Wie bereits in Teil 1 unseres Beitrags angerissen, gestaltet es sich für Arbeitgeber durchaus problematisch, die konkreten Auswirkungen von Kündigungen auf die Altersstruktur und die daraus resultierenden Nachteile dieser für die Verwirklichung des Betriebszwecks darzulegen.
Weshalb auch die Beweiserleichterung im Zusammenhang mit einer Massenentlassung i. S. von § 17 Abs. 1 KSchG in der Praxis nur wenig hilfreich ist, wird im Folgenden erläutert.
Grundsatz
Grundsätzlich obliegt es dem Arbeitgeber, in einem gerichtlichen Prozess darzulegen, dass und weshalb er mit welchen Folgen von der „üblichen“ Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG abweichen will, wenn und weil er eine Altersgruppenbildung nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG durchführen möchte.
Entscheidungen zur Beweiserleichterung
In seinem Urteil vom 18.03.2010 (BAG, Urt. v. 18.3.2010 – 2 AZR 468/08) hat das BAG entschieden, dass dem Arbeitgeber eine Beweiserleichterung zugutekommen soll, wenn die Anzahl der Entlassungen innerhalb der Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebs die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht.
Das BAG stellte in dieser Entscheidung die folgenden Grundsätze auf:
- Erfolge die Altersgruppenbildung im Zusammenhang mit einer Massenentlassung i. S. d. § 17 KSchG, sei regelmäßig vom Vorliegen berechtigter betrieblicher Interessen auszugehen.
- Durch eine allein an § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ausgerichtete Sozialwahl sei bei Massenentlassungen typischerweise die Erhaltung der bestehenden Altersstruktur und damit verbunden, die langfristige Nachwuchsplanung, die Weitergabe von Erfahrungswissen an Jüngere und die Möglichkeit, dem Betrieb die oft aktuelleren Fachkenntnisse jüngerer Arbeitnehmer zugutekommen zu lassen, gefährdet.
- Die mit Massenentlassungen verbundenen Gefährdungen zu vermeiden, liege sowohl im Interesse der Gesamtheit der Belegschaft als auch im Wettbewerbsinteresse des Arbeitgebers.
- Ein Arbeitgeber genüge den Anforderungen des § 1 Abs. 3 S. 2 und S. 3 KSchG im Rahmen von Massenentlassungen im Hinblick auf die Bildung von Altersgruppen zunächst einmal dadurch, dass er auf das Überschreiten der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG verweise, da ein berechtigtes betriebliches Interesse an der Beibehaltung der Altersstruktur (widerlegbar) indiziert sei.
Einschränkung der Beweiserleichterung
War die vorstehend dargestellte Entscheidung des BAG noch zu begrüßen, so gab es mit der Entscheidung vom 26.03.2015 (BAG, Urt. v. 26.3.2015 – 2 AZR 478/13) einen ersten „Dämpfer“ für euphorische Arbeitgeber: Rund fünf Jahre später schränkte das BAG nämlich seine vorherige Auslegung ein und erklärte, dass die Beweiserleichterung (nur?) für den Fall gelten solle, bei dem die Anzahl der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebes die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreiche.
Ob eine Beweiserleichterung zugunsten der Arbeitgeber anzunehmen sei, wenn im Rahmen einer Massenentlassung die Schwellenwerte des § 17 KSchG nur in Bezug auf die insgesamt zu entlassenden Arbeitnehmer – nicht aber innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppe – überschritten sind, ließ es bis heute offen.
Kritik
Das BAG stützt sich in seiner Entscheidung vom 18.03.2010 darauf, dass eine erhebliche Veränderung der Zusammensetzung der Belegschaft im Zusammenhang mit Massenentlassungen anzunehmen sei. Betrachte man die personellen Veränderungen mit Blick auf die Gesamtbelegschaft, so liege typischerweise eine Gefährdung der langfristigen Nachwuchsplanung, der Weitergabe von Erfahrungswissen an Jüngere und der Verfügbarkeit von aktuelleren Fachkenntnissen jüngerer Arbeitnehmer vor.
Es sind zwar Fälle denkbar, in denen sich diese indizierten Nachteile innerhalb eines Betrieb nicht auswirken, wenn die Schwellenwerte des § 17 KSchG in den einzelnen Vergleichsgruppen – im Gegensatz zu der Betrachtung der insgesamt zu entlassenden Arbeitnehmer – nicht überschritten werden, jedoch stellt diese Einschränkung die Arbeitgeber faktisch erneut vor die formale Hürde der Darlegungslast. Zwar mag diese Rechtsprechung in sich logisch erscheinen, führt aber schlicht zu dem Ergebnis, dass Arbeitgeber häufig auf eine Altersgruppenbildung verzichten.
Arbeitgeber stellen sich immer breiter auf, bieten vielstufige Karriereleitern, beschäftigen Arbeitnehmer auf Expertenlaufbahnen, schließen individuell ausdifferenzierte Arbeitsverträge und bieten unterschiedliche Qualifikationsmöglichkeiten. In der Folge sind immer weniger Arbeitnehmer im k lassischen Sinne miteinander vergleichbar.
Dies führt dazu, dass nur noch wenige Arbeitgeber über genügend große Vergleichsgruppen verfügen, um in den Genuss der Beweiserleichterung zu gelangen, wenn diese nur einschlägig ist, sofern die Anzahl der Entlassungen innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer im Verhältnis zur Anzahl aller Arbeitnehmer des Betriebes die Schwellenwerte des § 17 KSchG erreicht.
Fazit
Um die Attraktivität der Altersgruppenbildung zu steigern, wäre es wünschenswert, dass die Rechtsprechung die Beweiserleichterung auch in den Fällen anwendet, in denen die Schwellenwerte in Bezug auf die insgesamt zu entlassenden Arbeitnehmer überschritten werden. Solange sich das BAG zu dieser Rechtsfrage nicht positioniert, ist es Arbeitgebern zu empfehlen, Auswirkungen und Nachteile einer allein anhand der Kriterien des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG durchgeführten Sozialauswahl mit Blick auf die Altersstruktur festzustellen, den Vergleich mit einer Sozialauswahl innerhalb der Altersgruppen zu ziehen, das (hoffentlich positive) Ergebnis festzuhalten und im Prozess eben diese Tatsachen darzulegen.