open search
close
Kündigung, allgemein Neueste Beiträge

Prozessrisiko Gehaltsnachzahlung – Mit gezielten Gegenmaßnahmen reagieren

Print Friendly, PDF & Email

Wird gegen eine Kündigung geklagt und dauert der Prozess länger als die Kündigungsfrist, so steigt für Unternehmen das finanzielle Risiko der Nachzahlung des Gehalts bei Unterliegen im Prozess, das sog. Annahmeverzugslohnrisiko. Dessen Bewertung ist nicht nur im Gerichtsverfahren, sondern auch für eventuelle außergerichtliche Verhandlungen von Bedeutung. Dabei gibt es eine zu Lasten von Arbeitnehmern strenger werdende Rechtsprechung, welche Unternehmen Raum eröffnet, um Gegenmaßnahmen zur Risikoreduzierung zu ergreifen.

Böswilliges Unterlassen als Einwand gegen Annahmeverzugslohnansprüche

Ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn wird reduziert oder gar auf Null reduziert, wenn der Arbeitnehmer es böswillig unterlassen hat, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen. Hierbei zeigte sich eine Tendenz in der jüngsten Rechtsprechung, dem Arbeitnehmer (nachweisbare) Bemühungen zum Finden einer neuen Anstellung abzuverlangen, soll sein Vergütungsanspruch nicht wegen des Einwands böswilligen Unterlassens untergehen.

Hierzu hatten wir in unserem Blog bereits über Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und des LAG Berlin-Brandenburg und die sich daraus für Arbeitgeber ergebenden Abwehrmöglichkeiten berichtet.

Von jedem Arbeitnehmer kann verlangt werden:

  • Eine Arbeitslosmeldung bei der Agentur für Arbeit und die Reaktion auf Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit. Dies schließt es ein entsprechend 16 Abs. 1 Nr. 2 SGB III den Vermittlungsbemühungen der Agentur bzw. dem Arbeitsmarkt tatsächlich vor Ort zur Verfügung zu stehen.
    Diesem Zurverfügungstehen kann eine längerfristige Ortsabwesenheit etwa wegen eines Auslandsaufenthalts oder gar ein Umzug ins Ausland entgegenstehen.
  • Eigene Bewerbungsbemühungen, etwa durch das Durchsuchen gängiger Jobportale, die Auffrischung der (und Benutzung dieser) Bewerbungsunterlagen sowie, wenn das im konkreten Zusammenhang marktüblich ist, eines LinkedIn oder anderen beruflichen Online-Profils und das Versenden von Bewerbungen.
    Gerade auf LinkedIn nehmen Recruiter oder Headhunter gern Kontakt zu geeigneten Kandidaten auf. Gibt es solche Kontaktversuche, kann von dem Arbeitnehmer erwartet werden, sich mit diesen auseinanderzusetzen und bei geeigneten Stellen hierauf zu antworten und passende Bewerbungsgespräche wahrzunehmen.

Ob dem Arbeitnehmer böswilliges Unterlassen vorzuwerfen ist, bleibt dabei stets eine im Einzelfall durch das Arbeitsgericht zu entscheidende Wertungsfrage. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls, wobei stets eine unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung erforderlich ist. Was im Einzelfall von einem Arbeitsnehmer an Bemühungen verlangt werden kann, ist nicht gesetzlich festgeschrieben und wird unterschiedlich beurteilt. Das LAG Köln hielt es in seiner Entscheidung vom 27.04.2023 etwa für ausreichend, wenn den Vermittlungsangeboten der Agentur für Arbeit nachgegangen wird, sah aber darüber hinaus keine grundsätzliche Pflicht zusätzliche Bewerbungen zu verfassen. Der Arbeitnehmer dürfte lediglich nicht „sehenden Auges“ untätig bleiben, wenn realistische Aussichten auf eine anderweitige, zumutbare Beschäftigung bestehen.

Objektive und subjektive Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme

Neben dem Einwand böswilligen Unterlassens muss der Arbeitnehmer zu jeder Zeit objektiv und subjektiv leistungsfähig sein bzw. in subjektiver Hinsicht auch leistungsbereit sein, will er Annahmeverzugslohnansprüche geltend machen. Der Arbeitnehmer muss rechtlich wie tatsächlich im Stande sein, die von ihm nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Tätigkeit am Arbeitsort erbringen und dies – als innere Tatsache – auch wollen.

Streng genommen würde dies bedeuten, der Arbeitnehmer steht bereit, jederzeit die ursprünglich geschuldete Tätigkeit, etwa Büroarbeit am Ort des bisherigen Arbeitsplatzes, erbringen zu können. Da die im Kündigungsschutzprozess bestehende Situation der Nichtbeschäftigung jedoch dem Arbeitgeber anzulasten ist, der das Arbeitsverhältnis gekündigt hat, wird dies vom Arbeitnehmer nicht gefordert. Um objektive und subjektive Leistungsbereitschaft zu demonstrieren, genügt es regelmäßig, dass der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhebt oder jedenfalls seine Arbeitsleitung rein wörtlich anbietet.

Indizien gegen den Leistungswillen

Ein Indiz, das gegen den Leistungswillen spricht, kann darin liegen, dass der Arbeitnehmer etwa wegen Arbeitsverweigerung gekündigt wurde. Ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer, der die Arbeit verweigerte und deswegen gekündigt wurde, muss einen neu gefassten Leistungswillen ausdrücklich kundtun. Nach der Rechtsprechung reicht in einem solchen Fall ein bloßes „Lippenbekenntnis“ nicht aus. Es ist dann schlicht nicht überzeugend, dass jemand der kurz zuvor noch die Arbeit verweigerte, plötzlich wieder gewollt ist, seiner Arbeit nachzukommen. Dann kann es erforderlich sein vor Ort die Arbeitskraft tatsächlich anzubieten, so zuletzt etwa das LAG Rheinland-Pfalz.

Urlaub oder Umzug ins Ausland

Auch eine außergewöhnlich lange Urlaubsreise oder gar der Umzug weg vom Arbeitsort können der Leistungsbereitschaft entgegenstehen.

Begibt sich jemand auf eine längere Auslandsreise, sodass zwischen ihm und der Wahrnehmung seiner geschuldeten Tätigkeit ein kilometerlanges Hindernis besteht, kann auch dies der Leistungsbereitschaft entgegenstehen.

Deutlich ist dies, wenn ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitsort wegzieht oder sogar ins Ausland verzieht. Dann kann nicht mehr ernsthaft eingewandt werden, man wäre weiterhin in der Lage und bereit der geschuldeten Tätigkeit nachzukommen. Man stelle sich die Wahrnehmung eines Bürojobs in Berlin mit einem Wohnort in Spanien vor.

Strategien für Unternehmen

Unternehmen können Vorkehrungen treffen, um das Risiko von Annahmeverzugslohnansprüchen zu reduzieren. Dazu gehören folgende Schritte:

  • Das rechtzeitige Ausstellen eines formal nicht zu beanstandenden Zwischen- oder Endzeugnisses kann Arbeitnehmern die Bewerbung am Arbeitsmarkt erleichtern. Fragen Arbeitnehmer nach anderen Auskünften wie einem Empfehlungsschreiben oder bitten um konkrete Auskünfte an einen potenziellen neuen Arbeitgeber, sollte dem zeitnah nachgekommen werden. Die Verbesserung der Jobchancen des ehemaligen Mitarbeiters reduziert zugleich das Annahmeverzugslohnrisiko.
  • Eine eigene Suche nach und Dokumentierung von geeigneten Stellenanzeigen in gängigen Stellenportalen kann die Darlegung erleichtern, dass es Bewerbungsmöglichkeiten gab, der Arbeitnehmer jedoch keine ausreichenden Bemühungen entfaltet hat. Der oft anzutreffenden pauschalen Behauptung, dass es keine passenden freien Stellen gab, kann andernfalls rückwirkend wenig entgegengesetzt werden.
  • Passende Stellen können auch an den Arbeitnehmer übermittelt werden. Dessen Begründungsaufwand steigt, bleibt er untätig, obwohl ihm geeignete Jobinserate vorlagen, auf die er sich hätte bewerben können.
  • Bei hohen Gehältern kann es sich auch lohnen, dem Arbeitnehmer externe Vermittlung- bzw. Outplacement-Beratung zu finanzieren.
  • Sobald Annahmeverzugslohn geltend gemacht wird, kann Auskunft verlangt werden, ob der Arbeitnehmer Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit erhalten hat und diesen nachgegangen ist und ob, und in welcher Weise er eigene Bewerbungsbemühungen entfaltet hat. So könnte auch gezielt Auskunft zu etwaigen Nachrichten von Recruitern und Headhuntern auf LinkedIn verlangt werden.
  • Auch der Verzicht auf ein vertragliches oder nachvertragliches Wettbewerbsverbot (oder der Hinweis auf gegebenenfalls bestehende Bereitschaft hierzu) oder streng gefasste Verschwiegenheitspflichten können dem Arbeitnehmer den Zugang zu neuer Beschäftigung erleichtern. Dem sollte jedoch immer die Abwägung vorausgehen, ob die unternehmerischen Interessen ein Festhalten an den Verboten gebieten.
  • Zeigen sich Indizien, die einer tatsächlichen Arbeitsaufnahme des Arbeitnehmers entgegenstehen, wie ein Umzug, eine Weltreise oder sonstige Umstände, die der hypothetischen Arbeitsleistung entgegenstehen, kann dies der Zahlungsforderung entgegengehalten werden.
Fazit

Bei Unterliegen in einem Kündigungsrechtsstreit ist neben der unerwünschten Rückkehr des Arbeitnehmers gerade das Risiko der Nachzahlung der Gehälter ein entscheidender Faktor.

Die aufgelisteten Maßnahmen können zeit-, energie- und kostenintensiv sein. Mit Blick auf nachzuzahlende Jahresgehälter samt Boni in langdauernden Kündigungsschutzprozessen kann sich der Aufwand jedoch lohnen. Gezielte Gegenmaßnahmen zum Annahmeverzugslohnrisiko stärken jedenfalls die Position in Vergleichsverhandlungen.

Stephan Nakszynski


Rechtsanwalt
Senior Associate
Stephan Nakszynski berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät er seine Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Whistleblowing und Compliance".
Verwandte Beiträge
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Neues zum Abfallbeauftragten

Der Abfallbeauftragte genießt während seiner Bestellung und für die Dauer eines Jahres nach seiner Abberufung Sonderkündigungsschutz. Vor diesem Hintergrund kommt der Entscheidung des BAG vom 18.10.2023 (5 AZR 68/23), in welcher das Gericht die Anforderungen an die Abberufung eines Abfallbeauftragten konkretisiert hat, erhebliche praktische Bedeutung zu. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz verpflichtet bestimmte Arbeitgeber zur Bestellung eines Abfallbeauftragten (§ 59 Abs. 1 KrWG). Einmal bestellt, genießt der Abfallbeauftragte…
Kündigung, betriebsbedingt Neueste Beiträge

Schwellenwert für die Betriebsgröße bei der Massenentlassung: Charakteristische Personalstärke des Betriebs entscheidend

Die Durchführung eines sog. Massenentlassungsverfahrens nach § 17 KSchG im Fall eines geplanten Personalabbaus betrifft nicht nur große Unternehmen, sondern auch kleinere Betriebe. So müssen bereits Arbeitgeber, welche in Betrieben mit „in der Regel“ mehr als 20 Arbeitnehmer mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen wollen, ein Massenentlassungsverfahren durchführen. Dabei ist die Ermittlung der Anzahl der „in der Regel“ tätigen Arbeitnehmer nicht unkompliziert….
Neueste Beiträge Unternehmensführung

Kündigungsschutz für Geschäftsführer beim Betriebsübergang?

In der Praxis kommt es regelmäßig vor, dass Unternehmen verdiente Arbeitnehmer zu Geschäftsführern „befördern“, ohne dies vertraglich sauber, d.h. unter Aufhebung des Arbeitsvertrages und Abschlusses eines Dienstvertrages zu regeln. Das BAG hat nun entschieden, dass sich dies auch im Falle eines Betriebsübergangs auswirken kann und somit aus Unternehmenssicht entsprechende Risiken birgt (BAG, Urteil vom 20. Juli 2023 – 6 AZR 228/22). Liegt der rechtlichen Beziehung…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.