Das „VW-Urteil“ des BGH zur Untreuestrafbarkeit bei überhöhter Betriebsratsvergütung hat nicht nur in vielen Unternehmen für Verunsicherung gesorgt, sondern auch die Politik auf den Plan gerufen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat eine Expertenkommission mit der Erarbeitung eines Gesetzesvorschlags beauftragt, der Rechtssicherheit bei der Betriebsratsvergütung schaffen soll. Dieser Vorschlag liegt jetzt vor.
Zur Erinnerung: Anfang des Jahres hatte der BGH (6 StR 133/22) die erstinstanzlichen Freisprüche für mehrere Personalverantwortliche des Volkswagen-Konzerns aufgehoben, die Betriebsratsmitgliedern hohe Vergütungen und Bonuszahlungen bewilligt hatten (Blogbeitrag vom 20.03.2023). In seiner Urteilsbegründung knüpfte der BGH maßgeblich an die betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben zur Betriebsratsvergütung an. Eine Verletzung dieser Vorgaben erfüllt danach regelmäßig zugleich auch den strafrechtlichen Untreuetatbestand (§ 266 StGB).
Das Problem: Die Bemessung der Betriebsratsvergütung ist im Betriebsverfassungsgesetz nur rudimentär geregelt. Das BAG hat die gesetzlichen Regelungen zwar in zahlreichen Entscheidungen umfassend konkretisiert. Vieles ist aber nach wie vor unklar und umstritten. Zudem sind die Vorgaben der BAG-Rechtsprechung durchaus restriktiv und stellen die Praxis oftmals vor erhebliche Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung, eine Expertenkommission mit der Ausarbeitung ergänzender gesetzlicher Regelungen zu betrauen, nachvollziehbar und zu begrüßen.
Die Vorschläge der Expertenkommission
Die Vorschläge der Expertenkommission sehen Ergänzungen des BetrVG an zwei Stellen vor: Zum einen soll § 37 Absatz 4 BetrVG – die betriebsverfassungsrechtliche Grundnorm zur Entgeltsicherung von Betriebsratsmitgliedern – erweitert werden. Zum anderen wird eine Konkretisierung des allgemeinen Benachteiligungs- und Begünstigungsverbots in § 78 BetrVG vorgeschlagen. Das Ehrenamtsprinzip als zentrales Element zur Sicherung der Unabhängigkeit des Betriebsrats soll hingegen nicht angetastet werden. Zu den Vorschlägen im Einzelnen:
Änderung des § 37 Absatz 4 BetrVG
37 Absatz 4 Satz und 1 und 2 BetrVG sieht in seiner aktuellen Fassung vor, dass die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer sein darf als diejenige vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung. Diese Regelung soll durch folgende Sätze ergänzt werden:
„Die Vergleichbarkeit bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts, soweit nicht ein sachlicher Grund eine spätere Neubestimmung verlangt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.“
Der erste Satz gibt zunächst nur wieder, was nach ständiger Rechtsprechung des BAG schon heute gilt: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer ist die (erstmalige) Übernahme des Betriebsratsamts – und nicht etwa die Freistellung – des Betriebsratsmitglieds. Die hiermit in der Praxis häufig verbundenen Probleme, insbesondere bei langjährigen Betriebsratskarrieren mit u.U. erst später Freistellung die „richtige“ Vergleichsgruppe zu bestimmen, bleiben also bestehen.
Neu ist hingegen, dass die Betriebsparteien das Verfahren zur Bestimmung der Vergleichspersonen und auch die konkrete Festlegung dieser Personen selbst einvernehmlich regeln können und eine entsprechende Vereinbarung der Betriebsparteien nur auf „grobe Fehlerhaftigkeit“ überprüft werden kann. Bislang gestattet das BAG den Betriebsparteien lediglich Konkretisierungen im Rahmen der zwingenden gesetzlichen Vorgaben und behält sich zudem eine vollumfängliche Überprüfung vor. Künftig soll bei Betriebsvereinbarungen – so die Begründung des Kommissionsvorschlags – eine „Orientierung an dem durch die Rechtsprechung aufgestellten Leitbild“ genügen. Dies erweitert den Spielraum der Betriebsparteien erheblich und reduziert zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass betriebliche Vereinbarungen zur Betriebsratsvergütung von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung nachträglich „gekippt“ oder schlicht unberücksichtigt gelassen werden. Das Risiko strafbarer Untreue dürfte hierdurch allerdings nicht ohne Weiteres gebannt sein, insbesondere wenn entsprechende betriebliche Regelungen ohne Zustimmung des jeweiligen Vermögensinhabers (i.d.R. des Gesellschafters) getroffen werden.
Änderung des § 78 BetrVG
78 Satz 2 BetrVG sieht vor, dass Mitglieder des Betriebsrats (und anderer Arbeitnehmervertretungen) wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden dürfen, auch im Hinblick auf ihre berufliche Entwicklung. Diese Regelung soll um folgenden Satz 3 ergänzt werden:
„Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Entgelt nicht vor, wenn das Mitglied der in Satz 1 genannten Vertretungen in seiner Person die für deren Gewährung erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“
Der Ergänzungsvorschlag ist sprachlich verunglückt und erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Die Regelung dürfte vor allem auf die – ebenso praxisrelevanten wie problematischen – Fälle der sog. „hypothetischen Betriebsratskarrieren“ abzielen, in denen ein Betriebsratsmitglied abweichend von § 37 Absatz 4 BetrVG eine höhere Vergütung erhält als die Mitglieder seiner Vergleichsgruppe. Die Berücksichtigung solcher „hypothetischen Karrieren“ ist nach der Rechtsprechung des BAG im Rahmen des § 78 Satz 2 BetrVG auch heute schon zulässig, allerdings nur unter engen Voraussetzungen. Insbesondere muss ein kausaler Zusammenhang zwischen unterbliebener (realer) Karriereentwicklung und Betriebsratsamt bestehen, d.h. das Betriebsratsmitglied muss gerade wegen seiner Amtstätigkeit oder Freistellung an der Karriere- und Vergütungsentwicklung gehindert worden sein (und nicht z.B. deshalb, weil keine höher dotierte Stelle frei war oder andere Stellenbewerber besser geeignet waren). Nach dem Wortlaut des Kommissionsvorschlags soll es zur Vermeidung einer unzulässigen Begünstigung künftig genügen, dass das Betriebsratsmitglied die „betrieblichen Anforderungen und Kriterien“ für die Gewährung einer (höheren) Vergütung erfüllt und diese „nicht ermessensfehlerhaft“ ist. Dies dürfte den Spielraum für „begünstigungsfreie“ Erhöhungen der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern vergrößern. Der Gewinn an Rechtssicherheit bleibt aufgrund der interpretationsfähigen Formulierung sowie des zusätzlich eingefügten neuen Kriteriums der fehlenden Ermessenfehlerhaftigkeit allerdings überschaubar.
Fazit
Der Vorschlag der Expertenkommission bringt erneut Bewegung in das Thema Betriebsratsvergütung, welches die betriebliche Praxis seit langem intensiv beschäftigt. Inhaltlich ist der Gesetzesvorschlag sicher kein „großer Wurf“, sondern eine eher behutsame Ergänzung der bestehenden Regelungen. Ob er am Ende in eine konkrete Gesetzesinitiative münden wird, ist noch offen. Eine offizielle Positionierung der Bundesregierung und der Sozialpartner steht bislang aus.