Das Leben eines vollfreigestellten Betriebsratsmitgliedes klingt rosig: Freie Zeiteinteilung, sämtliche Arbeitnehmerschutzrechte plus Sonderkündigungsschutz und die Vergütung darf nicht gemindert werden, wird ohne Zutun des Betriebsratsmitgliedes sogar zukünftig regelmäßig erhöht. Ganz so rosig ist es aber nicht: Eine Vergütungsgarantie für einzelne Vergütungskomponenten gibt es nämlich nicht. In welchen Fällen eine Schichtzulage für ein vollfreigestelltes Betriebsratsmitglied gestrichen und es damit finanziell schlechter gestellt werden darf als vor der Freistellung, zeigt nun das LAG Hessen (Urteil vom 13. Juni 2023 – 12 Sa 1293/22).
Die Bemessung der Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder
Für die Bemessung der Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder sind vor allem vier Regelungen maßgeblich: Die Betriebsratstätigkeit wird ehrenamtlich ausgeübt (sog. Ehrenamtsprinzip – § 37 Abs. 1 BetrVG), das Betriebsratsmitglied erhält für die Zeiten, in denen es Betriebsratstätigkeiten nachgeht, die Vergütung, die es ohne Betriebsratstätigkeit erhalten hätte (sog. Lohnausfallprinzip – § 37 Abs. 2 BetrVG), die zukünftige Vergütungsentwicklung des Betriebsratsmitglieds richtet sich nach der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer (§ 37 Abs. 4 BetrVG) und das Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot verbietet es, einem Betriebsratsmitglied wegen seiner Betriebsratstätigkeit eine Vergütung zu gewähren, die sich nicht mehr im Rahmen der § 37 Abs. 2 und Abs. 4 BetrVG geregelten Maßstäbe bewegt.
Zur Vergütung zählen alle Entgeltleistungen einschließlich der Zuschläge und Zulagen.
Bleibt einem vollfreigestellten Betriebsratsmitglied die Schichtzulage erhalten?
An unterschiedliche Schichten sind häufig unterschiedliche Entgeltleistungen geknüpft, die sich auch auf die Betriebsratsvergütung auswirken können. So gibt es beispielsweise die Tagschicht zu den üblichen Geschäftszeiten, die Nachtschicht oder auch Wechselschichtmodelle. Kollektivrechtliche Vereinbarungen sehen für Tätigkeiten zur Unzeit häufig Zulagen als finanzielle Kompensation für die damit einhergehenden Belastungen vor. Die wenigsten Mitarbeiter entscheiden sich freiwillig für Nacht- oder Wechselschichtmodelle. Es ist daher naheliegend, dass ein vollfreigestelltes Betriebsratsmitglied, das vor der Freistellung ausschließlich im Schichtdienst tätig war, die unliebsame Nacht-, Sonn- oder Feiertagsschicht meidet und Betriebsratstätigkeiten lieber zu den üblichen Geschäftszeiten von Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr erbringt. Die Schichtzulage hätte das Betriebsratsmitglied natürlich trotzdem gerne. Im Fall, den das LAG Hessen zuletzt zu entscheiden hatte, argumentierte der Kläger, ursprünglich Notfallsanitäter in Wechselschicht, nun vollfreigestelltes Betriebsratsmitglied, wie folgt: ihm stünde für die Freistellungsphase eine Wechselschichtzulage und eine Zulagenpauschale nach den anwendbaren tariflichen Regelungen zu. Dies folge aus § 37 Abs. 2 und Abs. 4 BetrVG. Wäre er kein freigestelltes Betriebsratsmitglied, hätte er die Wechselschichtzulage und die Zulagenpauschale erhalten.
Ohne Schichttätigkeit keine Zulage
Dieser Ansicht erteilte das LAG Hessen eine Absage. Es wies die Berufung zurück und bestätigte die Argumentationslinie der ersten Instanz. Ohne Ausübung einer Schichttätigkeit, sei es die Betriebsratstätigkeit oder eine Arbeitnehmertätigkeit, besteht auch keine Notwendigkeit für eine Schichtzulage.
Es liege nicht an der Tätigkeit als vollfreigestelltes Betriebsratsmitglied, dass keine Wechselschichten bzw. eine Tätigkeit zu ungünstigen Zeiten (z.B. an Sonn- oder Feiertagen) mehr anfallen. Das vollfreigestellte Betriebsratsmitglied könne sich seine Tätigkeitszeiten frei einteilen. Es stünde ihm daher auch frei, zumindest Teile seiner Tätigkeit in Wechselschicht bzw. zu ungünstigen Zeiten zu erbringen.
Das LAG Hessen bezog sich dabei auf die klassischen Normen § 37 Abs. 2 und Abs. 4 sowie § 78 Satz 2 BetrVG.
Lohnausfallprinzip stellt auf die Gegenwart ab
37 Abs. 2 BetrVG begründet keinen eigenständigen Vergütungsanspruch. Diese Norm stellt lediglich klar, dass das Betriebsratsmitglied weiterhin so zu vergüten ist, wie wenn es zu dieser Zeit regulär gearbeitet hätte (das sogenannte „Lohnausfallprinzip“). Der springende Punkt ist „zu dieser Zeit“. Hätte das Betriebsratsmitglied zu den üblichen Bürozeiten keine Betriebsratstätigkeiten wahrgenommen, sondern Arbeitnehmertätigkeiten, hätten ihm für diese Arbeitnehmertätigkeiten zu den üblichen Bürozeiten auch keine Zulagen zugestanden. Es geht nicht darum, wie das Betriebsratsmitglied gearbeitet hätte, wenn es kein freigestelltes Betriebsratsmitglied gewesen wäre. So hatte aber der Kläger argumentiert. Dass die Zulagen wegfallen, liegt nicht an der Betriebsratstätigkeit als solcher, sondern am Betriebsratsmitglied, wenn es die Tätigkeitszeiten eigenverantwortlich festlegen kann und die Tätigkeit zur Unzeit meidet.
Arbeitsentgeltschutz im Sinne des § 37 Abs. 4 BetrVG ist keine Entgeltgarantie
Auch § 37 Abs. 4 BetrVG führt nicht dazu, dass Zulagen für Zeiten gezahlt werden, in denen keine Betriebsratstätigkeiten geleistet werden. Die Vorschrift garantiert dem Betriebsratsmitglied nicht die der Höhe nach absolut gleiche Vergütung. Bei der Frage, ob ohne Schichttätigkeiten dennoch Zulagen zu leisten sind, ist schon der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht eröffnet. Die Vorschrift ist nur anwendbar, wenn sich die Vergütung aus einer fiktiven beruflichen Entwicklung in der Vergangenheit ergibt.
Zulagenkürzung kann sachlich gerechtfertigt sein
Schließlich schützt auch das Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG in solchen Fällen das Betriebsratsmitglied nicht vor einer Entgelteinbuße. Betriebsratsmitglieder, die für ihre Betriebsratstätigkeiten nicht mehr in Wechselschicht bzw. zu ungünstigen Zeiten tätig sind, dürfen bei der Vergütung schlechter gestellt werden. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen, die weiterhin in Wechselschicht arbeiten, sind Betriebsratsmitglieder, die ihre Tätigkeit nun zu den üblichen Geschäftszeiten erbringen, nicht mehr vergleichbar. Eine Schlechterstellung ist daher sachlich gerechtfertigt. Anders gewendet: Würde einem Betriebsratsmitglied eine Schichtzulage ohne Schichttätigkeit gezahlt werden, wäre dies eine gesetzeswidrige Besserstellung im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG. Ein Betriebsratsmitglied würde dann eine Schichtzulage erhalten, obwohl es gar keine Schichttätigkeit erbracht und die damit einhergehenden Belastungen hat.
Schichteinteilung dem Betriebsratsmitglied überlassen
Die Revision ist beim BAG unter dem Aktenzeichen 7 AZR 197/23 eingelegt. Sollte das BAG die Entscheidung des LAG Hessen bestätigen, ginge es über die bisherige Rechtsprechung hierzu hinaus. Das BAG (Urteil vom 18. Mai 2016 – 7 AZR 401/14) versagte einem Betriebsratsmitglied schon einmal die Zahlung von Nachtzulagen. Damals vereinbarten aber Betriebsratsmitglied und Arbeitgeber, dass die Betriebsratstätigkeit während der üblichen Geschäftszeiten erbracht werden soll. Zudem war das Betriebsratsmitglied in diesem Fall lediglich teilfreigestellt. Darauf komme es aber, so das LAG Hessen, nicht an. Entscheidend sei, dass der Kläger eigenverantwortlich entschieden habe, seine Betriebsratstätigkeit zu den üblichen Geschäftszeiten zu erbringen. So könne es auch gerechtfertigt sein, dass eine Betriebsratstätigkeit mit einer Vergütungseinbuße einhergeht. Das BAG könnte damit für weitere Klarheit bei der Betriebsratsvergütung sorgen. Zu welchen (Un)Zeiten Betriebsratstätigkeiten erbracht werden, sollten Arbeitgeber Betriebsratsmitgliedern daher weiterhin freistellen.