open search
close
Arbeitszeit & Arbeitszeiterfassung Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Überstunden im Überblick: Was Arbeitgeber wissen sollten

Print Friendly, PDF & Email

Eine ungewöhnliche Häufung von Projekten und Deadlines, urlaubs- oder krankheitsbedingte Abwesenheiten von Kollegen sowie Personalmangel sind einige der vielen Gründe für Überstunden. Welche Herausforderungen hiermit verbunden sind, wird oftmals unterschätzt. Daher kommen Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Ableistung und vor allem die Bezahlung von Überstunden nicht selten vor. Meistens sind bereits Fehler bei der Arbeitsvertragsgestaltung die Ursache hierfür, sodass Arbeitgeber hierauf ihr besonderes Augenmerk legen sollten.

Was sind Überstunden?

Überstunden sind die Arbeitszeit, die ein Arbeitnehmer über die für sein Arbeitsverhältnis individuell geltende Arbeitszeit hinaus arbeitet. Bewertungsmaßstab ist hierbei die regelmäßige Arbeitszeit, die für den Arbeitnehmer aufgrund Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung gilt oder die im Arbeitsvertrag vereinbart wurde.

Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist nach seinem Arbeitsvertrag zu einer wöchentlichen Arbeitszeit von vierzig Stunden verpflichtet, wobei er täglich acht Stunden von Montag bis Freitag zu arbeiten hat. Er arbeitet ausnahmsweise am Donnerstag und Freitag jeweils zwei Stunden mehr, sodass seine wöchentliche regelmäßige vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von vierzig Stunden um vier Stunden überschritten wurde. Der Arbeitnehmer hat daher vier Überstunden geleistet.

Grenzen durch das ArbZG

Die Möglichkeit Überstunden zu verlangen wird durch die Regelungen des ArbZG begrenzt. Grundsätzlich beträgt die Höchstarbeitszeit gem. § 3 Abs. 1 ArbZG acht Stunden pro Tag. Hierbei geht das ArbZG von einer Sechs-Tage-Woche aus, sodass eine Obergrenze von 48 Stunden pro Woche gilt. Gem. § 3 Satz 2 ArbZG kann die Arbeitszeit aber auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Insgesamt ist einem Arbeitnehmer mit einer vierzig Stunden Woche demnach erlaubt vorübergehend bis zu zwanzig Überstunden pro Woche zu leisten.

Wann besteht eine Verpflichtung zur Erbringung von Überstunden?

Der Arbeitgeber kann seine Arbeitnehmer nicht einseitig dazu zwingen, Überstunden zu erbringen. Dies wäre nur in strengen Notsituationen, die der Arbeitgeber nicht voraussehen kann, zulässig. Erfasst dürften hierbei nur Ereignisse sein, die die Existenz des Betriebs gefährden.

Etwas anderes gilt, wenn sich der Arbeitgeber bereits arbeitsvertraglich das Recht zur Anordnung von Überstunden vorbehält. Eine solche Klausel muss aber den Anforderungen des Transparenzgebots nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB entsprechen, um wirksam zu sein. Die Rechte und Pflichten des Arbeitnehmers müssen hiernach möglichst klar und verständlich dargestellt werden. Er muss wissen, aus welchem Anlass er zu wie vielen Überstunden verpflichtet ist. Dies erfordert vor allem die Angabe der Anzahl der im Höchstfall zu leistenden Überstunden sowie eine Auflistung von möglichen Gründen für den Überstundenbedarf, wie z. B. Personalmangel.

Besondere Überstundenverbote gibt es für Schwangere gem. § 4 MuSchG sowie für Jugendliche gem. § 8 JarbSchG. Schwerbehinderte dürfen nach § 207 SGB IX Überstunden verweigern.

Vergütungspflicht des Arbeitgebers bei Überstunden?

Oft gibt es Streit um die Frage, ob die Überstunden ausbezahlt werden müssen. Grundsätzlich ist dies unter analoger Anwendung von § 612 Abs. 1 BGB zu bejahen, da der Arbeitnehmer mit den Überstunden eine quantitative Mehrleistung über die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung hinaus erbringt.

Arbeitsvertraglich können die Bedingungen zur Vergütungspflicht abweichend ausgestaltet werden. So besteht in den Fällen, in denen das Bruttojahresgehalt eines Arbeitnehmers über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, die Möglichkeit – innerhalb der Grenzen des ArbZG – Überstunden mit der gewöhnlichen monatlichen Vergütung vollständig abzugelten. Unabhängig vom Bruttojahresgehalt können nach der Rechtsprechung des BAG Überstunden von zumindest 10% der regelmäßigen Arbeitszeit mit der Grundvergütung abgegolten werden. Wegen des Transparenzgebots muss klar geregelt sein, wie viele Überstunden von der Abgeltung erfasst sind. Dem Arbeitgeber steht es auch frei, die Überstunden durch Freizeit auszugleichen. Bei Auszubildenden sieht das BBiG explizit eine Vergütungspflicht von Überstunden vor.

Klage auf Überstundenvergütung durch den Arbeitnehmer

Sollte der Arbeitnehmer die Überstundenvergütung einklagen, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich jeder behaupteten Überstunde. Durch die Arbeitszeiterfassungsplicht des Arbeitgebers, die aufgrund des „Stechuhr-Urteils“ des EuGH vom 14. Mai 2019 (Az.: C-55/18) und des Beschlusses des BAG vom 13. September 2022 besteht (zuletzt thematisiert in unserem Blogbeitrag vom 24. Januar 2024), wird die arbeitnehmerseitige Darlegungs- und Beweislast nicht berührt (vgl. hierzu unseren Blogbeitrag vom 24. Mai 2022).

Der Arbeitnehmer muss insbesondere nachweisen, dass die Ableistung der Überstunden ausdrücklich durch den Arbeitgeber angeordnet wurde oder dass dies zumindest mit seinem Wissen und Wollen erfolgte. Um dieser Darlegungslast zu genügen, reicht der Vortrag, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. In der Regel wird dem Arbeitnehmer dies nur möglich sein, wenn er vorher Aufzeichnungen über die erbrachten Arbeitsstunden erstellt.

Auf einen solchen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat, und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen (nicht) nachgekommen ist. Andernfalls gilt der Vortrag des Arbeitnehmers als zugestanden. In diesem Zusammenhang hilft dem Arbeitgeber dessen Aufzeichnungspflicht aus § 16 Abs. 2 ArbZG von über die vereinbarte werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Mehrarbeit. Diese Pflicht galt auch vor der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.

Solche Klagen dürften jedenfalls Erfolgsaussichten haben, wenn der Arbeitgeber z. B. Stundenzettel des Arbeitnehmers abgezeichnet hat, und wenn sich aus den Stundenzetteln die genaue Lage und der Umfang der Überstunden ergibt. Schwierig dürfte es für den Arbeitnehmer werden, wenn keine aussagekräftigten Unterlagen zur Begründung eines Vergütungsanspruchs wegen abgeleisteter Überstunden vorliegen.

Kollektive Regelungen zu Überstunden

Bei Bestehen eines Betriebsrates hat der Arbeitgeber an dessen Mitbestimmungsrecht zu denken. Auch Tarifverträge enthalten oft Regelungen darüber, unter welchen Umständen der Arbeitgeber Überstunden anordnen darf, wie viele Überstunden abgeleistet dürfen und wie diese vergütet werden. Ferner sehen die meisten Tarifverträge etwaige Überstundenzuschläge vor.

Praxistipps

Um Streitigkeiten über die Auszahlung von Überstunden zu vermeiden, sollten Arbeitgeber bereits bei der Arbeitsvertragsgestaltung das Thema Überstunden im Blick haben. Die richtigen Formulierungen sind hierbei essentiell. Vor allem muss zwischen der Anordnung von Überstunden und der Vergütungspflicht differenziert werden. Schließlich sollten Arbeitgeber in Arbeitsverträgen immer Ausschlussfristen vereinbaren, um sicherzustellen, dass Arbeitnehmer maximal Überstunden aus den letzten drei Monaten geltend machen können.

Unabhängig von der Pflicht zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit, gilt für den Arbeitgeber speziell für erbrachte Überstunden die Aufzeichnungspflicht nach § 16 Abs. 2 ArbZG. Diese Pflicht hilft dem Arbeitgeber im Hinblick auf seine abgestufte Darlegungs- und Beweislast im Rahmen einer Klage auf Überstundenvergütung zu prüfen, ob Überstunden und in welcher Höhe tatsächlich vom Arbeitnehmer geleistet wurden.

Meral Tolun

Rechtsanwältin

Associate
Meral Tolun berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.
Verwandte Beiträge
Arbeitszeit & Arbeitszeiterfassung Neueste Beiträge

Dürfen Roboter sonntags arbeiten?

Am Sonntag schnell noch für den Grill- oder Fußballabend einkaufen – das ist in vielen Ländern möglich, in Deutschland noch eine Wunschvorstellung. Einige Unternehmen und Start-ups wollen es ermöglichen, auch in Deutschland sonntags für den täglichen Bedarf einzukaufen. Doch sie dürften an den Verwaltungsgerichten scheitern. Die Sonntagsruhe gelte auch für Selbstbedienungssupermärkte, entschied kürzlich der Verwaltungsgerichtshof Hessen und legt damit das Gesetz konservativ aus. Sonntagsruhe zur…
Arbeitszeit & Arbeitszeiterfassung Compliance Neueste Beiträge Whistleblowing & Investigations

Arbeitszeitgesetz: Wie Sie Bußgelder vermeiden

Die angekündigte Reform des Arbeitszeitgesetzes lässt weiter auf sich warten. Doch schon nach aktueller Gesetzeslage drohen empfindliche Bußgelder, die auch gegen Unternehmensverantwortliche persönlich verhängt werden können. Wir geben einen Überblick zum aktuellen Stand und mit welchen Compliance-Maßnahmen Sie die Risiken in den Griff bekommen können. Reformentwurf – Und still ruht der See Zu dem im April 2023 bekannt gewordenen Vorhaben zur Reform des Arbeitszeitgesetzes gibt…
Arbeitszeit & Arbeitszeiterfassung Neueste Beiträge

Die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen

In der Praxis kommt es häufig vor, dass nur einzelne Bestandteile eines Arbeitsverhältnisses, insbesondere die Wo­chen­ar­beits­stun­den oder die Vergütungs­be­stand­tei­le, vorübergehend verändert werden oder der Arbeitnehmer zeitweise eine be­stimm­te (höherwertige) Tätigkeit übernehmen soll (sogenannte „Teilbefristung“). Vor allem in wirtschaftlichen Krisenzeiten kann die Befristung von Entgeltbestandteilen ein attraktives Flexibilisierungsinstrument für den Arbeitgeber darstellen. In unserem Blogbeitrag vom 7. März 2023 haben wir bereits die gesetzlichen Grundlagen hierfür…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.