Welche Rolle kommt dem Arbeitgeber bei der Betriebsratswahl zu? Ist er lediglich stiller Bankdrücker oder darf er sich zu den Geschehnissen auf dem Spielfeld aktiv äußern und so das Spielgeschehen sogar beeinflussen?
Diese Fragen gewinnen mit den bevorstehenden Betriebsratswahlen 2022 wieder zunehmend an Bedeutung. Arbeitgeber sind sich häufig unsicher, wie sie sich im Hinblick auf die Betriebsratswahlen zu verhalten haben und in welcher Art und Weise sie sich zum Wahlgeschehen äußern dürfen.
Grundsatz der Neutralitätspflicht des Arbeitgebers
20 Abs. 2 BetrVG besagt, dass niemand die Betriebsratswahl beeinflussen darf, sei es durch die Androhung von Nachteilen oder dem Versprechen eines Vorteils. Dies gilt insbesondere für den Arbeitgeber als klassischen Gegenspieler des Betriebsrats. Lange Zeit wurde hieraus eine strenge Neutralitätspflicht des Arbeitsgebers abgeleitet, die dessen Handlungs- und Äußerungsspielraum in Bezug auf die Betriebsratswahl stark begrenzte. Eine tatsächliche Wahlbeeinflussung durch den Arbeitgeber kann grundsätzlich die Anfechtbarkeit der Wahl nach § 19 BetrVG begründen und im schlimmsten Fall sogar zu einer Strafbarkeit nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG führen.
Ist der Arbeitgeber also tatsächlich „geknebelt“?
Doch wie weit geht diese Neutralitätspflicht des Arbeitgebers in der Praxis tatsächlich? Ist ihm also jede Meinungsäußerung zur Betriebsratswahl verwehrt?
Nein, dem ist nicht so, wie das BAG bereits am 25.10.2017 in seiner Entscheidung 7 ABR 10/16 festgestellt hat (vgl. zu dieser Entscheidung unseren Blogbeitrag vom 27.3.2018). Auch für den Arbeitgeber gilt grundsätzlich die in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Meinungsfreiheit.
So soll nicht jede Handlung oder Äußerung, die potenziell geeignet sein könnte, die Wahl zu beeinflussen, untersagt sein. Eine unzulässige Beeinflussung i. S. v. § 20 Abs. 2 BetrVG setze vielmehr voraus, dass eine Zufügung bzw. Androhung von Nachteilen oder eine Gewährung bzw. ein Versprechen von Vorteilen erfolgt. Die Norm schütze die innere Willensbildung des wahlberechtigten Arbeitnehmers, um dessen freie Wahlentscheidung zu gewährleisten. Um dies sicher zu stellen, brauche es jedoch keiner strengen Neutralitätspflicht des Arbeitgebers, die ihm jede Äußerung zum Wahlgeschehen untersage.
Nur wenn sich der Arbeitgeber also eines der von § 20 Abs. 2 BetrVG genannten Mittel bedient, kann eine unzulässige Wahlbeeinflussung i. S. d. Vorschrift vorliegen. Eine darüberhinausgehende allgemeine Neutralitätspflicht leitet das BAG dagegen aus der Norm nicht ab.
Was gilt also für die Betriebsratswahl?
Aus der Entscheidung des BAG lassen sich für den Arbeitgeber folgende relevante Punkte ableiten:
- Der Arbeitgeber darf Sympathien für bestimmte Listen oder Kandidaten bekunden.
- Er darf sich grundsätzlich kritisch über den bestehenden Betriebsrat bzw. einzelne Mitglieder äußern.
- Auch dürfen Arbeitgeber anregen, eine alternative, ggf. „arbeitgeberfreundlichere“ Liste aufzustellen und gezielt Arbeitnehmer für die Kandidatur auf dieser Liste ansprechen.
- Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitgebers, Wahlwerbung an die Mitarbeiter weiterzuleiten.
- Der Arbeitgeber darf Wahlvorbereitungen während der Arbeitszeit gestatten und die Plakatierung im Betrieb zulassen, sofern er hiervon keine Liste ausschließt.
Fazit – weder Knebel noch Megafon
Wie so häufig liegt die Wahrheit auch hier in der Mitte. Der Arbeitgeber sollte weder zum Megafon greifen, noch muss er als stummer Beobachter die Zuschauerrolle einnehmen.
Die ehemals vorherrschende Ansicht der strengen Neutralitätspflicht des Arbeitgebers bei der Wahl des Betriebsrates hat das BAG – auch weil es schlicht an einer gesetzlichen Grundlage fehlt – nicht bestätigt.
Dennoch sollten Arbeitgeber weiterhin überlegt agieren. Zwar hat das BAG in der benannten Entscheidung eine recht arbeitgeberfreundliche Auslegung des § 20 Abs. 2 BetrVG vorgenommen, gleichwohl ist hieraus kein allgemeiner Freifahrtsschein für den Arbeitgeber abzuleiten.
Jede Handlung und Äußerung eines Arbeitgebers, die potenziell Auswirkungen auf das Wahlergebnis einer Betriebsratswahl haben könnte, ist im Einzelfall in Hinblick auf § 20 Abs. 2 BetrVG zu überprüfen. Arbeitgeber sollten daher – unter Berücksichtigung der weiterhin bestehenden Risiken wie der Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl oder sogar einer möglichen Strafbarkeit – die Risiken und den Nutzen ihres Vorgehens sorgfältig abwägen und prüfen, ob nicht doch (mittelbar) eine Gewährung von Vorteilen oder eine Androhung von Nachteilen im Sinne der Auslegung des BAG vorliegen könnte.
Insbesondere darf der Arbeitgeber einzelne Kandidaten oder Listen nicht bevorteilen oder diesen finanzielle oder sonstige materielle Vorteile zukommen lassen. Dagegen sind Sympathiebekundungen oder andere Werbung für Kandidaten oder Listen nach Ansicht des BAG zulässig, sofern sie in einem gewissen Rahmen bleiben.