open search
close
Arbeitsrecht in der Pandemie Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Restrukturierung

Freiwilligenprogramme: Keine Transfergesellschaft ohne Kündigung?

Print Friendly, PDF & Email

Transfergesellschaften sind ein beliebtes Instrument bei größeren Personalabbaumaßnahmen. Auch in Freiwilligenprogrammen wurden sie bis zuletzt als Mittel eingesetzt, um Anreize für einen freiwilligen Austritt zu schaffen. Seit kurzem wird dieses Modell durch eine deutlich restriktivere Bewilligungspraxis der Agenturen für Arbeit in Frage gestellt. Wer aktuell Restrukturierungen plant oder umsetzt, sollte hierauf vorbereitet sein, damit die staatliche Förderung der Transfergesellschaft sichergestellt ist.

Hintergrund

Nach einem nie dagewesen Ausmaß an Kurzarbeit sind mittlerweile zahlreiche Unternehmen in einen nachhaltigen Personalabbau übergegangen. Zu vage sind in manchen Branchen die Hoffnungen auf eine baldige Erholung der Auftragslage. Als erster Schritt wird oftmals ein Freiwilligkeitsprogramm umgesetzt an, um zu einem sozialverträglichen Stellenabbau zu gelangen. Neben klassischen Aufhebungsverträgen wird den Mitarbeitern mitunter der Eintritt in eine sog. Transfergesellschaft angeboten, in der die von Arbeitslosigkeit bedrohten Mitarbeiter im Rahmen einer maximal zwölfmonatigen Qualifizierung bei der Neuorientierung auf dem Arbeitsmarkt unterstützt werden. 

Die Transfergesellschaften werden über das Transferkurzarbeitergeld nach § 111 SGB III von den Agenturen für Arbeit gefördert. Der Arbeitgeber zahlt in der Regel lediglich einen Aufstockungsbetrag auf diese staatliche Leistung. Damit das Modell „fliegt“, muss somit aber die für den abgebenden Betrieb örtlich zuständige Agentur für Arbeit die Förderung bewilligen. Über die näheren Voraussetzungen einer Transfergesellschaft berichteten z.B. wir bereits hier.

Bedrohung von Arbeitslosigkeit

Maßgebliches Kriterium für die Bewilligung des Transfer-KUG ist die „Bedrohung von Arbeitslosigkeit“. Nach bisherigem Verständnis war dieses Kriterium nicht gleichzusetzen mit einer Bedrohung von „Kündigung“. Dementsprechend konnten z.B. auch ordentlich unkündbare Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit bedroht sein (BSG vom 18. Juni 2013 – B 11 AL 41/13). Daran anschließend bewilligten die Agenturen für Arbeit Transfergesellschaften in der Regel auch im Kontext von Freiwilligenprogrammen. Solange der Abschluss von Aufhebungsvereinbarungen im Kontext zu einem signifikanten Arbeitsplatzabbau stand, sah man für die Mitarbeiter ein hinreichendes Risiko für den Arbeitsplatzverlust und damit für die Arbeitslosigkeit. Um die Mitarbeiter nicht dem Risiko einer Kündigung auszusetzen, bestand damit bereits in der frühen Freiwilligenphase der Restrukturierung die Möglichkeit einer staatlich geförderten Transfergesellschaft.

Neue Entwicklungen 

In der jüngsten Vergangenheit ist eine deutlich restriktivere Bewilligungspraxis für das Transfer-KUG festzustellen. Einzelne lokale Agenturen für Arbeit wollten zuletzt die Transfergesellschaft nur noch fördern, wenn der Abschluss eines dreiseitigen Vertrags der letzte Ausweg vor einer unmittelbar bevorstehenden Kündigung war. Darzulegen war dies möglichst mit einer Namensliste zu kündigender Mitarbeiter, die in der betrieblichen Realität zum Zeitpunkt eines Freiwilligenprogramms bekanntlich in aller Regel nicht existiert. Die Transfergesellschaft als Teil eines Freiwilligenprogramms wäre damit hinfällig gewesen. 

Nach Abstimmung der Regionaldirektionen mit der Bundesagentur für Arbeit wird diese Extremposition nun wohl nicht mehr vertreten. Dennoch ist eine deutlich gesteigerte Darlegungslast für die Bedrohung von Arbeitslosigkeit festzustellen. Aus den bei den Agenturen für Arbeit einzureichenden Unterlagen (z.B. dem Interessenausgleich) muss ein plausibles Bedrohungsszenario für den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen hervorgehen. Allein der einvernehmliche Austritt des Mitarbeiters im Rahmen eines Freiwilligenprogramms dürfte künftig nicht mehr ausreichen, um das Transfer-KUG zu erhalten.

Folgen für die Praxis

Erste Erfahrungen mit der geänderten Praxis der Agenturen für Arbeit zeigen, dass die Förderung von Transfergesellschaften als Teil eines Freiwilligenprogramms trotz der gestiegenen Anforderungen weiterhin realisierbar ist. Insbesondere Unternehmen mit bereits laufenden Personalabbauprogrammen und/oder mit aktuell geltendem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen sollten aber eine bevorstehende Beantragung von Transfer-KUG besonders sorgfältig vorbereiten, damit nicht die Bewilligung der Förderung der Transfergesellschaft versagt wird. Im schlimmsten Falle wären sonst bereits abgeschlossene dreiseitige Verträge für den Übertritt in die Transfergesellschaft rückabzuwickeln. 

KLIEMT.Arbeitsrecht




Wir sind Deutsch­lands führende Spe­zi­al­kanz­lei für Arbeits­recht (bereits vier Mal vom JUVE-Handbuch als „Kanzlei des Jahres für Arbeitsrecht“ ausgezeichnet). Rund 90 erst­klas­sige Arbeits­rechts­exper­ten beraten Sie bundesweit von unseren Büros in Düs­sel­dorf, Berlin, Frankfurt, München und Hamburg aus. Kompetent, persönlich und mit Blick für das Wesent­li­che. Schnell und effektiv sind wir auch bei komplexen und grenz­über­schrei­ten­den Projekten: Als einziges deutsches Mitglied von Ius Laboris, der weltweiten Allianz der führenden Arbeitsrechtskanzleien bieten wir eine erstklassige globale Rechtsberatung in allen HR-relevanten Bereichen.
Verwandte Beiträge
Arbeitszeit & Arbeitszeiterfassung Compliance Neueste Beiträge Restrukturierung Vergütung

Kurzarbeit reloaded – was nach dem Wegfall der Corona-Erleichterungen zu beachten ist

Die schwache Konjunktur wirkt sich zunehmend auf die Beschäftigungssituation aus. Die Zahl der Kurzarbeiter ist so hoch wie seit zwei Jahren nicht mehr. Doch während Unternehmen in Corona-Zeiten von großzügigen Erleichterungen profitieren konnten, gelten mittlerweile wieder strenge Maßstäbe. Wer hier unbedacht vorgeht, riskiert, im Ergebnis keinen einzigen Cent von der Arbeitsagentur zu erhalten. Was gilt es also zu beachten, um Kurzarbeit erfolgreich einzuführen? Diese Erleichterungen…
Individualarbeitsrecht Massenentlassung Neueste Beiträge Restrukturierung

Fünf Praxistipps für die Einreichung der Massenentlassungsanzeige

Bei größeren Personalabbaumaßnahmen stehen Personaler im Unternehmen vor zahlreichen tatsächlichen und rechtlichen Herausforderungen. Eine davon ist die ordnungsgemäße Einreichung der Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit. Dieser Schritt ist rechtlich vorgeschrieben und hat entscheidenden Einfluss auf die Wirksamkeit von Kündigungen und Aufhebungsverträgen. Die folgenden fünf praktischen Tipps können Ihnen helfen, den Prozess der Massenentlassungsanzeige effizient und zugleich rechtskonform zu gestalten: 1. Offizielles Formular der Bundesagentur…
Kündigung, allgemein Neueste Beiträge Restrukturierung

Freiwilligenprogramme als Mittel zum streitlosen Stellenabbau

Einstellungstopps, Kostenreduzierung und Stellenabbau sind Themen, die aktuell kleine wie ganz große Unternehmen betreffen. Medienwirksam sind die in US-amerikanischen Konzernen erfolgenden Entlassungen tausender Beschäftigter. Im deutschen Arbeitsrecht sind Personalreduzierungen wegen der damit einhergehenden (kündigungs-)rechtlichen Auseinandersetzungen aufwendiger und bedürfen sorgfältiger Planung und Umsetzung. Freiwilligenprogramme können eine attraktive und sozialverträgliche Alternative oder zumindest vorgelagerte Maßnahme sein. Freiwilligenprogramme Freiwilligenprogramme sind ein anerkannt zulässiges Mittel, um bei Krisen und…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.