Datenschutzrechtliche Fragestellungen gewinnen im Rahmen arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen in der Praxis weiter an Bedeutung. Gestritten wird vor allem um die Reichweite und Grenzen des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DS-GVO. Die Entwicklungen rund um andere im Datenschutzrecht verankerte Betroffenenrechte sollte dabei jedoch nicht aus den Augen gelassen werden. Im Zusammenhang mit dem Entfernungsanspruch einer Abmahnung aus der Personalakte wird in der Instanzgerichtsbarkeit derzeit virulent die Anwendbarkeit der DS-GVO auf in Papierform geführte Personalakten diskutiert. Die aktuelle Debatte gibt Anlass, den in Personalakten vorhandenen Datenbestand auf den Prüfstand zu stellen.
Das LAG Baden-Württemberg bejaht in einer aktuellen Entscheidung (Urteil vom 28. Juli 2023 – 9 Sa 73/21) – in Abweichung zu anderen Instanzgerichten – die Anwendbarkeit der DS-GVO auf in Papierform geführte Personalakten und daraus folgend einen Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Entscheidung geht über das Abmahnungsrecht hinaus und hat Auswirkungen auf den generellen Umgang mit dem in Personalakten enthaltenen Datenbestand. Trotz ausstehender höchstrichterlicher Klärung sollte das Urteil zur Vermeidung empfindlicher Sanktionen bereits jetzt sorgfältig beachtet werden.
Zur bisherigen Rechtslage
Den Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus einer Personalakte leitete das BAG bislang aus §§ 242, 1004 BGB analog ab. Die Voraussetzungen variierten je nachdem, ob der Entfernungsanspruch des Arbeitnehmers während des bestehenden Arbeitsverhältnisses oder nach dessen Beendigung geltend gemacht wurde und ob die Abmahnung rechtmäßig oder rechtswidrig war. Bisher galt nach gefestigter Rechtsprechung des BAG, dass Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig keinen zivilrechtlich begründeten Anspruch mehr auf Beseitigung selbst einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte haben. Ein berechtigtes Interesse auf Entfernung wurde versagt, da die Abmahnung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich weder das berufliche Fortkommen bei dem bisherigen Arbeitgeber behindere noch sonstige arbeitsrechtlichen Nachteile drohten. Etwas anderes wurde nur im Bereich des öffentlichen Dienstes oder ausnahmsweise angenommen, wenn objektive Anhaltspunkte für eine weitergehende Schädigung des Arbeitnehmers durch die Abmahnung vorlagen.
Zur aktuellen Diskussion
Mit der Einführung der DS-GVO wurde die Diskussion neu entfacht. Arbeitnehmer stützen den Entfernungsanspruch nunmehr zunehmend auf den Löschungsanspruch aus Art. 17 DS-GVO. Danach sind personenbezogene Daten insbesondere dann unverzüglich zu löschen, wenn deren Speicherung für die Zwecke, für die sie erhoben oder verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig ist. Da sich die Zwecke einer Abmahnung, insbesondere deren Rüge- und Warnfunktion, mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich erledigen, wäre eine Abmahnung daher nach Datenschutzrecht mit Beendigungsdatum aus der Personalakte zu entfernen. Damit die Anspruchsgrundlage greift, müssten in Papierform geführte Personalakten jedoch dem Regelungsbereich der Vorschrift unterfallen. Genau diese Frage ist in der Instanzgerichtsbarkeit umstritten. Dreh- und Angelpunkt der Diskussion bildet Art. 2 Abs. 1 DS-GVO, der den Anwendungsbereich der Verordnung im Fall nichtautomatisierter Verarbeitung nur dann für eröffnet erklärt, wenn personenbezogene Daten in einem „Dateisystem“ gespeichert werden oder gespeichert werden sollen.
Für das LAG Baden-Württemberg erfüllen in Papierform geführte Personalakten klar die Anforderungen an ein datenschutzrechtliches „Dateisystem“. Personalakten wiesen in der Regel eine einheitliche äußere Gestaltung nach den Kriterien Name, Vorname, Personalnummer auf. Sie stellten daher eine strukturierte Sammlung personenbezogener Daten dar und unterfielen damit dem Begriff des datenschutzrechtlichen „Dateisystems“. Auch gebe es keine Mindestanzahl von Akten, damit eine Datensammlung vorliege. Bereits ausreichend seien daher zwei strukturierte Vorgänge, wenn später weitere Vorgänge hinzukommen könnten.
Anders als das LAG Baden-Württemberg hielt kürzlich jedoch noch das LAG Sachsen (Urteil vom 31. März 2023 – 4 Sa 117/21) in Anschluss an das LAG Niedersachsen (Urteil vom 4. Mai 2021 – 11 Sa 1180/20) den Löschungsanspruch aus Art. 17 DS-GVO auf in Papierform geführte Personalakten für nicht anwendbar. Für Personalakten gelte rechtlich der Grundsatz der Vollständigkeit und nicht der Grundsatz der Datensparsamkeit. Die Anwendung datenschutzrechtlicher Grundsätze in Bezug auf Papierakten sei daher zweifelhaft und im Ergebnis wegen der weitreichenden Folgen des damit einhergehenden Rechtsschutzes abzulehnen.
Da Art. 17 DS-GVO eine wesentliche Bedeutung mit Blick auf den gesamten in Personalakten enthaltenden Datenbestand zukommt, ist eine höchstrichterliche Klärung des Anwendungsbereichs der DS-GVO wünschenswert. Die Revision gegen das Urteil des LAG Baden-Württemberg ist inzwischen beim BAG unter dem Aktenzeichen 8 AZR 215/23 anhängig.
Zu den Folgen für die Praxis
Die Missachtung datenschutzrechtlicher Betroffenenrechte kann im Einzelfall zu drastischen Rechtsfolgen führen. Es drohen nicht nur Schadensersatzansprüche der Betroffenen, sondern auch empfindliche Geldbußen. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung eines datenschutzrechtlichen Löschungsanspruches personenbezogener Daten in Papierakten sollten Arbeitgeber zur Vermeidung von Sanktionen daher den Datenbestand in Personalakten prüfen und ein Löschkonzept etablieren, das sicherstellt, dass sowohl im laufenden Arbeitsverhältnis als auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur solche Dokumente in der Personalakte des jeweiligen Arbeitnehmers enthalten sind, welche rechtlich noch aufbewahrt werden dürfen.