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Entspannt aber rechtskonform: Wann stellt eine Dienstleistung eine Arbeitsleistung dar?

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Menschen beim Yoga im Büro

Der Arbeitnehmerstatus ist nicht selten umstritten. Das BAG hat in einer jüngeren Entscheidung klargestellt, dass jemand, der weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit erbringt, Arbeitnehmer ist. Dies auch dann, wenn die Dienstleistungen im Rahmen einer Vereinsmitgliedschaft und vor pseudo-religiös-spirituellem Hintergrund erbracht werden.

Der Arbeitnehmerstatus ist nicht selten umstritten. Arbeitgeber (und solche, die meinen keine zu sein) tun gut daran zu überprüfen, ob die für sie tätigen Dienstleister tatsächlich als selbstständige Dienstleister oder nicht doch als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind.

Eine neuere Entscheidung des BAG zu einem – zugegebenermaßen eher ungewöhnlichen – Sachverhalt führt dies in aller Deutlichkeit vor Augen:

Die Hintergründe

Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein, in dessen Einrichtungen Yoga in Form von Seminaren, Kursen und sonstigen Veranstaltungen praktiziert und gelehrt wird. Die Klägerin war Mitglied dieses Vereins und lebte von 2012 bis 2020 in einem Yoga-Ashram des Vereins, also einer spirituellen Gemeinschaft, die nach indischer Klostertradition zusammenlebt. Mitglieder dieses Yoga-Ashrams waren verpflichtet, nach Weisung ihrer Vorgesetzten, verschiedene Aufgaben zu übernehmen, z.B. Yogaunterricht geben oder Haushalts- oder Gartenarbeit erledigen. Die Klägerin übernahm darüber hinaus die Verantwortung für das Social Media Marketing des Vereins und erbrachte somit wöchentlich Dienste im Umfang von 42 Stunden. Im Gegenzug erhielt die Klägerin von der Beklagten Kost und Logis sowie ein Taschengeld von bis zu 570 € pro Monat.

Die Klägerin unterschrieb 2015 eine „Bestätigung der Mitgliedschaft“, in der sie erklärte, nur aus Gründen der spirituellen Selbstverwirklichung Mitglied bei der Beklagten zu sein, und nicht, um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Positionen

Die Klägerin forderte für die von ihr erbrachten Dienstleistungen von dem Beklagten die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns für den Zeitraum Januar 2017 bis Juni 2020 (knapp 50.000 € brutto).

Die Klägerin argumentierte, sie sei während ihrer Zeit beim Beklagten wie eine Arbeitnehmerin behandelt worden und habe somit Anspruch auf Mindestlohn. Denn die Vermarktung der Yogakurse sei das wirtschaftliche Ziel des Beklagten gewesen. Außerdem sei die spirituelle Selbstverwirklichung im Laufe der Zeit immer weiter in den Hintergrund gerückt.

Der Beklagte war der Ansicht, ein Arbeitsverhältnis habe nicht bestanden, da für die Klägerin die spirituelle Selbstverwirklichung im Yoga-Ashram im Vordergrund gestanden habe und nicht die Arbeitsleistung. Zudem habe die Klägerin ihre Dienste selbst einteilen können, sodass sie auch nicht weisungsgebunden gewesen sei. Außerdem habe es sich um gemeinnützige Dienste für die klösterliche hinduistische Ashramgemeinschaft gehandelt.

Die Entscheidung

Das BAG entschied, dass die Klägerin als Arbeitnehmer anzusehen sei, unabhängig von ihrer Vereinsmitgliedschaft und der spirituellen Ausrichtung des Beklagten. Denn sie sei zur Erbringung der Dienste vertraglich verpflichtet gewesen und habe weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht.

Weder die Argumente des Beklagten zu besonderen Gestaltungsrechten von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften noch die verfassungsrechtliche Vereinsautonomie konnten das BAG überzeugen: Die Tätigkeiten der Klägerin waren nicht als gemeinnützige Dienste innerhalb einer Religionsgemeinschaft, die vom staatlichen Mindestschutz des Arbeitsrechts ausgenommen sind, zu qualifizieren. Denn es fehlte dem Beklagten ein ausreichendes Maß an „religiöser Systembildung“. Das Gesamtkonzept des Beklagten, welches auf einer Mischung aus hinduistischer Lehre, einigen anderen Weltreligionen und Spiritualität beruhte, erfüllte dieses Kriterium nicht. Auch die Tatsache, dass der Beklagte in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins organisiert war, ließ das BAG nicht als Argument gegen den Arbeitnehmerstatus der Klägerin gelten. Denn auch wenn vereinsautonome Regelungen zur Erbringung von fremdbestimmter und weisungsgebundener Arbeit (z.B. zur Förderung des Vereinszwecks) grundsätzlich möglich sind, dürfen diese den arbeitsrechtlich gebotenen Mindestschutz nicht umgehen. Genau dies habe der Beklagte mit ihrem Modell aus Kost und Logis sowie der Zahlung von Taschengeld jedoch getan.

Konsequenzen und Praxishinweise für Arbeitgeber

Davon ausgehend, dass die meisten Arbeitnehmer nicht als eingetragene Vereine organisiert sind oder semi-religiös-spirituelle Gemeinschaften betreiben, steckt doch ein wichtiger Reminder in dieser Entscheidung: Wer weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit erbringt, ist Arbeitnehmer/in.

Arbeitgeber, die „selbstständige“ Dienstleister beschäftigten, z.B. zur Erbringung von IT-Dienstleistungen oder zur Überbrückung von Vakanzen im Unternehmen (Interimspositionen), sollten regelmäßig überprüfen, ob diese Dienstleister tatsächlich selbstständig tätig sind. Denn die Beschäftigung von „Scheinselbstständigen“ beinhaltet ein nicht unerhebliches Risiko: Arbeitgeber können sich wegen der Hinterziehung von Sozialabgaben strafbar machen. Die folgenden Punkte können Indizien für eine Scheinselbstständigkeit sein:

  • Feste Arbeitszeiten
  • Weisungsbefugnis von Team- oder Abteilungsleiter bzw. Geschäftsführer ggü. Dienstleister
  • Integration in die Infrastruktur des Arbeitgebers, z.B. durch Unternehmens-E-Mail-Adresse, Aufnahme ins Organigramm, zur Verfügungstellung von technischem Equipment, Büroräumlichkeiten, etc.
  • Urlaubsanspruch, Vertretung des Dienstleisters durch Arbeitnehmer während Urlaubszeiten
  • Verbot der Erbringung der Dienstleistung durch Arbeitnehmer des Dienstleisters oder Subunternehmen
  • Feste monatliche Bezüge
  • Keine Vereinbarung eindeutiger durch den Dienstleister zu erbringender Dienste

Sandra Fredebeul

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Sandra Fredebeul berät nationale und internationale Unternehmen vorwiegend in der Gestaltung von Anstellungs-, Aufhebungs- und Abwicklungsverträgen. Darüber hinaus konzentriert sie sich auf betriebsverfassungsrechtliche Fragen.
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