Ausschlussfristen (Verfallklauseln) gehören zu den Standards, die aus keinem Arbeitsvertrag mehr wegzudenken sind. Sie bewirken ein Erlöschen von Ansprüchen, sofern diese nicht innerhalb einer bestimmten Frist geltend gemacht werden. Meist werden sie ausdrücklich im Arbeitsvertrag aufgenommen. Anders sieht es aus, wenn Ausschlussfristen etwa in einer Betriebsvereinbarung, einem Tarifvertrag oder einer Dienstvereinbarung geregelt sind. In diesen Fällen wird oft schlicht auf die jeweilige Kollektivvereinbarung und damit nur mittelbar auf die dort geregelten Ausschlussfristen verwiesen. Diese gängige Praxis genügt nach derzeitiger Rechtsprechung des BAG den Pflichten aus dem Nachweisgesetz (NachwG). Doch eine neue Entscheidung des Sechsten Senats könnte nun den Kritikern Aufschwung geben.
Nachweispflichten des Arbeitgebers
Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG muss der Arbeitgeber spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederlegen, die Niederschrift unterzeichnen und dem Arbeitnehmer aushändigen. Als wesentliche Vertragsbedingungen gelten jene Bestimmungen, deren Kenntnis für den Arbeitnehmer zur Geltendmachung seiner Rechte notwendig ist. Satz 2 normiert sodann zwingende Mindestbedingungen, die in die Niederschrift aufzunehmen sind, beispielsweise den Namen der Vertragsparteien (Nr. 1) und die Tätigkeitsbeschreibung (Nr. 5). Der Katalog ist jedoch nicht abschließend. Auch Ausschlussfristen zählen zu den wesentlichen Vertragsbedingungen i. S. d. Satz 1, auch wenn sie in Satz 2 nicht explizit genannt sind.
Zur Erfüllung der Nachweispflicht, gerade bezogen auf die Ausschlussfristen, bedienen sich Arbeitgeber regelmäßig der Möglichkeit des § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 10 NachwG. Danach ist in die Niederschrift ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind, aufzunehmen. Allerdings gilt gem. § 2 Abs. 3 S. 1 NachwG für die Angaben nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 bis 9 (also Vergütungshöhe, Arbeitszeit, Urlaubstage, Kündigungsfristen), dass diese nur durch einen qualifizierten Hinweis (d. h. unter ausdrücklicher Nennung der Vertragsbedingung) auf die einschlägigen Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und ähnlichen Regelungen, die für das Arbeitsverhältnis gelten, ersetzt werden können.
Konsequenz einer Verletzung vorgenannter Nachweispflichten ist eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer wäre im Zweifel also so zu stellen, wie er stünde, wenn er die Ausschlussfrist nicht versäumt hätte. Dadurch könnten Arbeitgeber bis zur Grenze der Verjährung mit Zahlungs-/Abgeltungsansprüchen von Arbeitnehmern konfrontiert werden.
Derzeitige Rechtslage und Meinungsstand
- Das BAG (hier v.a. der Vierte und Fünfte Senat) und die überwiegende Literatur lassen einen einfachen Hinweis auf die geltenden Tarifverträge als Nachweis der dort enthaltenen Ausschlussfrist genügen. Gefordert wird aber jedenfalls die Bezeichnung des fachlichen und räumlichen Geltungsbereichs des Tarifvertrags, ohne konkret auf die betreffende Kollektivbestimmung (z.B. die Ausschlussfrist) hinweisen zu müssen (BAG, Urteile vom 5. November 2003 – 5 AZR 676/02 und 23. Januar 2002 – 4 AZR 56/01). Die in der Praxis weit verbreitete Formulierung „auf das Arbeitsverhältnis finden im Übrigen die einschlägigen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen Anwendung“ wird dem aller Voraussicht nach nicht gerecht.
- Etwas mehr, nämlich in Anlehnung an § 2 Abs. 3 NachwG einen „qualifizierten“ Hinweis auf die einschlägigen (tariflichen) Ausschlussfristen, wird zum Teil in der Literatur verlangt. Der Nachweis nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG erfasse nur die Tatsache, dass eine Kollektivvereinbarung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finde, die wesentlichen Vertragsbedingungen hingegen seien an Satz 1 zu messen.
Änderung von einfachem zu qualifiziertem Hinweis durch den Sechsten Senat?
Arbeitgeber können vorerst aufatmen. Der Sechste Senat hat keine unmittelbare Rechtsprechungsänderung herbeigeführt. Das BAG hatte kürzlich zur Reichweite der Nachweispflicht bei Einbeziehung der KAVO („kirchliche Arbeitsverordnung“) zu entscheiden (Urteil vom 30. Oktober 2019 – 6 AZR 465/18). Im Ergebnis genügte eine einzelvertragliche Bezugnahme auf kirchliche Arbeitsrechtsregelungen nicht zum Nachweis einer Ausschlussfrist nach § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG, da es sich bei der KAVO lediglich um allgemeine Geschäftsbedingungen und gerade nicht um einen Tarifvertrag bzw. eine Dienst- oder Betriebsvereinbarung handelt. Den obigen Meinungsstreit zwischen Rechtsprechung und Literatur hat das BAG zwar ausdrücklich aufgegriffen, dann jedoch mit der Floskel „unabhängig von der für Tarifverträge geltenden Rechtslage…“ dahinstehen lassen. Ob das BAG in Zukunft seine bisherige Rechtsprechung bestätigen wird oder – insbesondere der Sechste Senat – nur auf einen tauglichen Fall wartet, um in Anbetracht der dogmatischen Argumente der Literatur seine Haltung zu überdenken, bleibt abzuwarten.
Und nun?
Eine Rechtsprechungsänderung würde die Praxis vor große Herausforderungen stellen. Alle geltenden Kollektivvereinbarungen wären nach wesentlichen Vertragsbedingungen zu durchforsten. Die Niederschrift wäre zu unterzeichnen und dem Arbeitnehmer physisch auszuhändigen (§ 2 Abs. 1 S. 1 NachwG); ein Ersatz durch die elektronische Form (§ 126 Abs. 3 BGB) ist nach Satz 3 ausgeschlossen. Letzteres zumindest dürfte sich aber spätestens bis zum Jahr 2022 durch die neue Arbeitsbedingungenrichtlinie 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union ändern, wonach dann der Nachweis auf Kollektivvereinbarungen in elektronischer Form genügen soll.
Vor größeren Schwierigkeiten steht jedoch der Arbeitgeber, der den qualifizierten Hinweis in bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen nachträglich erteilen will. Denn neben den erwähnten formalen Hürden wird in den meisten Fällen auch die Frist von einem Monat zur Erteilung des Nachweises zwischenzeitlich verstrichen sein. Auch bei nicht rechtzeitiger Aushändigung der Niederschrift wird aber ein Schadenersatzanspruch wegen Verzuges begründet (BAG, Urteil vom 21. Februar 2012 − 9 AZR 486/10). Dieser kann im Einzelfall jedoch mangels Kausalität entfallen oder aufgrund des Mitverschuldens des Arbeitnehmers gemindert oder gänzlich ausgeschlossen sein, etwa wenn der Arbeitnehmer nachweisbar Kenntnis von der Ausschlussfrist hatte. Der vorsichtige Arbeitgeber tut insoweit gut daran, den Hinweis auf die Ausschlussfristen auch noch nachträglich zu qualifizieren bzw. – bereits zum jetzigen Zeitpunkt – schon vorsorglich einen qualifizierten Hinweis auf die kollektivvertragliche Regelung unter ausdrücklichem Hinweis auf die dortige Ausschlussfrist in neu abzuschließende Arbeitsverträge aufzunehmen.
Mit freundlicher Unterstützung von Liane Müller, Referendarin am Standort Berlin.