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Urlaubsgewährung trotz fristloser Arbeitgeberkündigung?

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Eine fristlose Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Nicht genommener Urlaub kann nicht mehr gewährt werden und ist daher abzugelten. Allerdings wird regelmäßig erst im Kündigungsschutzprozess geklärt, ob die fristlose Kündigung rechtswirksam ist und ob diese das Arbeitsverhältnis tatsächlich beendet hat. Kann der Arbeitgeber dieser Rechtsunsicherheit dadurch begegnen, dass er bei Ausspruch der Kündigung vorsorglich Urlaub gewährt? Ja, er kann! – so das BAG in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung.

Das Problem: Widerspruch zwischen fristloser Kündigung und Urlaubsgewährung

Wird das Arbeitsverhältnis durch rechtswirksame fristlose Kündigung beendet, ist der bis dahin noch nicht genommene Urlaub abzugelten (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Bei einer fristgemäßen Kündigung zum Ablauf der Kündigungsfrist wird der Arbeitnehmer häufig freigestellt und die Freistellung zur Erledigung offener Urlaubsansprüche genutzt. Strebt der Arbeitgeber eine sofortige Beendigung der Zusammenarbeit an, wird die Kündigung üblicherweise fristlos und für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung zugleich hilfsweise fristgemäß ausgesprochen.

Aus Arbeitgebersicht problematisch ist bei einer derartigen fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung, dass Klarheit über die Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung regelmäßig erst im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess hergestellt wird. Damit stellt sich die Frage, ob sich der Arbeitgeber bereits bei Ausspruch der Kündigung festlegen und – die Rechtswirksamkeit der fristlosen Kündigung unterstellend – den Urlaub abgelten muss oder ob er – vom Standpunkt der fristlosen Kündigung aus widersprüchlich – die Kündigungsfrist nutzen kann, um den Resturlaub zu gewähren.

Die Lösung: vorsorgliche Urlaubsgewährung

Für derartige Fälle hält die Rechtsprechung das Instrument der vorsorglichen Urlaubsgewährung bereit: Wie das BAG in seiner Entscheidung vom 25. August 2020 (9 AZR 612/19) jüngst bestätigt hat, kann der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung dem Arbeitnehmer Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass die fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ungewiss, weil der Arbeitnehmer gegen die fristlose Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben hat, steht dies der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitnehmer das Bestehen seiner Arbeitspflicht kennt, sondern dass er die Gelegenheit hat, während eines bestimmten Zeitraums nicht zur Arbeit herangezogen zu werden, und sich deshalb nicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung bereithalten muss.

Aus Arbeitgebersicht zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang die Klarstellung durch das BAG, dass den Urlaub störende Ereignisse grundsätzlich in die Risikosphäre des Arbeitnehmers fallen: Die Einschränkungen, die sich durch sozialversicherungsrechtliche Handlungsobliegenheiten des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit dem Bezug von Arbeitslosengeld für die selbstbestimmte Nutzung der Freizeit während des Urlaubs ergeben, stehen einer vorsorglichen Urlaubsgewährung nicht entgegen. Somit kann der Arbeitnehmer nicht einwenden, dass eine Urlaubsgewährung wegen seiner Obliegenheit zur persönlichen Arbeitssuchend- und Arbeitslosmeldung (§ 38 Abs. 1 Satz 1 SGB III, § 141 Abs. 1 Satz 1 SGB III) und zur werktäglichen postalischen Erreichbarkeit für die Arbeitsagentur (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EAO) nicht in Betracht komme.

Die vorsorgliche Urlaubsgewährung unterliegt allerdings strengen Anforderungen: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer bei Ausspruch der fristlosen Kündigung zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub unmissverständlich und endgültig von der Arbeitspflicht befreien und das Urlaubsentgelt entweder vor Antritt des Urlaubs zahlen oder dessen Zahlung vorbehaltlos zusagen. Es ist daher Sorgfalt auf die Formulierung der vorsorglichen Urlaubsgewährung zu verwenden. Dabei kann man sich an der Formulierung orientieren, die der Arbeitgeber im vom BAG entschiedenen Fall verwendet und der das BAG seinen Segen erteilt hat.

Praxishinweise

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt: Der Arbeitnehmer kann versuchen, die vorsorgliche Urlaubsgewährung zu stören, indem er die Urlaubserteilung für den vom Arbeitgeber gewählten Zeitraum ablehnt. Ein derartiges Annahmeverweigerungsrecht besteht grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitgeber den Urlaub in die Kündigungsfrist legt, solange noch Raum für eine anderweitige Urlaubserteilung bleibt. Allerdings kann der Arbeitnehmer die Annahme regelmäßig nicht verweigern, wenn die Kündigungsfrist so kurz bemessen ist, dass der Urlaub nur in dem vom Arbeitgeber bestimmten Zeitraum gewährt werden kann.

Eine gänzlich andere Frage ist, ob im Einzelfall verhandlungstaktische Erwägungen gegen eine vorsorgliche Urlaubsgewährung sprechen. So kann es sich unter Umständen anbieten, das Thema Resturlaub zunächst zurückzustellen, um über zusätzliche „Verhandlungsmasse“ für eine gütliche Einigung mit dem Arbeitnehmer zu verfügen und eine Urlaubsabgeltung bei gleichzeitiger Vereinbarung eines Tatsachenvergleichs zum Urlaub – sozialversicherungsrechtlich privilegiert – gegebenenfalls in eine Abfindung „ummünzen“ zu können.

Dr. Christoph Bergwitz

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Counsel
Christoph Bergwitz unterstützt Arbeit­ge­ber ins­be­son­dere bei Fragen des Arbeit­neh­mer­da­ten­schut­zes, im Rahmen von Umstruk­tu­rie­rungs­pro­jekten sowie beim Schutz vor wett­be­werbs­wid­ri­gem Verhalten durch Arbeit­neh­mer. Darüber hinaus berät Christoph Bergwitz Füh­rungs­kräfte und Organ­mit­glie­der.
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