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Urlaubsgarantie durch Teilzeit?

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Im Kampf um die besten Urlaubszeiten greifen Arbeitnehmer immer wieder zu ungewöhnlichen Mitteln. Erneut gerät dabei die Teilzeit in den Fokus. Sie ermöglicht geschickten Arbeitnehmern nicht nur die Reduzierung ihrer Stundenanzahl, sondern auch eine wunschgemäße Verteilung der freien Tage auf begehrte Urlaubszeiträume.

Gewissheiten wie „Urlaubswünsche der Belegschaft haben Vorrang“, „Teilzeit gibt es nur im Rahmen vorgegebener Teilzeit-Modelle“ oder „Flexibilitätsinteresse des Arbeitgebers verhindern Teilzeit“ sollten spätestens nach dem Urteil des LAG Hessen vom 4. Dezember 2023 – 17 Sa 450/23 über Bord geworfen werden.

Zusammenfassung

Noch im Jahr 2019 hatte das LAG Nürnberg (Urt. v. 27. August 2019 – 6 Sa 110/19; zum Beitrag im KLIEMT.Blog: hier) einen Teilzeitwunsch als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen, mit dem der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit um 1/12 verringern wollte, um im August jedes Jahres nicht arbeiten zu müssen. Der Arbeitgeber hatte entgegengehalten, dass der August zu den umsatzstärksten Monaten gehöre. Um allen Urlaubswünschen in dem beliebten Ferienmonat gerecht werden zu können, erlaubte der Arbeitgeber in diesem Monat regelmäßig nur 10 Urlaubstage.

Ganz anders positioniert sich nun das LAG Hessen. Den Einwand, beliebte Urlaubszeiten gerecht unter den Arbeitnehmern verteilen zu wollen, lässt es – jedenfalls pauschal – nicht gelten. Die Entscheidung zeigt: Arbeitgeber brauchen ein ausgefeiltes Arbeitszeit-Organisationskonzept. Anderenfalls drohen böse Überraschungen bei Teilzeitwünschen.

Worum ging es im Verfahren des LAG Hessen?

Ein Pilot verlangte die Reduzierung seiner Vollzeitstelle um 9,04 %. Der Clou: Die entstehende Freizeit sollte der Arbeitgeber jedes Jahr auf folgende Zeiträume verteilen: 16. bis 20. April, 2. bis 7. Juni, 13. bis 26. August, 14. bis 16. Oktober und 22. bis 26. Dezember.

Die meisten dieser Zeiträume hatte der Arbeitgeber wegen hohen Bedarfs in Ferienzeiten für Urlaubsanträge grundsätzlich gesperrt. Der Arbeitgeber fürchtete (weitere) Planungsunsicherheiten, da er ohnehin schon Schwierigkeiten habe, besonders unbeliebte Dienste zu besetzen. Diese Planungsunsicherheiten könnten sogar in Flugstreichungen gipfeln. Zudem sahen die vom Arbeitgeber angebotenen Teilzeitmodelle eine so verblockte Teilzeit nicht vor.

Davon ließ sich das LAG Hessen nicht überzeugen und erlaubte die verblockte Teilzeit.

Grundsätze der Teilzeit

Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf Teilzeit, wenn sie länger als sechs Monate bei einem Arbeitgeber tätig sind, der mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitgeber muss nicht nur der Reduzierung der Arbeitszeit, sondern auch der vom Arbeitnehmer gewünschten (Neu-) Verteilung der Arbeitstage zustimmen, soweit keine betrieblichen Gründe entgegenstehen.

Ein betrieblicher Grund besteht insbesondere, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht (vgl. § 8 Abs. 4. S. 2 TzBfG).

Die Rechtsprechung prüft den Einwand entgegenstehender betrieblicher Gründe restriktiv in drei Stufen:

Stufe 1: Welches betriebliche Arbeitszeit-Organisationskonzept besteht beim Arbeitgeber?
Stufe 2: Gerät das Teilzeitverlangen in Konflikt mit dem Organisationskonzept?
Stufe 3: Kommt es bei Abwägung der betrieblichen Gründe zu einer wesentlichen Beeinträchtigung?

Die Entscheidung des LAG Hessen

Mit den ersten beiden Stufen der Prüfung hält sich das LAG Hessen nicht auf. Es zweifelt aber deutlich daran, ob betriebliche Richtlinien zu Teilzeitmodellen selbst in Kombination mit Betriebsvereinbarungen über Grundsätze der Urlaubsvergabe überhaupt ein taugliches betriebliches Organisationskonzept bilden.

Praxishinweis: Arbeitgeber benötigen ein nachweisbares Konzept zur betrieblichen Arbeitszeit. Pauschale Behauptung, bestimmte Stellen seien nicht teilzeitfähig, reichen nicht aus. Das ist besonders mit Blick auf Arbeitsplätze von Führungskräften wichtig. Das betriebliche Arbeitszeitkonzept muss der Arbeitgeber einheitlich umsetzen. Jede Ausnahme bringt es ins Wanken.

Das LAG Hessen setzt sich umso ausführlicher mit der dritten Stufe auseinander – der Abwägung betrieblicher Gründe. Pauschale Einwände und die lediglich abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung lässt es nicht gelten.

Teilzeitmodelle des Arbeitgebers

Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich die freie Wahlmöglichkeit, für welche Art Teilzeit er sich entscheidet. Er muss sich nicht an vom Arbeitgeber vorgegebene Teilzeitmodelle halten. Insbesondere Einschränkungen, die bestimmte Teilzeitmodelle (hier: verblocke Freizeit) nur befristet zulassen, widersprechen dieser Wahlfreiheit.

Planungsunsicherheiten

Ein allgemeiner Hinweis auf Planungsunsicherheiten reicht auch dann nicht als Ablehnungsgrund, wenn der Arbeitgeber sich auf branchenspezifischen Besonderheiten bezieht. Er muss konkret darlegen, welche Planungsunwägbarkeiten sich aus dem Teilzeitverlangen ergeben und warum diese ihn wesentlich beeinträchtigen. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer bei kurzfristig erforderlichen Vertretungen nicht eingesetzt werden kann, reicht dem LAG Hessen nicht. Eingeschränkte Flexibilität bei der Einsatzplanung taugt jedenfalls dann nicht als Ablehnungsgrund, wenn der Arbeitgeber auch andere Teilzeitmodelle praktiziert.

Praxishinweis: Es liegt in der Natur der vom Gesetzgeber privilegierten Teilzeit, dass Arbeitgeber Flexibilität bei der Einsatzplanung ihrer Arbeitnehmer verlieren. Arbeitgeber, die sich gegen diesen Flexibilitätsverlust stemmen, geraten bei der Ablehnung der Teilzeit schnell in eine Sackgasse. Aus dieser Sackgasse führt nur ein beschwerlicher Weg: Der Arbeitgeber muss konkret darlegen, welcher erhebliche Planungsmehraufwand durch die begehrte Festlegung der freien Arbeitstage entsteht.

Kapazitätsengpässe

Der pauschale Verweis auf Kapazitätsengpässe, die entstehen, weil der Arbeitnehmer an bestimmten Tagen nicht zur Verfügung steht, hilft ebenfalls nicht weiter.

Praxishinweis: Berufen sich Arbeitgeber auf Kapazitätsengpässe durch Teilzeit, droht eine ähnliche Sackgasse wie bei Planungsunsicherheiten. Der Gesetzgeber fördert Teilzeit, also können Arbeitgeber dieser nicht (pauschal) ihre Kapazitätsplanung entgegenhalten. Wiederum gilt: Es hilft nur ein umfangreicher Vortrag des Arbeitgebers zu Arbeitskraft- und Arbeitszeitkapazitäten, Sicherheitspuffern und konkreten Beeinträchtigungen durch die Teilzeit.

Urlaubsplanung

Das Argument, das Teilzeitverlangen des Einzelnen benachteilige die Urlaubsinteressen aller, half nicht, weil das LAG Hessen eine Abwägung der unterschiedlichen Arbeitnehmerinteressen (Teilzeit vs. Urlaub) für die Herleitung eines entgegenstehenden betrieblichen Grundes nicht zuließ. Laut LAG Hessen bestehe kein grundsätzlicher Vorrang der Urlaubsgewährung vor dem Teilzeitwunsch.

Praxishinweis: Möchte der Arbeitgeber Teilzeitanträge wegen entgegenstehender Urlaubsplanung ablehnen, muss er die Organisation seiner Urlaubskapazitäten umfangreich darlegen. Die begehrte Teilzeit muss konkrete Beeinträchtigungen auslösen, bloße Flexibilitätseinbußen reichen nicht. Solange der Vortrag abstrakt bleibt, wird er scheitern. Notwendig sind umfangreiche Vergleichsdarstellungen zu bisherigen Ablehnungsquoten von Urlaubsanträgen, aus denen sich schließen lässt, in welchen Zeiträumen Urlaubsanträge zwingend abzulehnen wären.

Rechtsmissbrauch

Handelt ein Arbeitnehmer rechtsmissbräuchlich, der die Teilzeit zur Urlaubsoptimierung nutzt? Nein, sagt das LAG Hessen, jedenfalls nicht unbedingt.

Das Motiv des Arbeitnehmers spiele nämlich grundsätzlich keine Rolle, denn er muss den Teilzeitantrag nicht begründen. Ebenso wenig diene die geringfügige Reduzierung der Arbeitszeit als Indiz für einen Rechtsmissbrauch, denn der Gesetzgeber habe keine Mindestschwelle für die Teilzeit eingezogen.

Praxishinweis: Der Arbeitgeber kann einen Teilzeitantrag wegen Rechtsmissbrauchs nur ablehnen, wenn der Arbeitnehmer eine unwesentliche Verringerung der Arbeitszeit zweckwidrig dazu nutzt, eine bestimmte Arbeitszeitverteilung durchzusetzen. Dafür reicht ein Konflikt mit Urlaubswünschen anderer Arbeitnehmer nicht aus. Der Einwand des Rechtsmissbrauchs hilft allenfalls in Ausnahmefällen. Das Teilzeitverlangen muss an den betrieblichen Organisationskonzepten gemessen werden. Der unterschwellige Eindruck, ein Arbeitnehmer wolle sich durch Teilzeit einen ungerechtfertigten Vorteil gegenüber der Belegschaft verschaffen, ist als Argument bei der Frage nach Rechtsmissbrauch kaum nutzbar zu machen.

Fazit

Das LAG Hessen öffnet die Tür für Urlaubsoptimierung durch Teilzeit. Arbeitgeber können sie nur durch umfangreiche Arbeitszeitkonzepte versperren. Bestehende Teilzeitmodelle und Urlaubsplanungen sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Pauschale Flexibilitätserwägungen im Arbeitgeber- (Kapazitätsschwankungen) oder Arbeitnehmerinteresse (Urlaubswünsche) helfen nicht weiter.

Immerhin hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Verteilung der Arbeitszeit nachträglich zu ändern (§ 8 Abs. 5 S. 4 TzBfG). Der Weg zu einer anderen Verteilung der Arbeitszeit mag noch steiniger sein als die Ablehnung des Teilzeitverlangens – aber er existiert.

Dr. Peter Körlings

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Senior Associate
Peter Körlings berät Sie in allen Bereichen des Arbeitsrechts. Dazu zählt insbesondere die Begleitung von Restrukturierungen und M&A-Transaktionen im nationalen und internationalen Kontext. Schwerpunkte seiner Tätigkeit bilden daneben die Beilegung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten und Verhandlungen von Kollektivvereinbarungen. Er unterstützt Unternehmen und Führungskräfte bei Abschluss und Beendigung von Dienstverträgen sowie bei der Gestaltung von RSUs/LTIs/STIs. Darüber hinaus verfügt er über vielfältige Erfahrungen bei Compliance-Untersuchungen und in den Bereichen Digitalisierung (Arbeitsrecht 4.0) und Diversity. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung".
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