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BAG bestätigt rechtsmissbräuchliche Bewerbung des AGG-Hoppers 2.0

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Sogenannte „AGG-Hopper“ sorgen immer wieder für Aufmerksamkeit und beschäftigen die Gerichte. In einem neuen Fall wurde das Vorgehen sogar zum „Geschäftsmodell der zweiten Generation“ weiterentwickelt, wie es das LAG Hamm (LAG Hamm vom 5. Dezember 2023 – 6 Sa 896/23) bezeichnete. Dennoch bestätigte das BAG (BAG vom 19. September 2024 – 8 AZR 21/24) seine bisherige Rechtsprechung und stärkt damit erneut die Position von Arbeitgebern, wenn es um rechtsmissbräuchliche Bewerbungen geht, mit denen Bewerber lediglich auf eine Geldentschädigung nach dem AGG abzielen.

Kläger bewarb sich auf Stellen für „Sekretärin“

Der aktuellen Entscheidung des BAG lag der Fall eines männlichen Vollzeitstudenten zugrunde, der sich in größerer Anzahl auf Stellenausschreibungen beworben hatte, in denen explizit eine „Sekretärin“ gesucht war, so auch bei dem beklagten Unternehmen. Ein KfZ-Unternehmen aus Schleswig-Holstein hatte über eBay-Kleinanzeigen die Stellenanzeige aufgegeben. Der Kläger bewarb sich über die Chat-Funktion der Plattform. Das auch im Falle einer eher untypischen Bewerbung über die Chat-Funktion einer Online-Plattform der Anwendungsbereich des AGG eröffnet sein kann, haben Gerichte bereits in der Vergangenheit entschieden (Link zum Beitrag: Wenig Aufwand, hoher Gewinn: AGG-Entschädigung bei Bewerbung über Chatfunktion – Kliemt.blog).

In seiner Bewerbung teilte der Kläger mit, dass er Industriekaufmann sei, sich mit Gesetzen auskenne, über Berufserfahrung verfüge und die typischen Aufgaben einer „Sekretärin“ ausführen könne. Zudem gab er an, ab sofort verfügbar zu sein und fragte explizit nach, ob „ausschließliche eine Sekretärin, also eine Frau“ gesucht werde. Das Unternehmen sagt ihm daraufhin ab und teilte mit, dass „ausschließlich eine Dame“ gesucht werde.

Daraufhin klagte der Student einen Entschädigungsanspruch in Höhe von EUR 7.800 aufgrund angeblicher Benachteiligung wegen seines Geschlechts ein.

LAG Hamm hielt Bewerbung für rechtsmissbräuchlich

Wie sich im Prozess herausstellte, war dies jedoch nicht die einzige Stelle, auf die sich der Kläger beworben hatte und auch nicht das einzige Gerichtsverfahren, das er mit dem Ziel einer Entschädigungszahlung führte. Es wurde festgestellt, dass allein beim Arbeitsgericht Berlin innerhalb von 15 Monaten elf Klagen des Klägers aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts eingegangen waren.

Das LAG Hamm hielt die Bewerbung des Klägers für rechtsmissbräuchlich und begründete die Entscheidung wie folgt:

Zum einen bewarb sich der Kläger auf eine Vielzahl von Stellen, die ausschließlich an Frauen adressiert und damit nicht geschlechtsneutral formuliert waren und machte im Anschluss stets Entschädigungen geltend. Der Kläger verwendete dabei einen vorformulierten Text als Anschreiben, in dem er mit seiner Frage bereits die Ablehnung aufgrund einer AGG-relevanten Eigenschaft – nämlich seines Geschlechts – provozierte. Hierin erkannte das LAG ein systematisches, gleichförmiges und zielgerichtetes Vorgehen. In dem Verhalten des Klägers hat das LAG ein „Geschäftsmodell zweiter Generation“ erkannt: Der Kläger hatte sich nämlich nicht nur auf eine Vielzahl diskriminierend formulierter Stellenanzeigen beworben und danach Entschädigungsansprüche geltend gemacht. Er hat vielmehr sein Bewerbungsverhalten an erfolgreich geführte Entschädigungsverfahren angepasst und seine Anschreiben kontinuierlich zu seinen Gunsten weiterentwickelt.

Zum anderen spreche die Unvereinbarkeit der Vollzeitstelle als „Sekretärin“ mit dem Vollzeitstudium des Klägers gegen ein ernsthaftes Interesse an der jeweiligen Position. Darüber hinaus befand sich die Stelle ca. 170 km von seinem Wohnort entfernt, sodass die einfache Fahrzeit mit dem PKW rund zwei Stunden pro Tag betragen hätte. Die diversen anderen Stellen, auf die sich der Kläger beworben hatte, waren ebenfalls in teils großer Entfernung zu seinem Wohnort.

Das LAG Hamm gelangte zu der Überzeugung, dass es dem Kläger lediglich um die Erlangung eines formalen Bewerberstatus gegangen sei, um sodann einen Entschädigungsanspruch geltend machen zu können, um so letztlich einen Gewinn zu erzielen. Damit sei der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB begründet und stehe dem Entschädigungsverlangen des Klägers entgegen. Das LAG Hamm wies die Klage daher ab.

BAG bestätigt rechtsmissbräuchliches Vorgehen

Das BAG (BAG vom 19. September 2024 – 8 AZR 21/24) bestätigte nun die Entscheidung des LAG Hamm und wies die Revision des Klägers zurück. Zu der Entscheidung des BAG liegt bislang nur das Sitzungsergebnis vor.

Keine Entschädigung bei Rechtsmissbrauch – Grundsätze des EuGH und BAG

Das LAG Hamm setzte sich in der ausführlichen Entscheidungsbegründung intensiv mit früheren Entscheidungen des BAG und des EuGH auseinander. Der EuGH und das BAG haben Grundsätze entwickelt, nach denen das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs zu bestimmen ist. Ein solcher liegt vor, wenn das Ziel der Bewerbung ausschließlich die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist, wie im Fall des LAG Hamm etwa die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH vom 28. Juli 2016 – C-423/15) müssen ein subjektives und ein objektives Element vorliegen, um ein rechtsmissbräuchliches Handeln bejahen zu können: Dem Bewerber muss es im Wesentlichen mit der Bewerbung auf einen ungerechtfertigten Vorteil abzielen. Diese Absicht muss aufgrund objektiver Anhaltspunkte festgestellt werden.

Das BAG (BAG vom 11. August 2016 – 8 AZR 406/14) folgte dieser Linie und führte diese fort: Ein Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, wenn ein Bewerber sich nicht mit dem Ziel beworben hat, die Stelle zu erhalten, sondern nur, um einen Entschädigungsanspruch geltend machen zu können. Dem Kläger müsse es ausschließlich um die Erlangung eines „formalen Bewerberstatus“ gehen, um in den Anwendungsbereich des AGG zu fallen und sodann – nach einer Ablehnung – eine Entschädigung geltend zu machen.

Ziel des AGG ist es, Benachteiligungen im Sinne des § 1 AGG zu verhindern oder zu beseitigen. Ein Bewerber, der sich jedoch nur formal bewirbt, um Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend machen zu können handelt rechtsmissbräuchlich und genießt daher keinen Schutz durch das AGG (§ 242 BGB).

Achtsamkeit bei der Formulierung von Stellenausschreibungen und Absageschreiben

Das BAG stärkt mit seiner Entscheidung die Position von Unternehmen, um sich erfolgreich gegen Klagen von „AGG-Hoppern“, denen es nur um eine Entschädigung geht, zu wehren. Arbeitgeber müssen Stellenausschreibungen und Absageschreiben dennoch stets sorgfältig und neutral formulieren. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Unternehmen sich Klagen auf Entschädigungszahlungen ausgesetzt sehen. Dass eine Bewerbung missbräuchlich ist, muss das beklagte Unternehmen dann im Prozess darlegen und beweisen können. Hier können die Ausführungen des LAG Hamm nun weiterhelfen.

Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung von Monika Manthey, Referendarin im Münchener Büro, entstanden.

Miriam Siemen


Rechtsanwältin
Associate
Miriam Siemen berät nationale und internationale Unternehmen in allen Angelegenheiten des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der Ausgestaltung und Beendigung von Arbeits- und Dienstverhältnissen. Sie begleitet Restrukturierungsprozesse und berät Mandant in Kündigungsstreitigkeiten und im Bereich des Betriebsverfassungsrechts. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe „Whistleblowing und Compliance.“
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