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EU-Kommission zur Whistleblowing-Richtlinie: Welche Bestimmungen des HinSchG stehen auf dem Prüfstand?

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Rund ein Jahr nach Inkrafttreten des deutschen Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG) hat die EU-Kommission nun ihren Bericht über die Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie (WB-RL) in den EU-Mitgliedsstaaten veröffentlicht und dabei erhebliche Mängel festgestellt, die auch das HinSchG betreffen. Bereits im März 2023 hatte die EU-Kommission vor dem EuGH Klage gegen Deutschland wegen nicht rechtzeitiger Umsetzung der WB-RL erhoben. Die Entscheidung des EuGH und Sanktionszahlungen im zweistelligen Millionenbereich werden in Kürze erwartet.

Bei dem nun durch die EU-Kommission veröffentlichten Bericht stand Deutschland nicht gezielt im Fokus der Untersuchung. Es handelt sich vielmehr um eine allgemeine Bewertung und Prüfung der nationalen Gesetzgebung, ob die Bestimmung der WB-RL vollständig und ordnungsgemäß umgesetzt wurden. Die von der EU-Kommission dabei festgestellten – Zitat aus dem Bericht – „gröbsten Mängel“ treffen jedoch auch auf Vorschriften des HinSchG zu. Die beiden für Unternehmen und Arbeitgeber praxisrelevantesten Umsetzungsdefizite sollen im Folgenden beleuchtet werden.

1. Interne Meldestelle auf Konzernebene

Wenig überraschend fällt das Fazit der EU-Kommission zum sog. Konzernprivileg bei der Einrichtung interner Meldestellen aus. Nach der Konzeption der WB-RL müssen alle Unternehmen mit 50 oder mehr Arbeitnehmern eine interne Meldestelle einrichten. Dabei können Unternehmen mit maximal 249 Arbeitnehmern grundsätzlich ihre „Ressourcen teilen“, um den Aufwand für die Einrichtung und den Betrieb von internen Meldestellen zu verringern.

Die EU-Kommission stellte nun fest, dass einzelne Mitgliedstaaten – so auch Deutschland – diese Flexibilität zu Unrecht auch auf größere Unternehmen ausgedehnt haben. Konkret wurde es Unternehmensgruppen gestattet, eine interne Meldestelle ausschließlich auf Ebene der Unternehmensgruppe, d.h. auf Konzernebene, einzurichten, wodurch alle Konzernunternehmen – unabhängig von der Anzahl ihrer Arbeitnehmer – von der Verpflichtung zur Einrichtung eines eigenen internen Meldekanals befreit werden. Dies laufe dem Ziel der WB-RL zuwider, so die EU-Kommission, zu gewährleisten, dass potenzielle Hinweisgeber leicht auf Meldekanäle in ihrer unmittelbaren Umgebung zugreifen können.

Diese Sichtweise hat die EU-Kommission bereits 2021 in mehreren (unverbindlichen) Stellungnahmen vertreten. Wir haben in unserem Blogbeitrag vom 8. Mai 2023 darüber berichtet. Trotz Kenntnis dieser Rechtsauffassung hat sich der deutsche Gesetzgeber – wenngleich auch nicht durch ausdrückliche Regelung im HinSchG, sondern ausweislich der Gesetzesbegründung – für ein Konzernprivileg ausgesprochen. Schließlich sieht selbst die WB-RL die Möglichkeit der Auslagerung der internen Meldestelle auf Dritte, z.B. externe Dienstleister, vor. Dass zwar ein externer Dienstleister, aber kein konzernangehöriges Unternehmen Meldestelle sein kann, überzeugt (zutreffender Weise, insbesondere aus Praxissicht) nicht. Durch die Einrichtung einer zentralen Meldestelle bei einer Konzerngesellschaft dürfen lediglich keine zusätzlichen Hürden für Hinweisgeber aufgebaut werden.

Auch wenn das enge Verständnis der EU-Kommission in der Praxis auf erhebliche Kritik gestoßen und als wenig praktikabel eingestuft wurde, bleibt nach dem aktuellen Bericht leider nicht zu erwarten, dass die EU-Kommission die aus ihrer Sicht unionsrechtswidrige Umsetzung der WB-RL einfach auf sich beruhen lassen wird.

2. Maßnahmen zur Wiedergutmachung von Schäden

Zum Schutz von Hinweisgebern sieht die WB-RL bestimmte Abhilfemaßnahmen, wie etwa die Möglichkeit eines Eilrechtsschutzes, sowie die vollständige Wiedergutmachung sämtlicher durch (unzulässige) Repressalien gegen den Hinweisgeber verursachter Schäden vor. Diese Wiedergutmachung umfasst insbesondere auch den Ersatz immaterieller Schäden, wie etwa Schadensersatz wegen psychischer Belastungen. Die EU-Kommission kommt in ihrem Bericht zu dem Ergebnis, dass die Mitgliedsstaaten diese Vorgaben nicht ordnungsgemäß umgesetzt haben. Dies betrifft auch das deutsche HinSchG.

Das HinSchG sieht gerade keinen ausdrücklichen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz vor. Nach § 37 Abs. 2 HinSchG begründet ein Verstoß gegen das Verbot von Repressalien gegen den Hinweisgeber sogar explizit keinen Anspruch auf z.B. die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder auf einen beruflichen Aufstieg.

Nach Auffassung der EU-Kommission und der einschlägigen Rechtsliteratur ist die Verwehrung eines Anspruchs auf immateriellen Schadensersatz unionsrechtswidrig. Eine unionsrechtskonforme Auslegung des deutschen Rechts wird daher bereits diskutiert. Nach § 253 Abs. 1 BGB kann jedoch bei immateriellen Schäden grundsätzlich nur dann eine Entschädigung in Geld gefordert werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist; so etwa bei einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung nach § 253 Abs. 2 BGB oder bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG. Ein Nachweis der Verletzung dieser Rechtsgüter wird für Hinweisgeber wohl in den seltensten Fällen möglich sein. Hier geht es vielmehr um vermeintlich „niedrigschwelligere“ Repressalien wie Ausgrenzung, Mobbing oder das Verwehren beruflicher Chancen, für die das HinSchG in seiner gegenwärtigen Form keine ausreichende Wiedergutmachung im Sinne der WB-RL vorsieht.

Fazit

Dass die EU-Kommission aufgrund der festgestellten Verstöße gegen die WB-RL und Umsetzungsdefizite innerhalb des HinSchG nun direkt das nächste Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitet, halten wir gleichwohl für eher unwahrscheinlich. Vorerst können sich Unternehmen und Arbeitgeber auf die Regelungen des HinSchG in ihrer derzeitigen Ausgestaltung verlassen; ein akuter Handlungsbedarf besteht noch nicht. Allerdings bietet der Bericht der EU-Kommission einen belastbaren Blick in die Zukunft. Es ist damit zu rechnen, dass der deutsche Gesetzgeber – unter mehr oder weniger Druck seitens der EU –, die Verstöße gegen das Unionsrecht in absehbarer Zukunft abstellen wird oder aber entsprechende Entscheidungen durch die Judikative ergehen werden. Unternehmen sollten daher gerade die beiden oben genannten Problemstellungen im Blick behalten und in etwaige Risikoabwägungen und künftige Entscheidungen einfließen lassen. Über geplante Änderungen des HinSchG oder relevante Rechtsprechung halten wir Sie hier natürlich auf dem Laufenden.

Lena Fersch

Rechtsanwältin

Senior Associate
Lena Fersch berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Whistleblowing und Compliance".
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