Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat, finden die wesentlichen Schutzbestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes nur in Betrieben mit mehr als 10 Arbeitnehmern Anwendung. Diese „Kleinbetriebsklausel“ soll kleinen Arbeitgebern die Sorge vor Einstellungen nehmen, indem sie Kündigungen zulässt, ohne dass diese nach dem strengen Blick des Arbeitsrichters sozial gerechtfertigt sein müssen.
Dementsprechend intensiv wird vor den Arbeitsgerichten zwischen Arbeitgebern und gekündigten Arbeitnehmern um den Schwellenwert gerungen, von dem das Vorliegen eines „Kleinbetriebs“ abhängt. Dann muss geklärt werden, ob die Arbeitnehmerzahl des fraglichen Betriebs tatsächlich unter dem Schwellenwert liegt, was eigentlich alles zum fraglichen Betrieb zählt, ob „der Betrieb“ überhaupt der richtige Anknüpfungspunkt ist und wer eigentlich was genau beweisen muss.
Insbesondere in Grenzfällen kann das durchaus schwierig werden – wie eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zeigt (Urteil vom 2. März 2017, 2 AZR 427/16).
Der Fall
Die beklagte Arbeitgeberin (eine unabhängige Fondsgesellschaft) unterhielt zwei Betriebsstätten – eine in Hamburg und eine in München. Sie beschäftigte einschließlich des Klägers unstreitig 9 Vollzeitbeschäftigte und einen Mitarbeiter mit neun Arbeitsstunden wöchentlich. Zudem beschäftigte sie an der Betriebsstätte Hamburg die Mitarbeiterin B, deren wöchentliche Arbeitszeit gemäß Arbeitsvertrag 18 Stunden betrug. Es gab zwei Geschäftsführer.
Im Februar 2014 kündigte die Beklagte dem Kläger ordentlich fristgerecht. Eine soziale Rechtfertigung der Kündigung war nicht ersichtlich, sodass einzig die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes maßgeblich war.
Um den Schwellenwert von mehr als 10 Arbeitnehmern zu erreichen, setzte der Kläger bei der Arbeitszeit der Mitarbeiterin B an und behauptete, diese sei tatsächlich in Vollzeit tätig. Zudem seien die Betriebsstätten in München und Hamburg ein einheitlicher Betrieb, weswegen für den Schwellenwert alle Arbeitnehmer der Beklagten zusammenzurechnen seien.
Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wurde die Arbeitszeit der Mitarbeiterin B als vermeintliche Schwachstelle des Arbeitgebers identifiziert. Dementsprechend wurde der dienstliche und private Tagesablauf von Frau B minutiös und detailliert aufgeklärt. Nichts wurde unversucht gelassen, um die tatsächliche Arbeitszeit von Frau B zu ermitteln. Frau B wurde sogar als Zeugin befragt.
Trotz dieses Aufwands konnte die genaue Arbeitszeit von Frau B letztlich nicht ermittelt werden. Das Berufungsgericht kam aber immerhin zu der Überzeugung, eine wöchentliche Arbeitszeit im Umfang einer Vollzeitstelle könne nicht ausgeschlossen werden.
Bei allem Aufklärungseifer um die Arbeitszeit von Frau B ist die Frage, ob die Betriebsstätten München und Hamburg einen einheitlichen Betrieb bilden, offenbar in den Hintergrund gerückt. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat diese Frage relativ undifferenziert bejaht und das Kündigungsschutzgesetz für anwendbar gehalten (Urteil vom 28. April 2016, 10 Sa 2231/15).
Auf die Revision der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Kündigungsschutzklage abgewiesen.
Es bleibt dabei: Beweislast für das Erreichen des Schwellenwerts beim Arbeitnehmer
Das LAGBerlin-Brande nburg war in seiner Entscheidung – entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – davon ausgegangen, die Darlegungs- und Beweislast für das Erreichen des Schwellenwerts für einen Kleinbetrieb trage der Arbeitgeber. Neben systematischen Argumenten begründete das Berufungsgericht seine Ansicht sinngemäß insbesondere damit, dass es vom Arbeitnehmer nicht erwartet werden könne, über Detailkenntnisse zu den betrieblichen Strukturen und die Arbeitszeitgestaltung bei „allen übrigen Arbeitnehmern“ zu verfügen.
Konsequenterweise hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg keine abschließende Feststellung zur Arbeitszeit von Frau B getroffen, sondern es ausreichen lassen, dass die Arbeitgeberin nicht beweisen konnte, dass Frau B nicht in Vollzeit arbeitet.
Diese Argumentation konnte vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Bestand haben. Das Bundesarbeitsgericht hat nochmals bekräftigt, dass zunächst der Arbeitnehmer das ihm mögliche zum Erreichen des Schwellenwerts vortragen muss. Erst im zweiten Schritt muss sich der Arbeitgeber dazu erklären (abgestufte Darlegungs- und Beweislast).
Nach diesem System trägt der Arbeitnehmer das Risiko und unterliegt, wenn der Sachverhalt nicht eindeutig aufgeklärt werden kann („non-liquet“). Somit waren die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zur Arbeitszeit von Frau B („Vollzeittätigkeit nicht auszuschließen“) nicht ausreichend.
Kein einheitlicher Betrieb
Eine weitere Aufklärung der Arbeitszeit von Frau B war jedoch nicht nötig. Denn nach Einschätzung des Bundesarbeitsgerichts stellten die Standorte der Arbeitgeberin in München und Hamburg bereits keinen einheitlichen Betrieb dar.
Zwar hatte der Kläger im Berufungsverfahren einige Indizien benannt, die aus seiner Sicht für das Vorliegen eines einheitlichen Betriebs sprechen (z.B. gemeinsame Telefonanlage, regelmäßige standortübergreifende Telefonkonferenzen, Überschneidungen zwischen den Zuständigkeitsbereichen der beiden Geschäftsführer, Bearbeitung von Urlaubsanträgen einheitlich in München).
Das Bundesarbeitsgericht unterstellte zu Gunsten des Klägers sogar noch, dass er damit die erste Stufe seiner Darlegungslast erfüllt hatte. Jedoch war die Arbeitgeberin diesem Vortrag in einem späten Schriftsatz in erheblicher Weise entgegengetreten und hatte vorgetragen, die Entscheidungen über personelle Maßnahmen, Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen treffe für den Standort München ein Geschäftsführer und für den Standort Hamburg der andere Geschäftsführer. Dem konnte der Kläger nichts mehr entgegensetzen.
Damit blieb es bei der Darstellung der Arbeitgeberin, wonach sie zwei eigenständige Betriebe unterhält, für welche der Schwellenwert aus § 23 Abs. 1 KSchG jeweils unter keinen Umständen erreicht ist. Auf die Arbeitszeit von Frau B kam es daher nicht an.
Betriebliche Betrachtung des Schwellenwerts – auch bei „Kleinbetrieben“
Ein eigenständiger Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinn liegt vor, wenn die fragliche Organisationseinheit insbesondere über einen einheitlichen Leitungsapparat verfügt, der eigenständig über wesentliche personelle und soziale Angelegenheiten entscheidet. Maßgeblich sind insoweit etwa Entscheidungen über Einstellungen, Entlassungen, Versetzungen und Urlaubsgewährung, zudem auch die eigenständige Durchführung von Personalgesprächen und Personalbeurteilungen.
Zwei oder mehrere Betriebsstätten bilden also dann keinen einheitlichen Betrieb, wenn sie jeweils über unabhängige eigene Leitungsstrukturen in diesem Sinne verfügen – selbst wenn in anderen Bereichen eine enge Zusammenarbeit gelebt wird.
Das Bundesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass für Kleinbetriebe kein anderer Maßstab gilt. Ein Unternehmen kann über eine betriebliche Struktur mit mehreren kleinen „organisatorisch verselbstständigten Einheiten“ verfügen, die jeweils das Privileg der Kleinbetriebsklausel genießen. Das gilt selbst dann, wenn die einzelnen Betriebe zusammengenommen den Schwellenwert überschreiten.
Eine Durchbrechung der streng betrieblichen Betrachtungsweise des Schwellenwerts – und damit ein Rückgriff auf die Arbeitnehmerzahl des Unternehmens – kommt nur in Betracht, wenn die betriebliche Anknüpfung ausnahmsweise zu sachwidrigen Ergebnissen und ungerechtfertigter Benachteiligung der Arbeitnehmer führen würde. Das kann etwa der Fall sein, wenn ein Unternehmer seine Organisation künstlich und willkürlich in mehrere eigenständige Einheiten zersplittert, nur um das Entstehen des allgemeinen Kündigungsschutzes zu verhindern.
Fazit
Die „Kleinbetriebsklausel“ ist und bleibt ein – kontrovers diskutiertes – Politikum. Auch in Zukunft wird es Versuche geben, den Kündigungsschutz in Kleinbetrieben zu erweitern. Zumindest für die derzeitige Rechtslage hat das Bundesarbeitsgericht die Position der Arbeitgeber aber erfreulicherweise nochmals bekräftigt – sowohl prozessual (Darlegungs- und Beweislast beim Arbeitnehmer) als auch materiell-rechtlich (rein betriebliche Betrachtung des Schwellenwerts gemäß § 23 Abs. 1 KSchG).