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Frist zur Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie abgelaufen – und jetzt?

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Die Frist zur Umsetzung der europäischen Whistleblower-Richtlinie (EU) 2019/1937 in das deutsche Recht ist am 17. Dezember 2021 ergebnislos verstrichen. Der einst vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz zur Umsetzung der Richtlinie eingereichte Gesetzesentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz ist bereits im April 2021 gescheitert. Längst überfällig, beabsichtigen nun die Ampelparteien der aktuellen Regierungskoalition, das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz endlich auf den Weg zu bringen.

Doch was gilt in der Zwischenzeit?

Die EU-Whistleblower-Richtlinie verpflichtet juristische Personen des privaten und öffentlichen Sektors, sichere und zuverlässige Kanäle für die Meldung von Verstößen einzurichten, sodass Hinweisgeber in der Lage sind, Verstöße möglichst ohne Furcht vor Repressalien zu melden. EU-weit sollen dadurch Mindeststandards zum Schutz von Whistleblowern geschaffen werden.

Im Grundsatz gelten EU-Richtlinien jedoch nicht unmittelbar in den Mitgliedstaaten, sondern müssen erst in nationales Recht umgesetzt werden. Die Whistleblower-Richtlinie eröffnet den Mitgliedstaaten dabei – trotz Festlegung bestimmter Mindeststandards – umfangreiche Gestaltungsspielräume bei der Umsetzung. Der deutsche Gesetzgeber kann folglich auch einen weitergehenden Schutz von Hinweisgebern festlegen.

Unmittelbare Wirkung der Whistleblowing-Richtlinie?

Vor ihrer Umsetzung entfalten EU-Richtlinien folglich keine Direktwirkung. Betroffene Personen können demnach Ansprüche oder Rechte nicht unmittelbar aus der Richtlinie herleiten.

Setzt ein Mitgliedsstaat die Richtlinie jedoch nicht rechtzeitig oder ordnungsgemäß um, so ist die Rechtslage eine andere: Ist die Umsetzungsfrist abgelaufen, nimmt der EuGH eine unmittelbare Wirkung an, wenn die Bestimmungen der Richtlinie so hinreichend klar und eindeutig formuliert sind, dass sie keiner weiteren Konkretisierung durch den nationalen Gesetzgeber mehr bedürfen.

Arbeitgeber des öffentlichen Sektors

Liegen diese Voraussetzung vor, wird eine Direktwirkung von Richtlinien insbesondere für den öffentlichen Sektor bejaht. Dies betrifft nicht nur Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts (einschließlich ihrer Behörden, Verwaltungen und Betriebe), sondern nach der Rechtsprechung des EuGH auch juristische Personen des Privatrechts, die mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet sind.

Für sie kann eine unmittelbare Handlungspflicht zur Implementierung der Vorgaben der Whistleblower-Richtlinie insbesondere in Bezug auf die Einrichtung interner Meldekanäle nicht mehr ausgeschlossen werden.

Zwar sieht die Whistleblower-Richtlinie grundsätzlich eine Ausnahme von der Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle für juristische Personen des öffentlichen Sektors mit weniger als 50 Arbeitnehmern bzw. Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern vor. Da es sich bei der Ausnahmeregelung jedoch lediglich um eine Umsetzungsmöglichkeit für die einzelnen Mitgliedsstaaten handelt, wird man eine Befreiung für diese Rechtsträger erst annehmen können, wenn der deutsche Gesetzgeber eine solche Bereichsausnahme tatsächlich umgesetzt hat.

Arbeitgeber des privaten Sektors

Schwieriger ist die Frage der Direktwirkung von europäischen Richtlinien zwischen Privaten, beispielsweise Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zu beurteilen. Hier gilt nach der Rechtsprechung des EuGH, dass eine EU-Richtlinie ohne Umsetzung ins nationale Recht grundsätzlich nicht zu unmittelbaren Pflichten für Privatpersonen oder Unternehmen führen kann, da Adressaten der Richtlinie allein die Mitgliedsstaaten sind.

Für Unternehmen mit 50 bis 249 Arbeitnehmern gilt hinsichtlich der Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle für den deutschen Gesetzgeber ohnehin eine längere Umsetzungsfrist bis 17. Dezember 2023, sodass diesbezüglich eine Direktwirkung der Whistleblower-Richtlinie zum jetzigen Zeitpunkt per se ausscheidet.

Doch auch wenn eine unmittelbare Wirkung der Whistleblower-Richtline für private Unternehmen derzeit nur schwer vertretbar erscheint, bedeutet dies nicht, dass die Regelungen der Richtlinie nicht doch Auswirkungen auf das konkrete Arbeitsverhältnis haben können. Denn Arbeitsgerichte sind zu einer richtlinienkonformen Auslegung des deutschen Rechts verpflichtet. Jedenfalls nach Ablauf der Umsetzungsfrist einer EU-Richtlinie müssen Gerichte das nationale Recht so auslegen, dass es – soweit möglich – mit dem Wortlaut und den Zielen der Richtlinie im Einklang steht.

Dies kann insbesondere unter folgendem Gesichtspunkt für die Praxis relevant werden: Die Whistleblower-Richtlinie enthält eine Beweislastumkehr für Gerichtsverfahren. So ist es Arbeitgebern nach der Richtlinie insbesondere untersagt, gegenüber Whistleblowern Repressalien zu ergreifen oder auch nur anzudrohen. Kommt es nach einer Meldung bspw. zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses und behauptet der Whistleblower, die Kündigung sei Folge seiner vorherigen Meldung, so stellt die Richtlinie die Vermutung auf, dass die arbeitsrechtliche Maßnahme tatsächlich eine (unzulässige) Repressalie für die Meldung oder Offenlegung von Verstößen war. Es obliegt dann dem Arbeitgeber das Gegenteil zu beweisen und die gesetzliche Vermutung zu entkräften.

Fazit

Für Arbeitgeber des öffentlichen Sektors ist nach Ablauf der Umsetzungsfrist eine unmittelbare Wirkung der Whistleblower-Richtlinie nicht mehr auszuschließen. Aber auch private Unternehmen sehen sich im Umgang mit Whistleblowern einer unsicheren Rechtslage ausgesetzt.

Arbeitgebern gleich welchen Sektors sind daher gut beraten, interne Meldekanäle für Hinweisgeber zu errichten bzw. bereits bestehende Meldesysteme und Whistleblower-Policies zu prüfen und ggf. so umzugestalten, dass sie die Anforderungen der EU-Whistleblower-Richtlinie erfüllen. Nur so kann letztlich das Haftungsrisiko bis zur Verabschiedung des deutschen Hinweisgebergesetzes begrenzt werden (siehe dazu auch unsere Blogbeiträge vom 3. Juni 2019 und 16. November 2021).

Lena Fersch

Rechtsanwältin

Senior Associate
Lena Fersch berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Whistleblowing und Compliance".
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