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Wann verjähren Ansprüche auf Urlaubsabgeltung?

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Am Ende eines Arbeitsverhältnisses gibt es oftmals Streit über die finanzielle Abgeltung restlicher Urlaubstage. Doch wann verjähren Urlaubsabgeltungsansprüche? In einem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts hat der Generalanwalt beim EuGH in seinen Schlussanträgen vom 5.5.2022 (Rs. C-120/21) argumentiertVerjährungsfristen könnten erst dann zu laufen beginnen, wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflichten erfüllt und Arbeitnehmer auf den drohenden Verfall des Jahresurlaubs hingewiesen hat. 

Der Verfall von Ansprüchen auf Jahresurlaub und der damit korrelierende Anspruch auf finanzielle Abgeltung solcher Ansprüche nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist ständiger Gegenstand nationaler arbeitsgerichtlicher Rechtsstreitigkeiten und beschäftigt regelmäßig auch den EuGH. Hintergrund ist das Geltungszusammenspiel von nationalen Regelungen und Unionsrecht zum Jahresurlaub.

Urlaubsrecht und reguläre Verjährungsfrist

§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG sieht auf nationaler Ebene vor, dass Urlaub, der bis zum Jahresende nicht gewährt und genommen wird, verfällt, es sei denn, es findet gemäß § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG eine Übertragung auf das nächste Kalenderjahr statt, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Gemäß § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG muss übertragener Urlaub sodann in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. Nach den Vorgaben des EuGH hat das BAG in unionsrechtskonformer (Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG) Auslegung bereits 2019 (BAG, Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 541/15) entschieden, dass der Anspruch auf Jahresurlaub nur dann verfällt, wenn der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer ausdrücklich auffordert, Urlaub zu nehmen und sie unmissverständlich und rechtzeitig darauf hinweist, dass der Urlaub verfällt, wenn er nicht bis zum Ende des Bezugszeitraumes genommen wird (siehe auch unseren Blogbeitrag vom 15. August 2019).

Die regelmäßige Verjährung von Ansprüchen beträgt gem. § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Abschluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsinhaber Kenntnis von seinem Anspruch hatte bzw. haben musste.

Der Fall vor dem EuGH

Gegenstand im aktuellen Vorabentscheidungsverfahren ist die Vorlagefrage des BAG im Fall einer Steuerfachangestellten und Finanzbuchhalterin. Die Arbeitnehmerin konnte wegen eines hohen Arbeitsaufkommens 76 Urlaubstage aus 2011 sowie den Vorjahren nicht nehmen; dies wurde ihr in 2012 vom Arbeitgeber bescheinigt und festgehalten, dass der Urlaub nicht verfallen sei. Ihren gesetzlichen Jahresurlaub nahm die Arbeitnehmerin jedoch auch in den Folgejahren zwischen 2012 bis 2017 nicht vollständig in Anspruch. Dies blieb von ihrem Arbeitgeber unbeanstandet. Die Arbeitnehmerin wurde weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch wurde sie darauf hingewiesen, dass der Urlaub zu verfallen droht. Im Februar 2018 klagte die Arbeitnehmerin auf die Abgeltung von 101 Tagen Jahresurlaub, den sie vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses nicht genommen habe. Der Arbeitgeber war der Ansicht, nicht zur Urlaubsabgeltung verpflichtet zu sein, da die Urlaubansprüche, deren Abgeltung die Arbeitnehmerin verlangen könne, jedenfalls teilweise verjährt seien. Der EuGH soll die Frage prüfen, ob die nationale Verjährungsfrist im Urlaubsrecht unionsrechtskonform anwendbar ist und die Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen hindern kann (s. auch bereits unseren Beitrag hier).

Der Standpunkt des Generalanwalts

Zunächst stellt der Generalanwalt in seinen Anträgen zwar noch klar, dass weder die Anwendung der im deutschen Recht vorgesehenen Verjährungsfrist noch deren Länge von drei Jahren im Urlaubsrecht unionsrechtswidrig ist. Problematisch sei allein der Zeitpunkt, in dem die Verjährungsfrist zu laufen beginne. Die Dreijahresfrist beginnt nach Auffassung von De La Tour erst mit Ablauf des Jahres, in dem der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nachgekommen ist. Die theoretische Kenntnis der Arbeitnehmer von ihrem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub reiche dagegen nicht aus, um den Beginn der Verjährung in Gang zu setzen. Denn es bestünde die nicht unerhebliche Gefahr, dass Arbeitnehmer ihren Urlaubsanspruch nicht innerhalb der Verjährungsfrist geltend machen können. Arbeitnehmer hätten nämlich nur dann die Möglichkeit, sämtliche Urlaubsansprüche zu verwirklichen, wenn sie genau darüber informiert worden seien, wie viel Urlaub ihnen zur Verfügung steht. Für den Beginn der Verjährungsfrist sei deshalb der Ablauf des Jahres maßgeblich, in dem der Arbeitgeber seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit nachgekommen ist. Erst in diesem Zeitpunkt könnten Arbeitnehmer praktisch Kenntnis von ihrem tatsächlichen Urlaubsanspruch haben und so den Beginn der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 BGB auslösen.

Für den dem Verfahren zugrunde liegenden Fall würde das bedeuten, dass Urlaubsabgeltungsansprüche noch nicht verjährt wären. Mangels Hinweises des Arbeitgebers auf den drohenden Verfall der Urlaubsansprüche begann die Verjährungsfrist auch und insbesondere für die im Jahr 2012 für die Jahre davor bescheinigten 76 Urlaubstage nicht zu laufen.

Bedeutung für die Praxis

Sollte der EuGH den Anträgen des Generalanwalts folgen, was zu befürchten steht, hätte das erhebliche Auswirkungen auf die Geltendmachung von Urlaubsabgeltungsansprüchen. Kommen Arbeitgeber ihren Hinweis- und Mitwirkungspflichten nicht nach, kann die Abgeltung von restlichen Urlaubsansprüchen in Zukunft praktisch Jahre, gar Jahrzehnte lang geltend gemacht werden, auch noch durch die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers. Der Generalanwalt argumentiert mit der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers als die strukturell schwächere Partei, weshalb die Hinweispflichten des Arbeitgebers unerlässlich seien. Er übersieht dabei jedoch Sinn und Zweck von Verjährungsvorschriften, die der Vermeidung der „Aufsummung“ von Ansprüchen dienen. Wie sich die Diskussion auf zumeist in Arbeitsverträgen enthaltene Ausschlussfristen auswirkt, bleibt gleichsam abzuwarten. Arbeitgeber sind gut beraten, eine Routine zu etablieren und Arbeitnehmer stets im Vorfeld genau über ihren Jahresurlaub und die mögliche Übertragung zu informieren und darauf hinzuweisen, ab welchem Zeitpunkt die Ansprüche verfallen/verjähren.

In Zusammenarbeit mit Jana Schön, Wiss. Mit. im Berliner Büro.

Martin Wörle

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht / Notar
Partner
Martin Wörle berät Arbeitgeber bei betriebsverfassungsrechtlichen und tarifvertraglichen Fragestellungen, wie dem Abschluss von Tarifverträgen. Besondere Expertise besitzt er für die Beratung bei der Anbahnung und der Beendigung der Anstellungsverhältnisse von Vorständen, Geschäftsführern und sonstigen Geschäftsleitern sowie für die gerichtliche und außergerichtliche Begleitung von Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und Geschäftsleitern über deren Schadensersatzpflicht aufgrund Sorgfaltspflichtverletzungen einschließlich damit im Zusammenhang stehender gesellschafts- und D&O-versicherungsrechtlicher Themen. Seine notarielle Praxis hat ihren Schwerpunkt im Gesellschaftsrecht, der Beurkundung von Unternehmenskaufverträgen und der Begleitung von Management- und Mitarbeiterbeteiligungsvereinbarungen. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Private Equity / M&A".
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