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Wert(e)schätzende Restrukturierung – ist das möglich?

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Mit der teilweise dramatischen Eintrübung der Konjunktur und den in Folge hoher Energiekosten besonderen Herausforderung für deutsche Standorte nimmt die Zahl von Restrukturierungs- und sogar Sanierungfällen branchenübergreifend täglich zu. Die damit verbundene ‘typische’ Kommunikation – ‚Stellenabbau/Massenentlassung/Sozialplan’ steht in krassem Widerspruch zu den HR-Herausforderungen bei Fachkräftemangel, Arbeitnehmerarbeitsmarkt und (in der Folge von COVID) gesunkener (innerer) Bindung an den Arbeitgeber. Daher stellt sich die Frage, ob und wie die notwendige wert- und werteschätzende Personalpolitik auch in Zeiten der Krise fortgeführt werden kann. Dazu einige Hinweise:

1. Vorrang der künftigen ‘Stamm-Belegschaft’

Bei der Planung und Beratung von Restrukturierungsmaßnahmen wird typischerweise das Gewicht auf die von den Veränderungen betroffenen Personen gelegt, also etwa bei Stellenveränderungen, Umzügen oder Entlassungen. Der entscheidende Blick geht aber auf die verbleibende Stammbelegschaft. Nur wenn diese den Planungsansatz nachvollziehen kann und den Umgang mit den KollegInnen als ‚fair‘, also wertschätzend, empfindet, geht anschließend weder ein ‚Riss‘ durch die Belegschaft noch kommt es zu ‚inneren Kündigungen‘, die sich erst in der Produktivität/Krankenstand und dann in Fluktuation von Schlüsselmitarbeitern auswirken.

Die ‚Ansprache‘ – und das betrifft die Herleitung und Begründung der Maßnahmen genau so wie die sozialen Rahmenbedingungen – muss also in erster Linie die verbleibenden MitarbeiterInnen adressieren. Wenn das gelingt, wird die Beratungsphase selbst schneller sein und das Ergebnis breiter akzeptiert. Das hat auch Folgen für die Frage, ob eine beteiligte Gewerkschaft Kampfforderungen auf einen Sozialtarif erhebt und ggf. sogar durch Warnstreik begleitet. Angebote an die Gesamtbelegschaft, wie sie in ‚Standort(entwicklungs)vereinbarungen in den letzten Jahren vielfach formuliert wurden, haben daher einen ‚Retention‘-Effekt, den man sogar auch einem fairen ‚Rahmen-Sozialplan‘ zuschreiben kann.

2. Werte-orientierte Personalpolitik und Krise

Oft wird gefragt, wer die Verhandlungen mit dem Sozialpartner führen soll: Geschäftsleitung oder HR? Dahinter steckt auch oft die Frage, wer für die ‚schlechten Nachrichten‘ zuständig ist und ggf. ‚geschützt‘ werden muss (z.B. durch die Einschaltung von HR-Interim-Managern).

So richtig das ist, so klar aber der Ansatz bei einem ‚werte-orientierten‘ Modell: Die für die Maßnahmen maßgebliche Führungsebene führt die Verhandlungen als ‚Gesicht‘, denn diese Ebene ist am Besten in der Lage, die Maßnahme nachvollziehbar zu erläutern. HR ist demgegenüber zuständig für (1) die Begleitung der Gremien, (2) die Ausgestaltung der sozialen Angebote und – ganz entscheidend – die Einhaltung der Werte, die vor der Maßnahme für die Personalpolitik formuliert wurden. Sanierung bedeutet eben gerade nicht, diese Unternehmenswerte (sie finden sich regelmäßig in den Unternehmensleitsätzen, oft schon im Eingangsbereich des Unternehmens…) aufzugeben, sondern gerade jetzt zu verwirklichen.

Der offene und faire Umgang mit den Mitarbeitenden, die Verantwortung gegenüber deren Familien und die Verantwortung für eine fortlaufende Re-Qualifizierung sind dabei wesentliche Leitbegriffe, die es in der Maßnahmenbegründung und in den sozialen Angeboten umzusetzen gilt. So ist eben eine ‚Versetzung in den Keller‘ (‚Elefantenfriedhof‘) das Gegenteil von Wertschätzung (und dementsprechend oft völlig erfolglos) während eine echte ‚Begleitung‘ bei der beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung etwa in einer ‚Transformations-Einheit‘ auch bei nur vereinzelten innerbetrieblichen Qualifizierungs- und Entwicklungsangeboten eine faire Chance bieten kann. Die Erfolgsquoten derart begleiteter Projekte liegen derzeit bei gut über 80%, auch in den ‚freien‘ Arbeitsmarkt.

3. Vermeidung von negativen ‘Schlüsselbegriffen’

Ganz wichtig ist es, die betroffenen Mitarbeitenden nicht ‚abzustempeln‘.

Begriffe wie ‚Personalabbau‘, ‚Massenentlassung‘ de auch nur ‚Sozialplan‘ können im Einvernehmen mit dem Sozialpartner vermieden werden. ‚Begleitete Veränderungsprozesse‘, ‚Tranformations-Einheit‘ oder ‚Nachteilsausgleichsregelungen‘ treten an die Stelle der negativen (weil arbeitsrechtlich geprägten) Nomenklatur. Überhaupt tritt das ‚Arbeitsrecht‘ mit seiner ‚Kündigungsdrohung‘ möglichst in den Hintergrund, jedenfalls soweit mit dem Sozialpartner ein einvernehmliches Vorgehen möglich ist. Betroffene Stelleninhaber müssen das Gefühl bekommen, in ihren Sorgen, persönlich, familiär und finanziell, ernst genommen zu werden. Das setzt auf der Seite der beteiligten Gewerkschaften aber auch voraus, dass es nicht lediglich um ‚Mitgliederfang‘ geht, sondern um ein echtes Ringen um wirklich ‚faire‘ Lösungen.

4. Geänderter Beratungsansatz

Das alles kann zu geänderten Beratungsansätzen führen:

  • Frühe, vorgezogene Ansprache- und Freiwilligenprogramme wirken gegen eine monatelange Lähmung durch taktische Verhandlungsprozesse
  • Gemeinsame Erarbeitung der Maßnahmenbewertung (z.B. nach § 92a BetrVG) statt ‚zeitschindende‘ Frage-Orgien – die Nachvollziehbarkeit der Umsetzungsmaßnahmen (nicht die Maßnahmenerforderlichkeit selbst) wird gemeinsam erarbeitet
  • Konzentration auf ‚Special Needs‘ und ‚special cases‘ (statt langweiliger Sozialfonds) adressieren den eigentlichen Sozialplanzweck mehr als die weitgehend sinnentleerten ‚Faktor-Wettkämpfe‘.
  • Konzentration auf Rahmen-Sozialplanregelungen als Zeichen gegenüber der Stammbelegschaft und
  • Gründung eines langfristigen Trransformations- und Re-Qualifizierungs-Pools.

Das alles kann in eine Standort(entwicklungs)vereinbarung eingebettet werden.

5. Praktische Konsequenzen

In der Umsetzung bedeutet das:

  • Frühzeitiges ‚Spitzengespräch‘ mit dem Sozialpartner zu der Frage, ob eine gemeinsame Begleitung Chancen hat oder ob es letztlich – wie derzeit leider noch oft – um mitgliederbezogene Aktionen und einen Abfindungs-Wettkampf gehen wird.
  • Wenn die Bereitschaft auf beiden Seiten wirklich besteht: Frühe gemeinsame Sicht auf die wirtschaftlichen Notwendigkeiten (Aufsichtsrat / Wirtschaftsausschuss oder Spitzengruppe) und gemeinsame Ableitung der Umsetzungsmaßnahmen. Hier Spoiler die Auswahl der wirtschaftlichen Berater auf beiden Seiten eine entscheidende Rolle – Akzeptanz der Sozialpartnerschaft auf der einen Seite und wirkliche Ergebnisorientierung statt taktischer ‚Zeitspiele‘ auf der anderen Seite muss von Anfang an erkennbar sein.,
  • Frühe Einbindung des Sozialpartners in Lösungen: Ds Verfahren nach § 92a BetrVG, aber auch Verfahren nach § 97 BetrVG, Gestaltung von ‚Matching‘-Verfahren und ‚Stellen-Pools‘ führen zu einem ‚Miteinander‘ (bildlich ‚am Flip-Chart‘) statt einem endlosen ‚Positionieren‘.
  • Gemeinsame Erarbeitung des ‚Sozialen Rahmens‘ als breitgefächertes Lösungsangebot statt der leider nach wie vor üblichen (und langweiligen) Verengung auf eine Faktoren-Diskussion.
  • Gemeinsame Kommunikation von Zwischenergebnissen und gemeinsames Vertreten der Endergebnisse.

Bei all diesen Ansätzen lohnt sich ein steter Blick auf die unternehmensseitige kommunizierten Leitsätze genau so, wie auf der Seite des Sozialpartners die ‚politische‘ Dimension der aktuellen Mitgliedschaftsprobleme nicht zu einer ‚Instrumentalisierung‘ der Lösungsansätze werden darf.

Damit ist es nicht nur möglich, sondern geradezu geboten, die Wert(e)orientierung gerade in einer Krisensituation nicht nur beizubehalten, sondern ausdrücklich zu pflegen. Diese ‘Purpose’-Diskussion, die vor der derzeitigen Krisensituation überall am Aufflammen war, ist im Moment vielleicht nur ‘überdeckt’, aber wichtiger denn je.

Interessiert? Weiterführende Diskussionen können Se unter
Webinar: Wertschätzende Personalveränderungen – Restrukturierung 2024 (handelsblatt.com)
verfolgen.

Dr. Burkard Göpfert, LL.M.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Burkard Göpfert berät vorwiegend in komplexen Transformations-, Integrations- und Umstruk­tu­rie­rungs­pro­jekten sowie bei der Har­mo­ni­sie­rung von Arbeits­be­din­gun­gen. Er ist Autor und (Mit)-Herausgeber zahl­rei­cher Fachbücher zu den Themen Umstruk­tu­rie­rung und Arbeitsrecht sowie Lehr­be­auf­trag­ter an der Universität Passau und leitet seit über 10 Jahren die Jahrestagung „Restrukturierung“ des Han­dels­blatts. Burkard Göpfert ist u.a. Mitherausgeber der ZIP. Er ist Mitglied der Fokusgruppen "Private Equity / M&A" und "ESG". 
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