Die bisherige Situation: Nur die ersten drei Arbeitnehmer, die zu einer Betriebsratswahl eingeladen haben, waren vor einer ordentlichen Kündigung geschützt. Dieser Schutz wird nun durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz auf sechs Arbeitnehmer erhöht. Daneben werden auch sogenannte Vorfeld-Initiatoren in unbegrenzter Anzahl geschützt.
Bislang hält das Betriebsrätemodernisierungsgesetz nicht, was es verspricht (lesen Sie hierzu unsere Beträge vom 1. April 2021 und 21. April 2021). Auch mit der Erweiterung des Kündigungsschutzes vor einer Betriebsratswahl gelingt dem Gesetzgeber nicht der große Wurf. Im Gegenteil: Das Gesetz eröffnet Möglichkeiten zum Missbrauch.
Bisheriger Kündigungsschutz im Vorfeld einer Betriebsratswahl
Neben amtierenden Betriebsratsmitgliedern haben auch Mitglieder des Wahlvorstandes und Wahlbewerbern einen Sonderkündigungsschutz. Dieser Schutz soll verhindern, dass der Arbeitgeber die Bildung von Betriebsräten im Vorfeld einer Wahl durch die Aussprache von Kündigungen behindert oder sogar verhindert.
Gem. § 15 Abs. 3 S. 1 KSchG ist die ordentliche Kündigung eines Mitglieds des Wahlvorstands vom Zeitpunkt seiner Bestellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig. Der Wahlbewerber wird vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses geschützt. Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist möglich, bedarf aber nach § 103 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Wird diese Zustimmung nicht erteilt, kann ein Antrag auf gerichtliche Ersetzung dieser Zustimmung erhoben werden.
15 Abs. 3a KSchG dehnt den Sonderkündigungsschutz auf sog. Wahlinitiatoren aus. Dies sind Arbeitnehmer, die in Betrieben ohne Betriebsrat zu einer Betriebsversammlung zur Bestellung eines Wahlvorstandes einladen. Die ordentliche Kündigung ist ab Einladung zur Betriebsversammlung bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses ausgeschlossen. Um einen Missbrauch durch eine ausufernde Benennung von Wahlinitiatoren zu vermeiden, wurde der besondere Kündigungsschutz bisher auf die ersten drei in der Einladung aufgeführten Arbeitnehmer begrenzt.
Verbesserter Schutz durch Betriebsrätemodernisierungsgesetz?
Durch das bereits am 18. Juni 2021 in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz wird die Anzahl der geschützten Wahlinitiatoren von drei auf sechs Wahlinitiatoren verdoppelt. Zudem wird der Kündigungsschutz auf sog. Vorfeld-Initiatoren erstreckt. Dies sind Arbeitnehmer, die bloße Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats unternehmen und eine beglaubigte Erklärung dazu abgegeben haben.
Damit wird der Sonderkündigungsschutz zeitlich deutlich nach vorne verlagert. Ausweislich der Gesetzesbegründung sind etwa Gespräche mit anderen Arbeitnehmern, um die Unterstützung für eine Betriebsratsgründung zu ermitteln, oder die Kontaktaufnahme zu einer Gewerkschaft für Vorbereitungshandlungen ausreichend. Der Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit der Vorfeld-Initiatoren erstreckt sich nur auf personen- und verhaltensbedingte Kündigungsgründe. Betriebsbedingte Kündigungen bleiben zulässig. Damit soll verhindert werden, dass bei bekanntgegebenen Personalabbau plötzlich eine große Anzahl der Arbeitnehmer vermeintlich eine Betriebsratswahl initiieren, um in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes zu kommen. Zeitlich erstreckt sich der Schutz von der Abgabe der öffentlich beglaubigten Erklärung bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebsratswahl, längstens jedoch auf drei Monate.
Problem: Keine Begrenzung der geschützten Vorfeld-Initiatoren
Größter Kritikpunkt der Neuregelung ist der zahlenmäßig unbegrenzte Schutz der Vorfeld-Initiatoren. Anders als bei der Beschränkung auf sechs Wahlinitiatoren ist die Anzahl der Vorfeld-Initiatoren nicht beschränkt. Das bedeutet, dass grundsätzlich jeder Arbeitnehmer die niedrige Schwelle der Vorbereitungshandlungen in Kombination mit der beglaubigten Erklärung nutzen kann, um für eine gewisse Zeit vor personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen geschützt zu sein. Gerade im Fall der verhaltensbedingten Kündigung erschließt sich dieser Schutz nicht.
Zudem wird nicht hinreichend klar, wann der Arbeitnehmer bereits Vorbereitungshandlungen begonnen hat. Die in der Gesetzesbegründung aufgeführten Beispiele enthalten teils Handlungen, die für den Arbeitgeber nicht erkennbar sind. Ob der Arbeitnehmer beispielsweise bereits Gespräche mit anderen Arbeitnehmern geführt hat, ist für den Arbeitgeber regelmäßig nicht ersichtlich. Potenziell kann somit jeder Arbeitnehmer behaupten, bereits Vorbereitungshandlungen durchgeführt zu haben. Im Ergebnis wird es voraussichtlich nur auf die beglaubigte Erklärung ankommen. Die Neuregelung birgt somit erhebliches Missbrauchspotenzial.
Im Übrigen ist der Arbeitnehmer in diesem frühen Stadium (z.B. Kontaktaufnahme zur Gewerkschaft) nicht schutzwürdig, da er bei für den Arbeitgeber nicht erkennbaren Handlungen keine Sanktionen seitens des Arbeitgebers zu befürchten hat.