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„Der Andere zahlt mehr!“ – Vergütung im Einklang mit der Entgelttransparenzrichtlinie?

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Die Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie (RL (EU) 2023/970 vom 10. Mai 2023, nachfolgend „ETRL“ oder „Richtlinie“) in nationales Recht wird einige Veränderungen mit sich bringen. Für Arbeitgeber besteht (trotz Umsetzungsfrist bis 7. Juni 2026) bereits jetzt Handlungsbedarf. Was Arbeitgeber jetzt konkret tun sollten, haben wir bereits in unserem Blogbeitrag vom 24. April 2024 aufgezeigt.

Mit diesem Blogbeitrag wollen wir nun einen spannenden Aspekt des WIE näher beleuchten: Wie können sich Arbeitgeber, die den Handlungsbedarf erkannt haben, proaktiv vorbereiten auf die Veränderungen, die auf sie zukommen werden? Konkret: Wie muss ein Vergütungssystem künftig ausgestaltet sein, um mit den Vorgaben der ETRL konform zu sein und nach welchen Kriterien darf bei der Vergütung noch differenziert werden?

Richtlinienkonforme Vergütungsstrukturen

Nach den Vorgaben der ETRL müssen Arbeitgeber über Vergütungsstrukturen verfügen, durch die gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gewährleistet wird. Nach Art. 4 der ETRL müssen Entgeltstrukturen so beschaffen sein, dass

anhand objektiver, geschlechtsneutraler und mit den Arbeitnehmervertretern vereinbarter Kriterien, sofern es solche Vertreter gibt, beurteilt werden kann, ob sich die Arbeitnehmer im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden.“

Die einem Vergütungssystem zugrundeliegenden Kriterien zur Entgeltdifferenzierung müssen also objektiv und geschlechtsneutral sein.

Begriffsdefinitionen
  • Objektiv sind alle sachlichen Kriterien, die unabhängig von einem Subjekt und dessen Bewusstsein sind. Objektive Kriterien sind also nicht von Gefühlen oder Vorurteilen bestimmt, sondern unvoreingenommen und unparteiisch.
  • Geschlechtsneutral sind Kriterien, die alle Geschlechter unterschiedslos betreffen.

Explizit zulässige Differenzierungskriterien sind nach Art. 4 Abs. 4 ETRL Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen. In den Erwägungsgründen der Richtlinie werden konkretisierend berufliche Anforderungen, Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsbildungsanforderungen genannt.

Verbleibende Spielräume für Arbeitgeber

Über diese explizit benannten Differenzierungskriterien hinaus können nach Art. 4 der ETRL auch andere Kriterien Berücksichtigung finden, nämlich „etwaige weitere Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position relevant sind.

Die spannende Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist: Welche weiteren Kriterien dürfen Arbeitgeber als „etwaige weitere Faktorenberücksichtigen? Diese Frage wird im Einzelfall durch nationale Arbeitsgerichte sowie den Europäischen Gerichtshof zu klären sein.

Das Bundesarbeitsgericht („BAG“) hat bereits für den aktuell geltenden Rechtsrahmen festgestellt, dass neben den in § 1 AGG genannten unzulässigen Kriterien (Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität) auch die folgenden keine geeigneten Differenzierungskriterien sind:

  • Die allgemeine Vertragsfreiheit,
  • das bessere Verhandlungsgeschick eines Bewerbers oder
  • eine unterschiedliche Vergütung der vorherigen Stelleninhaber.

Was aber gilt für ein weiteres bislang gerne und häufig von Arbeitgebern angewandtes Differenzierungskriterium: Das Alternativangebot eines Wettbewerbers? Was ist, wenn der Bewerber im Bewerbungsgespräch angibt, er würde ja gerne für den Arbeitgeber tätig werden, habe allerdings „ein besseres Angebot von einem Wettbewerber“ erhalten – darf ein Arbeitgeber dies zum Anlass nehmen, diesem konkreten Bewerber ebenfalls eine höhere Vergütung anzubieten, um ihn für die Stelle zu gewinnen? Die Antwort ist stark einzelfallabhängig.

Die ETRL soll Arbeitgeber nicht daran hindern, Arbeitnehmer, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, auf der Grundlage objektiver, geschlechtsneutraler und vorurteilsfreier Kriterien wie Leistung und Kompetenz unterschiedlich zu vergüten. Es wird also auch in Zukunft zulässig sein, für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten Entgeltspannen vorzusehen und individuelle Arbeitnehmer hier nach sachlichen Kriterien einzustufen. In diesem Sinne sieht die Richtlinie auch vor, dass Stellenbewerber Anspruch auf Auskunft über das Einstiegsgehalt „oder dessen Spanne“ haben, Art. 5 Abs. 1 a) ETRL.

Das Kriterium der Existenz eines Alternativangebots ist ein sachliches und objektives Kriterium. Es ist unabhängig vom Geschlecht des Stellenbewerbers und damit geschlechtsneutral. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels dürfte es sich auch um ein häufig vorkommendes Szenario handeln, dass Arbeitnehmer von mehreren Arbeitgebern Zusagen erhalten und sodann wählen können, mit welchem Arbeitgeber sie ein Beschäftigungsverhältnis eingehen möchten. Es handelt sich jedoch zugleich um ein intransparentes Kriterium, dessen Vorliegen durch Gerichte und vergleichbare Arbeitnehmer im Einzelfall nur schwer nachvollzogen werden kann, sodass die Gefahr der Willkür besteht. Intransparenz und Willkür sollen durch die Richtlinie aber gerade bekämpft werden.

Vor diesem Hintergrund dürfte jedenfalls die reine Behauptung eines Stellenbewerbers, er habe ein besseres Angebot von einem Wettbewerber erhalten, kein taugliches Kriterium zur Differenzierung darstellen. Denn für den Arbeitgeber dürfte in vielen Fällen bereits nicht nachvollziehbar sein, ob der Stellenbewerber lügt oder die Wahrheit sagt, womit auch dem „besseren Verhandlungsgeschick“ wieder Tür und Tor geöffnet würde. Zudem bliebe schließlich auch völlig ungewiss, wie das Alternativangebot des Wettbewerbers zustande kam (insbesondere bestünde ein Risiko, dass das Alternativangebot seinerseits unter Heranziehung unzulässiger Kriterien zustande gekommen ist).

Unseres Erachtens wäre im Rahmen einer anzustellenden Gesamtbetrachtung jedenfalls ergänzend zu berücksichtigen, (i) ob das behauptete Alternativangebot sich noch im marktüblichen Rahmen hält, und (ii) wie hoch der operative Druck für den Arbeitgeber war, die Stelle (schnellstmöglich) zu besetzen.

Fazit

Arbeitgeber müssen sich bewusst sein, dass es mit Blick auf mögliche Sanktionen und Schadensersatzverpflichtungen unter der ETRL ein großes Risiko darstellt, wenn sie ihren Entschluss, einem Stellenbewerber eine höhere Vergütung anzubieten als den mit gleichwertigen Tätigkeiten betrauten Arbeitnehmern, allein auf die Tatsache stützen, dass der Stellenbewerber behauptet, ein besseres Alternativangebot zu haben.

Wollen Arbeitgeber das Kriterium „besseres Alternativangebot“ als eines von mehreren Kriterien berücksichtigen, sollten sie die Behauptung des Stellenbewerbers möglichst genau prüfen (d.h. insbesondere Details zum Wettbewerber und zum Zustandekommen des besseren Alternativangebots erfragen) und dann diese Informationen zusammen mit den äußeren Begleitumständen (konkrete Arbeitsmarktsituation im Einstellungszeitpunkt, marktübliche Vergütung für diese Tätigkeit, operativer Stellenbesetzungsdruck, etc.) detailgetreu dokumentieren, um zu gewährleisten, dass die Entscheidungsfindung auch zu einem späteren Zeitpunkt noch nachvollzogen und belegt werden kann.

Sophie Haubold

Rechtsanwältin

Associate
Sophie Haubold berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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