Ein kurzer Blick in die Bewerbungsmappe genügt häufig, um die Chance eines Bewerbers einschätzen zu können. Allein aufgrund des Namens, des Geschlechts, der Herkunft, der Nationalität und des Alters werden Kandidaten aussortiert. Auch das Bewerbungsfoto kann Einfluss auf den ersten Eindruck und eine mögliche Einladung zum Bewerbungsgespräch haben. Dies beruht nicht immer auf einer bewussten Entscheidung, sondern auch auf einem Bauchgefühl und bestimmten Stereotypen. Anonyme Bewerbungen könnten eine Lösung sein, um der damit einhergehenden Diskriminierung entgegenzuwirken. Das Start-up Taledo setzt mit einer Recruitment-Plattform auf einen digitalen Filter.
Anonyme Bewerbung – was bisher geschah
Nach dem Beispiel vieler anderer europäischer Länder wurde bereits vor 10 Jahren das erste Pilotprojekt mit mehreren anonymisierten Bewerbungsverfahren durchgeführt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bewertete das Ergebnis damals als sehr positiv und entwickelte einen Leitfaden für anonymisierte Bewerbungsverfahren. Gesetzlich verpflichtend einführen, wie es zum Beispiel in der USA der Fall ist, wollte sie das Verfahre aber nicht, sondern appellierte an die Freiwilligkeit und Überzeugung der Unternehmen. Die gegenwärtige Statistik ist aber eindeutig: in der Privatwirtschaft werden anonymisierte Bewerbungsverfahren so gut wie nicht durchgeführt. Selbst die bei dem Pilotprojekt beteiligten Unternehmen sind wieder zu den traditionellen Bewerbungsmethoden zurückgekehrt. Als Grund wurde unter anderem der relativ große Aufwand für die Schwärzung von nicht anonymisiert eingehenden Bewerbungen genannt.
Digitaler Filter als Innovation …
Der digitale Filter von Taledo minimiert den Aufwand, Bewerbungen zu anonymisieren. Ist in der Recruitment-Plattform die Filterfunktion eingeschaltet, wird das Profilbild der Bewerberin oder des Bewerbers unkenntlich gemacht und nur noch die Initialen des Namens angezeigt. Hierdurch soll vor allem der Blick-Fokus bei der Kandidatenwahl verlagert werden. Statt auf das farbig hervorstechende Foto und damit einhergehend das Geschlecht und Alter, sollen die Fähigkeiten des Bewerbers fokussiert werden. Dies wird auch durch die Namenskürzung unterstützt, durch die keine Rückschlüsse auf den ethnischen Hintergrund, die Religion und die Weltanschauung möglich sind.
…oder doch nur modifizierte Methode mit gleichen Problemen?
Die Möglichkeit, Anonymisierungen mit Hilfe eines digitalen Filters durchzuführen, wird die Akzeptanz dieser Bewerbungsmethode vermutlich nicht erhöhen. Abgesehen von dem Aufwand der Schwärzung, der aber auch bisher durch einen anonymisierten Online-Bewerbungsbogen hätte minimiert werden können, gab es nämlich noch andere Kritikpunkte: Nach dem Pilotprojekt haben sich mehrere beteiligte Unternehmen dazu geäußert, dass im Ergebnis weder mehr noch weniger Frauen oder Bewerber mit Migrationshintergrund ausgewählt worden seien. Außerdem sei ihnen, abseits von einem glatten Lebenslauf und guten Noten, der persönliche Eindruck der Bewerber ebenfalls wichtig. Außerdem zeichnet sich auch ab, dass andere Benachteiligungen gerade infolge der Anwendung des anonymisierten Bewerbungsverfahrens stattfinden könnten: So kann eine schlechte Note in Deutsch zum Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren führen. Wäre jedoch bekannt, dass dies nicht die Muttersprache des Kandidaten ist, könnte die Entscheidung auch anders ausgehen. Diesen Erwägungen, aber insbesondere auch dem Gefühl, sich von jemanden in das Bewerbungsverfahren „hineinreden“ zu lassen, kann auch der digitale Filter nichts entgegenhalten.
Fazit
Der digitale Filter ist kein Durchbruch gegen die Diskriminierung im Bewerbungsverfahren. Er kann zwar als Instrument, zur Verminderung von Diskriminierungen verwendet werden und stellt, neben den bereits bestehenden Möglichkeiten, für die Arbeitgeber eine einfache Möglichkeit dar, anonymisiert ein Bewerbungsverfahren durchzuführen. Es spricht aber für sich, dass laut eigener Angabe von Taledo lediglich 1% der Recruiter den Filter nutzen. Abschließend ist festzuhalten, dass die Einstellungsentscheidung letztlich nach dem Bewerbungsgespräch fällt. Das Einstellungsgespräch kann jedoch nicht anonym stattfinden, sodass es trotz anonymisierter Vorauswahl im Ergebnis doch von dem subjektiven Urteil des Personalers abhängt.
Mit tatkräftiger Unterstützung durch unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Frau Reischmann.