erst nach dem Ausscheiden eintreten, bleiben außer Betracht (sog. „Festschreibeeffekt“), es sei denn, die zukünftige Entwicklung war eindeutig vorgezeichnet.
Aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (vom 21.11.2023 – 3 AZR 1/23)
In dem aktuellen Urteil vom 21.11.2023 hatte das BAG einen Fall zu entscheiden, in dem der Kläger bei der beklagten Arbeitgeberin im Jahr 1998 mit unverfallbaren Versorgungsanwartschaften ausschied. Nach Maßgabe seiner Versorgungszusage konnte der Kläger mit Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. mit Inanspruchnahme der vorgezogenen oder flexiblen Altersrente ein Ruhegeld beanspruchen. Ab Vollendung seines 63. Lebensjahres bezog der Kläger sodann tatsächlich (vorzeitig) Ruhegeld. Dabei hatte die Beklagte im Hinblick auf das vorzeitige Ausscheiden des Klägers eine Kürzung nach der m/n-tel Methode vorgenommen. In diesem Zusammenhang legte die Beklagte ihrer Berechnung der möglichen Dienstzeit die nach dem RV-Anpassungsgesetz für den Kläger maßgebliche Regelaltersgrenze von 65 Jahren und 9 Monaten zugrunde.
Das BAG stellte klar, dass die Anhebung der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 2008 bei der Berechnung der unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wegen des Festschreibeeffekts dann unberücksichtigt bleibt, wenn der Arbeitnehmer bereits vor Inkrafttreten des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist.
Praxishinweis
Arbeitgeber sollten beachten, dass die Altersgrenzen, die in Versorgungszusagen getroffen wurden, regelmäßig im Wege der Auslegung den Altersgrenzen der gesetzlichen Rentenversicherung angeglichen werden. Bei der Berechnung unverfallbarer Anwartschaften gelten jedoch die zum Zeitpunkt des Ausscheidens gültigen Versorgungsregelungen, sodass nachträgliche Änderungen unberücksichtigt bleiben.