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Wer muss was beweisen? – Beweislast im Kontext der Betriebsratsvergütung

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Die Volkswagen-Entscheidung des BGH zur Untreue bei Betriebsratsvergütung (siehe unseren Blogbeitrag vom 20. März 2023) hat viele Unternehmen veranlasst, die Vergütung ihrer Betriebsräte zu überprüfen und teilweise zu reduzieren, um rechtliche Risiken zu vermeiden. Wer diesen Prozess bereits durchlaufen hat weiß, wie knifflig diese Thematik ist. In einem aktuellen Urteil des LAG Niedersachsen (14.02.2024 – 6 Sa 559/23) werden die Grundsätze des BAG zur Anpassung der Vergütung bei einem hypothetischen Karriereverlauf aufgegriffen und neue Regeln zur Darlegungs- und Beweislast bei nachträglichen Korrekturen entwickelt. 

Grundsätze der Betriebsratsvergütung

Betriebsratsmitglieder erhalten keine zusätzliche Vergütung für ihre Arbeit im Betriebsrat. Stattdessen werden sie für ihre Betriebsratstätigkeit von ihrer regulären Arbeit freigestellt, ohne dabei Gehaltseinbußen zu erleiden. Das Gesetz verbietet es, Betriebsratsmitglieder zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass Betriebsräte für ihre Betriebsratstätigkeit weder schlechter noch besser gestellt werden und ihre Unabhängigkeit gewahrt bleibt. Daraus folgt das sogenannte Lohnausfallprinzip: Betriebsräte haben Anspruch auf das Gehalt, das sie bekommen hätten, wenn sie nicht im Betriebsrat wären.

(Beweis-)Probleme bei der Rekonstruktion entscheidungserheblicher Tatsachen

Anknüpfungspunkt für die Höhe der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern ist das in § 37 Abs. 4 BetrVG verankerte entgeltbezogene Benachteiligungsverbot. Dieses stellt sicher, dass Betriebsratsmitglieder mindestens die gleiche Vergütung erhalten wie vergleichbare Arbeitnehmer mit einer betriebsüblichen Entwicklung. Für die Bestimmung dieser Vergleichsgruppe ist auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem das Betriebsratsamt übernommen wurde (siehe unseren Blogbeitrag vom 1. Juli 2024 zur Novellierung der Betriebsratsvergütung). Bei langjährigen Betriebsratsmitgliedern liegt dieser Zeitpunkt jedoch oft viele Jahre zurück, was die Bestimmung der richtigen Vergütung erschwert.

Auch der übliche Lauf der Zeit und der Wechsel von Mitarbeitern aufgrund von Kündigung oder Ruhestand, macht die Darlegungssituation nicht einfacher. Zum einen wird es dadurch schwieriger, vergleichbare Arbeitnehmer zu finden, die in einer ähnlichen Position und zu einem ähnlichen Zeitpunkt tätig waren. Zum anderen fehlen bei notwendigen Aufklärungsprozessen oft Zeugen, Wissensträger und auch Dokumente, die zur Klärung der Vergütungsfrage beitragen könnten.

Notwendige Darlegung einer betriebsüblichen Beförderungspraxis

Ein Betriebsratsmitglied kann eine höhere Vergütung aufgrund einer betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer nur beanspruchen, wenn:

  • dem Betriebsratsmitglied eine höherwertigere Tätigkeit nach den betrieblichen Gepflogenheiten hätte übertragen werden müssen, oder
  • die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen Aufstieg erreicht hat.

Fordert ein Betriebsratsmitglied eine höhere Vergütung aufgrund einer üblichen Beförderungspraxis im Betrieb, muss es nachvollziehbar darlegen, mit welchen anderen Arbeitnehmern es vergleichbar ist und warum es wahrscheinlich ist, dass die überwiegende Anzahl dieser vergleichbaren Arbeitnehmer eine Gehaltserhöhung erhalten haben. Kann das Betriebsratsmitglied wegen der Größe des Betriebs oder der Vielzahl an vergleichbaren Arbeitnehmern diese Mehrzahl nicht belegen, kann es zumindest einige konkrete Beispiele nennen, um die übliche Beförderungspraxis im Betrieb aufzuzeigen. Alternativ kann es zumindest einen Anspruch auf Auskunft über die Beförderungspraxis geltend machen. Eine „ins Blaue“ zielende Behauptung einer Beförderungspraxis ohne jeden konkreten Beispielfall genügt jedoch nicht.

Darlegungs- und Beweislast bei nachträglichen Korrekturen

Was aber gilt im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast, wenn der Arbeitgeber nachträglich eine Korrektur der Vergütung vornimmt, weil er die vergleichbaren Arbeitnehmer und deren betriebsübliche Entwicklung im Angesicht der verschärften Rechtsprechung des BGH neu bewertet? Mit genau diesem Fall hatte sich das LAG Niedersachsen zu beschäftigen.

In dem Fall hatte das Betriebsratsmitglied regelmäßig Gehaltserhöhungen erhalten, die sich an der Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer orientierten. Nach der BGH-Entscheidung überprüfte der Arbeitgeber die Gehälter der Betriebsratsmitglieder und senkte daraufhin das Gehalt des betroffenen Betriebsratsmitglieds.

Das LAG Niedersachsen entschied, dass die grundsätzlich beim Betriebsratsmitglied liegende Darlegungs- und Beweislast in einem solchen Fall nicht auf den Arbeitgeber übergeht. Zwischen dem Betriebsratsmitglied und dem Arbeitgeber sei keine vertragliche Vereinbarung über die Gehaltsanpassungen abgeschlossen worden, dessen Unrichtigkeit der Arbeitgeber darlegen und beweisen müsste. Die Entscheidungen des Arbeitgebers über Gehaltsanpassungen wurden vom LAG lediglich als unverbindliche Mitteilungen betrachtet, die das Gehalt an die Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer angleichen sollten.

Ebenso wenig muss die Darlegungs- und Beweislast nach Auffassung des LAG aus Vertrauensschutzgesichtspunkten auf den Arbeitgeber übergehen. Das Gericht stellte fest, dass das Betriebsratsmitglied kein berechtigtes Vertrauen in die Richtigkeit der Gehaltsanpassungen haben konnte, da der Arbeitgeber nie erklärt hatte, wie er die Vergleichsgruppen und deren berufliche Entwicklung konkret bewertet hat. Selbst wenn der Arbeitgeber solche Informationen offengelegt hätte, wäre das Vertrauen des Betriebsratsmitglieds in die Richtigkeit der Gehaltsanpassung nicht schutzwürdig, wenn diese Entscheidung gegen das Verbot der Begünstigung verstoßen würde.

Das Betriebsratsmitglied muss auch in diesem Fall vergleichbare Arbeitnehmer benennen, deren berufliche Entwicklung darlegen und zur betriebsübliche Beförderungspraxis vortragen, um den Anspruch auf höhere Vergütung zu belegen. Den Vortrag des Arbeitgebers nur in Frage zu stellen oder zu bestreiten, genügt hingegen nicht, um den Ball zum Arbeitgeber zurückzuspielen.

Ausblick

Die Revision gegen die Entscheidung des LAG wurde beim BAG eingelegt. Spannend bleibt, ob die Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast, die das LAG Niedersachsen entwickelt hat, auch vor dem BAG Bestand haben werden.

Da der BGH in der Volkswagen-Entscheidung klargestellt hat, dass für ihn die Schwelle von einer Betriebsratsbegünstigung zur Untreue niedrig ist, wäre es wünschenswert, wenn das BAG die Entscheidung des LAG Niedersachsen bestätigen würde. So wäre es den Arbeitgebern auch tatsächlich möglich, die Betriebsratsvergütung kritisch und gründlich zu überprüfen und Überzahlungen zu korrigieren.

Kristin Teske

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Kristin Teske berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "ESG".
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