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Headset als Überwachungseinrichtung des Arbeitgebers?

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Headset hängt über einem Laptopdisplay

Die Digitalisierung bringt dem modernen Unternehmen eine Vielzahl von Möglichkeiten. Nicht nur der Arbeitgeber kann hierbei profitieren. Insbesondere die Einführung moderner technischer Ausstattung kann in einem Zuge zur Optimierung der Arbeitsabläufe führen und die tägliche Arbeit der Angestellten erleichtern. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass sich die Betriebsparteien hierüber immer gleich einig sind, wie folgende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Sachsen vom 21.10.2022 – 4 TaBV 9/22 zeigt:

Was ist passiert?

Ein international tätiges Bekleidungsunternehmen möchte die Kommunikation innerhalb ihrer Filialen modernisieren. Bislang verwendete „Walkie Talkies“ sollen durch Headsets ersetzt werden. Die Betreuung der verwendeten Software für die Headsets soll zentral durch die IT-Abteilung des Unternehmens in Dublin erfolgen. Beim Einsatz der Geräte werden Registrierungsdaten wie die Identifikationsnummer des Gerätes und der Zeitpunkt der Verbindung an die IT-Abteilung übertragen. Daneben werden die Betriebsdaten des Headsets, die DECT-Verbindung mit der Basisstation in der Filiale und generelle Systemdaten weitergegeben.

Das Unternehmen schloss gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat eine IT-Rahmenvereinbarung, in dessen Anlage auch die Headsets aufgenommen wurden. Die Parteien vereinbarten klarstellend, dass die Headsets nicht zur Verhaltens- und Leistungskontrolle eingesetzt werden.

In den einzelnen Filialen in Deutschland wurden mit den örtlichen Betriebsräten zusätzlich entsprechende Betriebsvereinbarungen getroffen. Einer der örtlichen Betriebsräte verweigerte jedoch seine Zustimmung zur Einführung und Nutzung der Headsets und beharrte auf sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.

ArbG Dresden: Überbetriebliche Regelungsnotwendigkeit

Das Arbeitsgericht Dresden hat die Unterlassungsanträge des Betriebsrats mit Beschluss vom 09.12.2021 zurückgewiesen. Zwar seien die Headsets als Überwachungseinrichtungen i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG anzusehen. Jedoch bestünde aufgrund der technischen Betreuung in Dublin eine überbetriebliche Regelungsnotwendigkeit, weshalb allein der Gesamtbetriebsrat für die Ausübung Mitbestimmungsrechts zuständig sei.

Mit dieser Begründung gab sich der örtliche Betriebsrat nicht zufrieden. Man fand sich in der zweiten Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Sachsen wieder.

LAG Sachsen: Keine Technische Überwachungseinrichtung

Auch hier blieb die Beschwerde erfolglos. Das LAG geht jedoch noch weiter als die Vorinstanz:

„Ein Headset, welches nur der innerbetrieblichen Kommunikation dient, stellt keine technische Überwachungseinrichtung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dar.“

Eine Leistungskontrolle sei durch die Sprachübertragung des Headsets objektiv nicht möglich. Objektive Leistungsdaten der Arbeitnehmer würden durch die Teilnahme an der betrieblichen Kommunikation nicht gewonnen. Das Arbeitsergebnis der beteiligten Arbeitnehmer würde nicht beeinflusst. Vielmehr handle es sich lediglich um die Erleichterung des Zugangs zur betrieblichen Kommunikation.

Entscheidend sei an dieser Stelle, dass die ermittelten und aufgezeichneten Verhaltens- und Leistungsdaten dem einzelnen Arbeitnehmer auch zugeordnet werden können. Der Arbeitnehmer müsse identifizierbar sein.

„Mitbestimmungspflichtig ist nicht die Erhebung von Verhaltens- und Leistungsdaten schlechthin, sondern die Erhebung solcher auf den Arbeitnehmer bezogener Daten, weil deren Persönlichkeitsbereich vor einer technisierten anonymen Überwachung geschützt werden soll.“

Im vorliegenden Fall fehle es an der Individualisierbarkeit des Angestellten. Die Headsets sind keinem bestimmten Arbeitnehmer zugeordnet. Die Benutzung erfolgt durch Zufallsprinzip. Eine Zuordnung erhobener Daten in der IT-Zentrale sei daher nicht möglich.

Und noch eine Runde

Der örtliche Betriebsrat zeigt sich weiterhin unbeeindruckt. Die zugelassene Rechtsbeschwerde ist beim Bundesarbeitsgericht anhängig, ein Entscheidungstermin steht noch aus.

Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des LAG der Prüfung durch die Richter in Erfurt standhält. In der Literatur ist der Beschluss des LAG jedenfalls auf Kritik gestoßen, da die bisherige Rechtsprechung des BAG zu sehr eingeschränkt werden würde.

Das Headset als Digitalisierung im Jahre 2022

Ob die Einführung eines „modernen“ Headsets derart bedrohlich erscheint, dass man die Frage der Mitbestimmung letztlich vom Bundesarbeitsgericht geklärt wissen möchte, kann jeder für sich selbst entscheiden. Jedenfalls zeigt das Verfahren, dass das Streitpotential bei der Digitalisierung und Einführung moderner Arbeitsmethoden (leider) nach wie vor groß ist. Arbeitgeber sollten sich dennoch nicht abschrecken lassen, technische Neuerungen durchzusetzen, insbesondere dann, wenn sie veraltete Ausstattungen ablösen und den Arbeitsalltag dadurch effizienter gestalten.

Fabio Aru

Rechtsanwalt

Associate
Fabio Aru berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben der Führung von Kündigungsrechtsstreitigkeiten berät er seine Mandanten im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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