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Fallstricke bei Anstellungsverträgen von Geschäftsführung und Vorstand – Teil 1: Der Urkundenprozess

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Sie haben Netflix pandemiebedingt „leer“ geschaut? Keine Sorge: Hier kommt eine neue Serie, in der wir in den kommenden Monaten potenzielle Fallstricke bei der Gestaltung von Geschäftsführer- und Vorstandsanstellungsverträgen beleuchten werden. In der ersten Folge geht es um die Vor- bzw. Nachteile und die potenziellen vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten rund um sog. „Urkundenprozesse“.

Der Urkundenprozess kurz vorgestellt:

Der Urkundenprozess ist eine besondere Verfahrensart, die in der allgemeinen Praxis eher selten vorkommt, mit der die klagende Partei allerdings verhältnismäßig schnell ein vorläufig vollstreckbares (Vorbehalts-)Urteil erstreiten kann. Das Urkundenverfahren ist zweigeteilt und besteht aus einem sog. Vor- und einem Nachverfahren, wobei Ersteres den Beschleunigungscharakter des Verfahrens maßgebend prägt. Denn anders als im herkömmlichen zivil- bzw. arbeitsgerichtlichen Verfahren sind beide Parteien im Rahmen des Vorverfahrens mit Blick auf die ihnen zur Verfügung stehenden Beweismittel weitestgehend beschränk. Wie der Name des Verfahrens vermuten lässt, können die Parteien lediglich auf den (i) Urkundenbeweis und (ii) die Parteivernehmung als zulässige Beweismittel zurückgreifen. Im Rahmen des Vorverfahrens ausgeschlossen ist mithin insbesondere „der Klassiker“ der Beweismittel: der Zeugenbeweis. Dieser kann erst im Rahmen des auf den Abschluss des Vorverfahrens folgenden Nachverfahrens eingeführt werden.

Vorteile bzw. Nachteile des Urkundenprozesses

Der Urkundenprozess ist im Wesentlichen nur für die Geltendmachung von Zahlungsansprüchen statthaft. Die Rechtswirksamkeit einer Kündigung als solche kann mithin nicht (originärer) Verfahrensgegenstand des Urkundenverfahrens sein. Dennoch kann der Urkundenprozess gerade in Kündigungskonstellationen für Geschäftsführer bzw. Vorstände eine interessantes Verfahrensmittel sein, mit der sie die Fortzahlung ihrer vertraglichen Bezüge sichern können. Denn seine – im Urkundenprozess „statthafte“ – Zahlungsforderung wird der klagende Geschäftsführer bzw. Vorstand regelmäßig relativ einfach durch die Vorlage seines (urkundlichen) Anstellungsvertrags beweisen können. Es läge dann an der Gesellschaft darzulegen und zu beweisen, dass der Zahlungsanspruch durch die Kündigung des Anstellungsverhältnisses erloschen ist.

Insbesondere in Fallkonstellationen, in denen das Anstellungsverhältnis nicht ordentlich, sondern – wie beim Vorstand prinzipiell – nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 626 BGB) gekündigt werden kann, kann der Urkundenprozess für den betreffenden Geschäftsführer bzw. Vorstand prozessuale Vorteile bieten. Dies insbesondere dann, wenn das kündigungsrelevante Verhalten des Geschäftsführers in Streit steht; die Gesellschaft insoweit auf Zeugenaussagen angewiesen ist, der Kündigungsgrund nicht verschriftlicht ist und mithin urkundlich nicht belegt werden kann.

In der Folge könnte sich der Geschäftsführer bzw. Vorstand relativ zügig einen vorläufig vollstreckbaren Titel gegenüber der Gesellschaft sichern, obwohl der Gesellschaft de facto entsprechende Einwendungen (die außerordentliche Kündigung) zur Verfügung stehen. Zwar kann die Gesellschaft die Zwangsvollstreckung des Geschäftsführers bzw. Vorstands aus einem erstrittenen Vorbehaltsurteil durch Sicherheitsleistung abwenden. Eine Abwendung scheitert allerdings dann, wenn der Geschäftsführer bzw. Vorstand selbst Sicherheit leistet, wovon in der Praxis regelmäßig Gebrauch gemacht wird.

Allerdings ist auch Vorsicht geboten: Die Kehrseite der Chancen, die das Urkundenverfahren dem klagenden Geschäftsführer bzw. Vorstand bieten mag, ist die potenzielle Schadensersatzpflicht, die den Kläger „kalt“ erwischen kann, wenn das Vorbehaltsurteil im Nachverfahren (in dem die Beweismittelbeschränkung gerade nicht mehr gilt!) aufgehoben wird, der Kläger aber bereits die Zwangsvollstreckung daraus betrieben hat.

Vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten

Die vorstehend (aus Geschäftsführer- bzw. Vorstandssicht) dargestellten, potenziellen Vorteile des Urkundenprozesses bilden spiegelbildlich Risiken, die schnell zur gerichtlichen Zerreißprobe aus Sicht der Gesellschaft werden können und denen durch eine vorausschauende Anstellungsvertragsgestaltung vorgebeugt werden kann und sollte. Dabei ist die Lösung einfacher als vielleicht gedacht: Denn die Geltendmachung von Ansprüchen im Wege des Urkundenverfahrens kann vertraglich ausgeschlossen werden, was jedenfalls bei der künftigen Gestaltung von Anstellungsverträgen – soweit nicht bereits geschehen – erwogen werden sollte.

Exkurs: Urkundenverfahren in arbeitsgerichtlichen Verfahren?

Mit Blick auf arbeitsgerichtliche Streitigkeiten bzw. die Gestaltung von Arbeitsverträgen kann dagegen Entwarnung gegeben werden. Denn in arbeitsgerichtlichen Verfahren ist der Urkundenprozess von Gesetzes wegen nicht statthaft (§ 46 Abs. 2 Satz 2 ArbGG).

KLIEMT.Arbeitsrecht




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