Wird gegen eine Kündigung geklagt und entscheidet das Gericht, dass die Kündigung unwirksam war und das Arbeitsverhältnis nicht geendet hat, schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich sämtliches Gehalt für die Vergangenheit, den Annahmeverzugslohn. Hat ein zu Unrecht gekündigter Arbeitnehmer jedoch einen anderen Job aufgenommen, muss er sich Zwischenverdienst auf das noch zu zahlende Arbeitsentgelt anrechnen lassen, § 11 Nr. 1 KSchG. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch bei der Abgeltung von Resturlaubstagen aus dem ursprünglichen Arbeitsverhältnis, so das BAG.
Die Problematik war Gegenstand seiner Entscheidung vom 05.12.2023 (Az. 9 AZR 230/22): Die gekündigte Arbeitnehmerin ging – während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens – ein neues Beschäftigungsverhältnis ein. Einige Monate später entschied das Arbeitsgericht, dass das alte Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet worden war. Wiederum einige Monate später kündigte die ehemalige Arbeitgeberin erneut außerordentlich, wogegen die Arbeitnehmerin keine Klage mehr erhob. In ihrem neuen Beschäftigungsverhältnis hatte die Arbeitnehmerin in der Zwischenzeit bereits Urlaub genommen. Dennoch verlangte sie im vom BAG entschiedenen Fall von ihrer ehemaligen Arbeitgeberin noch die Abgeltung von insgesamt sieben Arbeitstagen vertraglichen Mehrurlaubs, davon fünf Tage aus dem Jahr 2020 und zwei Tage aus dem Jahr 2021. Sie argumentierte, der in ihrem neuen Job erhaltene Urlaub sei auf den Mehrurlaub nicht anzurechnen.
Voraussetzung der Anrechnung
Zunächst stellt das BAG klar, dass ein zu Unrecht gekündigter Arbeitnehmer, der während des Kündigungsrechtsstreits einen anderen Job aufnimmt, in beiden, parallel bestehenden Arbeitsverhältnissen (Doppelarbeitsverhältnis) volle Urlaubsansprüche erwirbt. Denn der gesetzliche Urlaubsanspruch aus dem BUrlG setze nur das Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraus, eine Arbeitsleistung müsse nicht erbracht werden. Weiter stellt das BAG heraus, dass in einem solchen Doppelarbeitsverhältnis dann aber der vom neuen Arbeitgeber gewährte Urlaub entsprechend § 615 S. 2 BGB i. V. m. § 11 Nr. 1 KSchG auf den Urlaubsabgeltungsanspruch gegen den ursprünglichen Arbeitgeber angerechnet werden muss – jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitspflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht kumulativ hätte erfüllen können. Bei Bestehen von zwei Vollzeittätigkeiten – wie im Fall des BAG – war dies anzunehmen.
Umfang der Anrechnung
Die Anrechnung kann dabei jedoch lediglich kalenderjahresbezogen und gerade nicht über Kalenderjahre hinaus erfolgen. Denn der Urlaubsanspruch selbst beziehe sich – aufgrund seines Erholungszwecks – auf das jeweilige Kalenderjahr. Es müsse sichergestellt bleiben, dass der Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr tatsächlich seinen vierwöchigen Mindesturlaub erhalte. Eine Anrechnung erfolgt dabei sowohl für den gesetzlich gewährten Urlaub als auch für den vertraglichen Mehrurlaub. Die Anrechnung führte im Streitfall zum vollständigen Wegfall des aus dem Jahr 2020 stammenden Urlaubsanspruchs der Arbeitnehmerin gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin.
Höhe des Abgeltungsanspruchs
Im Rahmen der Anrechnung ist unerheblich, welche Urlaubsvergütung die Arbeitnehmerin für die anzurechnenden Urlaubstage von ihrem neuen Arbeitgeber erhalten hat. Sollte diese niedriger ausgefallen sein als beim alten Arbeitgeber, bestünde gegen den alten Arbeitgeber ein Anspruch auf eine höhere Annahmeverzugsvergütung. Dadurch gewährleistet das BAG, dass der Arbeitnehmer für jeden Urlaubstag beim neuen Arbeitgeber im Ergebnis zugleich die gewöhnliche Vergütung – als Annahmeverzugsvergütung – beim vorherigen Arbeitgeber erhält.
Praxishinweis
Arbeitgeber sollten der Aufforderung des ehemaligen Arbeitnehmers, Resturlaubstage auszuzahlen, nicht vorschnell nachkommen. Die Prüfung einer Anrechnungsmöglichkeit in Bezug auf beim neuen Arbeitgeber bereits gewährten Urlaub kann sich lohnen. Dazu steht dem Arbeitgeber gegenüber dem ehemaligen Arbeitnehmer ein Auskunftsanspruch zu, gerichtet sowohl auf die Anzahl der Urlaubstage beim neuen Arbeitgeber als auch die Möglichkeit einer kumulativen Erfüllung der beiden Arbeitsverhältnisse. Eine Anrechnung scheidet allerdings aus, wenn die kumulative Erfüllung von zwei nebeneinander bestehenden Arbeitsverhältnissen möglich war. Anderslautende arbeitsvertragliche Regelungen sind unwirksam, § 11 KSchG ist zwingendes Recht.