Sind im Zuge einer Betriebsänderung Kündigungen auszusprechen und existiert ein Betriebsrat, sind mit diesem Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen durchzuführen. Bei Arbeitgebern fällt in der Beratung dann oft das Stichwort „Namensliste“, weil damit gedanklich viele Vorteile verknüpft sind. Auf der anderen Seite steht der Betriebsrat, der sich erfahrungsgemäß dem Erstellen einer Namensliste grundsätzlich verschließt. Das wirft die Frage auf, ob die Vorteile einer existierenden Namensliste den Kampf darum wert sind.
§ 1 Abs. 5 KSchG beinhaltet prozessuale Vorteile für den Arbeitgeber
1 Abs. 5 S. 1 und 2 KSchG lauten:
Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
Was bedeuten nun diese, durch Unterstreichung hervorgehobenen Aussagen des Gesetzes für den Kündigungsschutzprozess? Bekanntermaßen gelten im Kündigungsschutzprozess die gesetzlichen Regelungen der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, ergänzt um die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast, die aus dem Grundrecht des Arbeitnehmers aus Art. 12 GG und dem strukturell bedingten Wissensdefizit des Arbeitnehmers abgeleitet werden.
Für den Fall einer vorhandenen Namensliste bedeutet das zunächst, dass der Arbeitgeber im ersten Schritt die Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 5 darzulegen und ggf. zu beweisen hat. Namentlich sind dies das Vorliegen einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG, die Kausalität der Betriebsänderung für die Kündigung und die Existenz einer Namensliste, die den formalen Anforderungen genügt. Gelingt das, kommt dem Arbeitgeber im Prozess in einem Punkt eine Beweiserleichterung und in einem weiteren Punkt ein eingeschränkter gerichtlicher Prüfungsmaßstab zugute.
Vermutungswirkung hinsichtlich des Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse
Zum einen wird das Vorliegen des Kündigungsgrundes „dringende betriebliche Erfordernisse“ vermutet. Diese Vermutungswirkung betrifft alle Aspekte, die bei der Frage nach der Betriebsbedingtheit der Kündigung geprüft werden. Im Prozess bedeutet das eine Beweislastumkehr, § 292 ZPO. Der Arbeitnehmer muss zuerst darlegen und ggf. beweisen, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vorliegen, das heißt, sein Arbeitsplatz nicht weggefallen ist oder eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht.
Beschränkung der Überprüfung der sozialen Auswahl
Zum anderen ist die gerichtliche Überprüfung der sozialen Auswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt. Diese eingeschränkte Überprüfung bezieht sich auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung, aber auch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen. Der Prüfungsmaßstab ist insoweit nur, ob eine evidente, massive Abweichung von den Grundsätzen des Abs. 3 vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt. Diese Prüfung erfolgt auch nur im Hinblick auf den klagenden Arbeitnehmer, nicht etwa auf das gesamte Auswahlverfahren als solches.
Praktische Auswirkungen im Kündigungsschutzprozess
Kann sich nun der Arbeitgeber (bzw. dessen Anwalt) beruhigt zurücklehnen und sich die Mühen des Vortrags zu den Gründen für die Kündigung und die Darlegung der Sozialauswahlkriterien ersparen? Kurz gesagt, nein. Die in § 1 Abs. 5 KSchG angeordnete Vermutungswirkung hat die prozessuale Konsequenz des § 292 ZPO (i.V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG). § 292 ZPO ordnet eine Umkehr der Beweislast an. Aufgrund des strukturell bedingten Informationsdefizits auf Arbeitnehmerseite weicht das BAG aber auch diese Beweislastumkehr auf. Ähnliche Konsequenzen ergeben sich beim nötigen Sachvortrag hinsichtlich der Sozialauswahl.
Vorliegen des Kündigungsgrundes
Hat der Arbeitgeber die für die Vermutungswirkung notwendigen Tatsachen substantiiert dargelegt und ggf. bewiesen, ist es die Aufgabe des Arbeitnehmers, substantiiert Tatsachen vorzutragen, die den gesetzlich vermuteten Umstand nicht nur in Zweifel ziehen, sondern ausschließen. Weiterer Tatsachenvortrag des Arbeitgebers zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit und dem Fehlen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten wird von diesem erst dann erwartet. Allerdings gesteht das BAG dem Arbeitnehmer auch hier zu, dass eine sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers dann besteht, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis von den maßgebenden Tatsachen besitzt. Diese Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers leitet das BAG aus § 138 ZPO her und aus dem nötigen Schutz des Arbeitnehmers bei einem Eingriff in seine grundrechtlich geschützte Rechtsposition. Im Prozess bedeutet das, dass vom Arbeitnehmer verlangt wird, zumindest greifbare Anhaltspunkte zu benennen, aus denen sich die Unrichtigkeit der nach § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG vermuteten Tatsache ergeben soll. Diese Anhaltspunkte sollen auch unter Beweis gestellt werden, wobei hier die Grenze zum unzulässigen Ausforschungsbeweis verschwimmt. Bestehende Informationsmöglichkeiten, wie z.B. die Nachfrage beim Betriebsrat (der ggf. aber Auskunft aufgrund eigener Geheimhaltungspflichten verweigern kann und muss), sind auszuschöpfen. Das BAG scheint auch vom Arbeitnehmer zu erwarten, dass dieser sich dazu erklärt, weshalb er keine für seinen Vortrag erforderliche hinreichende Kenntnis von Tatsachen hat. Erst dann, aber dann zwingend erforderlich ist weiterer Vortrag des Arbeitgebers zum Inhalt der Betriebsänderung, der dem Arbeitnehmer ermöglicht, seiner primären Darlegungs- und Beweislast, ggf. durch weitere Nachforschungen seinerseits, nachzukommen. Ob der sich dann anschließende Vortrag des Arbeitnehmers ausreicht, um die Vermutungswirkung zu widerlegen, hat das Gericht zu bewerten.
Sozialauswahl
Die Beschränkung der Prüfung bei der sozialen Auswahl ändert nichts an der Darlegungs- und Beweislast im Prozess. Dies dürfte häufig verkannt werden. Dieser Schluss ergibt sich jedoch bereits aus der konsequenten Anwendung des Gesetzes und wurde zudem ausdrücklich vom BAG klargestellt. Es ändert sich lediglich der Prüfungsmaßstab des Gerichts. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber auch bei Existenz einer Namensliste sehr wohl die Auskunftspflichten des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG hat, sofern der Arbeitnehmer im ersten Schritt die ordnungsgemäße Sozialauswahl beanstandet und den Arbeitgeber zur Darlegung der Auswahlkriterien aufgefordert hat. Unterlässt der Arbeitgeber im Prozess diese Auskunft, ist die Kündigung nach BAG-Rechtsprechung unwirksam. Inhaltlich ist der Arbeitgeber zwar nicht dazu verpflichtet, die vollständige Auflistung aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer inklusive deren Sozialdaten mitzuteilen. Aber er muss seine subjektiven, von ihm angestellten Auswahlüberlegungen mitteilen. Trägt der Arbeitnehmer dann im nächsten Schritt Anhaltspunkte dafür vor, dass diese Auswahlüberlegungen eine grob fehlerhafte Sozialauswahl zur Folge hatten, muss der Arbeitgeber wiederum seinen Vortrag weiter substantiieren. Dazu gehört auch – bei entsprechendem Vorbringen des Arbeitnehmers, dass und warum dieser keine hinreichende Kenntnis über die Sozialdaten der verglichenen Mitarbeiter hat – dass er die Sozialdaten der konkret verglichenen Mitarbeiter offenlegt. Auch hier hilft das BAG dem Arbeitnehmer wieder mit den Grundsätzen des § 138 ZPO. In Situationen mit einem Personalabbau größeren Umfangs in einem größeren Betrieb dürfte es dem Arbeitnehmer relativ leicht gelingen, das Gericht davon zu überzeugen, die sekundäre Darlegungslast wieder beim Arbeitgeber zu sehen. Folglich sollte der Arbeitgeber darauf vorbereitet sein, auch bei einer Namensliste alle Kriterien vorzutragen, die zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Durchführung der Sozialauswahl in Bezug auf den konkreten Kläger erforderlich sind.
Ergebnis: Die Namensliste schafft erhebliche Vorteile bei der rechtlichen Würdigung des Gerichts, weniger jedoch beim Umfang des Vortrags im Kündigungsschutzprozess
Die Erleichterungen, die sich für einen Arbeitgeber aus einer vorhandenen Namensliste ergeben, haben ihre Ursache in der Vermutung des Gesetzgebers, dass bei der Beteiligung des Betriebsrats an einer Namensliste sowohl eine erhöhte Richtigkeitsgewähr bei der Sozialauswahl als auch bei der Betriebsbedingtheit der Kündigung gegeben ist und dass die Interessen der Belegschaft angemessen berücksichtigt wurden. Der Gesetzgeber wollte dem Arbeitgeber bei einem größeren Personalabbau eine Möglichkeit geben, diesen rechtssicherer zu gestalten.
Der Arbeitnehmer muss im Prozess zwar mehr „tun“, um die sekundäre Darlegungslast des Arbeitgebers auszulösen. Tut er dies aber, ist arbeitgeberseitig sowohl zu dem Vorliegen des Kündigungsgrundes als auch zur ordnungsgemäßen Durchführung der Sozialauswahl vorzutragen.
Um zu verhindern, dass der Klage stattgegeben wird, sollte man als Arbeitgeber die Substanz des klägerischen Vortrags sehr genau und eher konservativ prüfen sowie beim Gericht darauf hinwirken, dass es bereits vor Urteilsfällung Aussagen, ggf. in Form eines Hinweisbeschlusses und der Aufforderung zu ergänzendem Vortrag, trifft. Sonst kann es im Urteil durchaus zu einer bösen Überraschung kommen.
Wird dies befolgt, kann der Arbeitgeber sich auch bei guter Prozessführung der Gegenseite zumindest auf eine eingeschränkte Prüfung der Rechtmäßigkeit der Sozialauswahl verlassen.