open search
close

Vergütung ist nicht (nur) Verhandlungssache. Dies dürfte spätestens seit dem Urteil des BAG vom 16. Februar 2023 zum „Equal Pay“-Grundsatz im Bewusstsein vieler Unternehmen sein (siehe hierzu auch unseren Video-Blog vom 23.2.2023). Was hingegen (häufig) nicht bekannt ist: Reine Verhandlungssache ist die Vergütung auch dann nicht, wenn der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz betroffen ist. Hebt das Unternehmen für einen Teil der Mitarbeiter die Vergütung an, muss es vergleichbaren Mitarbeitern bei einer sachgrundlosen unterschiedlichen Behandlung die gleiche Vergütung gewähren. Differenzierungsmöglichkeiten bestehen dennoch – im Rahmen der Sachgruppenbildung.

Während der „Equal Pay“-Grundsatz nach dem EntgTranspG nur eine geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung verbietet, erfasst der allgemeine Gleichhandlungsgrundsatz auch andere Formen der Ungleichbehandlung. Dieser Grundsatz verbietet Arbeitgebern generell, einzelne Mitarbeiter(-Gruppen) willkürlich schlechter zu behandeln als vergleichbare Mitarbeiter.

Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz findet Anwendung, wenn der Arbeitgeber eine Leistung nach kollektiven Merkmalen gewährt. Das ist (nur) dann anzunehmen, wenn die Leistung aufgrund eines erkennbar generalisierenden Prinzips für (einen Teil der) Mitarbeiter gewährt wird. Nicht anwendbar ist er hingegen, wenn Leistungen oder Vergünstigungen individuell vereinbart werden. Denn in diesem Fall fehlt es am kollektiven Bezug.

In der arbeitsrechtlichen Praxis erfährt der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz die größte Bedeutung im Bereich der Vergütung. Sobald ein Arbeitgeber auf der Grundlage eines bestimmten, erkennbaren Systems vergütet, muss er für eine Differenzierung nach Mitarbeitergruppen sachliche Gründe haben.

Gleiches gilt im Falle von Entgelterhöhungen. Werden durch eine einheitliche betriebliche Regelung Arbeitsentgelte angehoben, darf eine bestimmte Gruppe von Mitarbeitern hiervon nur ausgenommen sein, wenn die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entspricht und erforderlich sowie angemessen ist.

Vergleichbarkeit von Mitarbeiter(-Gruppen)

Die Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz setzt zunächst voraus, dass Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen miteinander vergleichbar sind. Miteinander vergleichbar dürften diese dann sein, wenn sie einen „gemeinsamen Nenner“ haben. Dafür dürfte es insbesondere auf die Tätigkeit der Mitarbeiter ankommen. Das BAG hat die Vergleichbarkeit von Mitarbeitern mit Blick auf die Anwendung von Vergütungsgrundsätzen dagegen ausdrücklich abgelehnt, wenn bei der einen Gruppe von Mitarbeitern ein dynamischer Verweis auf einen Tarifvertrag vorliegt und dieser bei einer anderen Gruppe fehlt (BAG, Urt. v. 3.12.2008 – 5 AZR 74/08).

Rechtfertigung der Ungleichbehandlung

Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt vom Arbeitgeber gerade nicht in jedem Fall eine unterschiedslose Behandlung von vergleichbaren Mitarbeitern. Eine unterschiedliche Behandlung ist vielmehr schon dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber sachlich nachvollziehbare Gründe darlegen kann. Die Gründe müssen auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruhen. Dieser vom BAG aufgestellte Maßstab belässt dem Arbeitgeber einigen Gestaltungsspielraum. Denn der Arbeitgeber darf dies bis zur Grenze der Willkür selbst einschätzen.

So haben Arbeitgeber die Möglichkeit für unterschiedliche Tätigkeitsbereiche unterschiedliche Vergütungssysteme zu etablieren. Für die Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung dürfte es darauf ankommen, inwieweit Tätigkeiten aufgrund ihrer Besonderheit eigenständig zu bewerten sind und daher anders vergütet werden können.

Ebenfalls zulässig dürfte sein, einzelne Mitarbeiter(-Gruppen) von regelmäßigen und leistungsunabhängigen Gehaltserhöhungen auszunehmen, wenn deren Gehälter nur individuell angepasst werden sollen. Das dürfte insbesondere dann in Betracht kommen, wenn einzelne Mitarbeiter(-Gruppen) einen besonderen Anreiz für eine gute Performance erhalten sollen, z.B. durch das Erreichen von hohen (Verkaufs-)Zahlen. Auch darf der Arbeitgeber einzelne Mitarbeiter(-Gruppen) von Gehaltserhöhungen ausnehmen, um bestehende Gehaltsunterschiede auszugleichen und so ein einheitliches Lohnniveau im Betrieb sicherzustellen.

Wer muss was in einem Prozess darlegen und beweisen?

Praxisrelevant ist (im Fall der Fälle) insbesondere, wer in einem Prozess für welche Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig ist. Den Arbeitnehmern obliegt zunächst einmal die Darlegung der Tatsachen zur Eröffnung des Anwendungsbereichs des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Sie müssten im Falle einer Ungleichbehandlung zunächst Mitarbeiter(-Gruppen) benennen, die eine vorteilhafte Behandlung/Leistung erhalten haben. Diese Hürde dürfte allerdings in der Praxis schnell genommen sein, wenn Arbeitnehmer sich untereinander über Vergütung und Zusatzleistungen austauschen.

Ist dies erfolgt, muss der Arbeitgeber darlegen, wie groß der begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt und abgegrenzt ist – und warum der klagende Arbeitnehmer nicht dazu gehört.

Was für die Praxis besonders relevant ist

Für die Praxis besonders zu beachten ist, dass der Anwendungsbereichs des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes bereits sehr schnell eröffnet sein kann. Eine „Einzelfallentscheidung“ für sich begründet die Anwendung noch nicht. Allerdings: Auf einen Fall folgt schnell ein zweiter und die Rechtsprechung sieht hierin teilweise sehr schnell eine Gruppenbildung. So hat das BAG jüngst den Gleichbehandlungsgrundsatz erst kürzlich in einem Fall als anwendbar erachtet, in dem der Arbeitgeber bei einer Belegschaft von ca. 2.000 Mitarbeitern lediglich 6 Mitarbeitern bestimmte Bonusleistungen gewährt hatte (BAG, Urt. v. 25.1.2023 – 10 AZR 29/22). Im Zweifel sollten Unternehmen sich im Vorfeld rechtlich absichern.

Christiane Adam


Rechtsanwältin
Associate
Christiane Adam berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
Verwandte Beiträge
Brazil Internationales Arbeitsrecht

New pay equality rules in Brazil

New regulations have been issued strengthening Brazil’s equal pay framework. On 3 July 2023 Brazil passed a new Gender Pay Gap Law, which, for the first time, will oblige companies with more than 100 employees to report salary differences between men and women in management and leadership positions. The Brazilian government has now issued a Federal Decree and an Ordinance providing important details for the…
Compliance Datenschutz Individualarbeitsrecht Kollektivarbeitsrecht Neueste Beiträge Restrukturierung Top-Management Vergütung

Top 6 des Jahres 2023 aus arbeitsrechtlicher Sicht

Das Jahr 2023 ist nun beinahe wieder vorbei. Zur Anheizung der weihnachtlichen Vorfreude lesen Sie hier unseren Jahresrückblick auf eine kleine Auswahl an besonders beachtenswerten und für das Arbeitsrecht relevanten Urteilen – u.a. zu den Themen Equal Pay, Beweisverwertungsverbote, Geschäftsführerhaftung, Outsourcing und Strafrecht. Wie in jedem Jahr gab es auch in 2023 wieder einige Gerichtsentscheidungen, die in einem arbeitsrechtlichen Jahresrückblick nicht fehlen dürfen. Unsere diesjährigen…
Internationales Arbeitsrecht Neueste Beiträge Vergütung

Equal Pay Day 2023: where are we on the gender pay gap?

International Equal Pay Day falls on 18 September. It’s a moment to reflect on what has been achieved and what still needs to be done to address pay equity globally. Here Ius Laboris lawyers from across the alliance provide a round-up of new measures and proposals to address the gender pay gap in their countries. Introduction: what is the gender pay gap? The ‘Gender Pay…
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.