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EuGH zu Gender Pay Gap: Entgeltgleichheit eine der Grundlagen der Union

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Das Thema Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern ist viel diskutiert, der weiterhin bestehende „gender pay gap“ und oftmals bestehende Beweisschwierigkeiten geben dazu Veranlassung. Juristisch sind noch Fragen ungeklärt: Muss die Arbeit „gleich“ sein oder reicht auch „gleichwertig“, um das gleiche Entgelt unmittelbar verlangen zu können? Können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten unmittelbar auf Art. 157 AEUV berufen? Einige Fragen hat der EuGH am 3.6.2021 beantwortet.

Gemäß Art. 157 AEUV muss jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherstellen. Dieser Grundsatz gehört laut Europäischem Gerichtshof (EuGH) zu den Grundlagen der Union. Daher können sich Arbeitnehmer, so das Urteil  (3.6.2021 – C-624/19), in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten sowohl bei „gleicher“ als auch bei „gleichwertiger“ Arbeit unmittelbar auf den unionsrechtlich verankerten Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen berufen.

Der dem EuGH vorgelegte Fall

In dem der Entscheidung des EuGH zugrunde liegenden Verfahren klagten zahlreiche als Verkäuferinnen beschäftigte Arbeitnehmerinnen der britischen Supermarktkette Tesco Stores gegen das Unternehmen. Die Verkäuferinnen machten vor dem zuständigen britischen Arbeitsgericht geltend, dass ihnen das gleiche Entgelt zustehe, wie den (männlichen) Mitarbeitern, die in den Vertriebszentren, mithin in einem anderen Betrieb der Supermarktkette, beschäftigt sind. Sie rügten im Wesentlichen, dass es gegen Art. 157 AEUV und damit gegen den Grundsatz der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen verstoße, ihnen nicht das gleiche Entgelt zu zahlen, obwohl sie doch vergleichbare Arbeit leisteten.

Das Unternehmen entgegnete, die Verkäuferinnen, die in den Ladenlokalen arbeiten, während ihre Kollegen des Vertriebs in einem anderen Betrieb tätig sind, verrichteten lediglich „gleichwertige Arbeit“ in anderen Betrieben. Folglich könnten sich die Arbeitnehmerinnen nicht auf den unionsrechtlichen Grundsatz der Entgeltgleichheit berufen. Art.  157  AEUV  habe insoweit keine unmittelbare  Wirkung. Im Übrigen könne Tesco Stores nicht als „einheitliche Quelle“ angesehen werden.

Das britische Arbeitsgericht legte den Fall mit seinen unionsrechtlichen Fragestellungen dem EuGH zur Klärung vor. Trotz des mittlerweile vollzogenen „Brexits“ blieb der EuGH für das bereits anhängige Verfahren zuständig und traf am 3.6.2021 seine Entscheidung.

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH traf im Wesentlichen drei Kernaussagen. Erstens können sich nach Ansicht des Gerichtshofs Arbeitnehmerinnen auch dann auf den unionsrechtlichen Grundsatz der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen berufen, wenn sie geltend machen, „gleichwertige Arbeit“ zu leisten. Denn Art. 157 AEUV finde unmittelbare Anwendung – Betroffene können sich mithin vor nationalen Gerichten unmittelbar auf ihn berufen, auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten. Damit sind nicht nur die Mitgliedstaaten gezwungen, die Entgeltgleichheit sicherzustellen, sondern einzelne Arbeitgeber sind an diesen Grundsatz gebunden. Zweitens gelte der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen zwingend – also sowohl für gleiche als auch für gleichwertige Arbeit. Drittens sei der Geltungsbereich des Art. 157 AEUV grundsätzlich auch dann betroffen, wenn die gleichwertige Arbeit in unterschiedlichen Betrieben desselben Arbeitgebers verrichtet werde. Entscheidend sei nur, dass die unterschiedlichen Entgelte ein und derselben Quelle zuzurechnen sind, denn in diesem Fall könnten die Arbeit und das Entgelt dieser Arbeitnehmer verglichen werden. Sei die Ungleichbehandlung dagegen auf das Fehlen einer solchen Einheit zurückzuführen, komme mangels Vergleichbarkeit keine Diskriminierung in Betracht.

Über das konkrete Schicksal der Verkäuferinnen und die Beantwortung vorgenannter Fragestellungen im Einzelfall entscheidet nun jedoch nicht der EuGH, sondern das vorlegende britische Arbeitsgericht. Der EuGH ebnete gleichwohl den Weg für die Verkäuferinnen: Er bestätigte im Grundsatz deren Auffassung, dass die Arbeit in unterschiedlichen Betrieben dem Anspruch auf Entgeltgleichheit jedenfalls nicht entgegensteht. Das britische Arbeitsgericht wird nun die Fragen zu beantworten haben, ob die Arbeit der Verkäuferinnen tatsächlich „gleichwertig“ gegenüber der ihrer Kollegen im Vertrieb ist und ob es sich bei Tesco Stores um eine „einheitliche Quelle“ handelt (Letzteres dürfte zu bejahen sein).

Praktische Bedeutung

Die Entscheidung des EuGH bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen. Der EuGH stellt klar, dass sich Arbeitnehmerinnen auch vor nationalen, damit auch vor deutschen, Gerichten unmittelbar auf Art. 157 AEUV berufen und gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit verlangen können. Offen bleiben weiterhin die Fragen, welche konkreten Anforderungen an das Vorliegen „gleichwertiger Arbeit“ und eine „einheitliche Quelle“ zu stellen sind, zum Beispiel in Konzernstrukturen.

In Zusammenarbeit mit Jana Schön, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Berliner Büro.

Dr. Daniela Quink-Hamdan 

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht
Counsel
Daniela Quink-Hamdan berät Arbeitgeber vor allem zu Umstruk­tu­rie­run­gen sowie zu Fragen des Betriebs­ver­fas­sungs- und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­rechts. Im Rahmen der Pro­zess­ver­tre­tung bringt sie ihre Erfah­run­gen als ehemalige Richterin in der Arbeits­ge­richts­bar­keit ein. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung".
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