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Verschwiegenheitspflichten des Aufsichtsrats

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Mitglieder des Aufsichtsrats haben Zugang zu einer Vielzahl hochsensibler Unternehmensinformationen. Vor dem Hintergrund, dass sie regelmäßig zugleich andere Funktionen ausfüllen, können insbesondere Arbeitnehmervertreter, die zugleich Mitglied im Betriebsrat, in der Gewerkschaft oder anderen Gremien sind, aber auch Anteilseignervertreter so in einen Interessen- und Mandatskonflikt kommen. Wir erläutern Umfang und Reichweite der gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern.

Umfang der Geheimhaltungspflicht

Damit der Aufsichtsrat die ihm obliegenden Aufgaben (v.a. Überwachung der Geschäftsleitung und Beschlussfassung bei zustimmungspflichtigen Rechtsgeschäften) ausüben kann, besteht eine Berichtspflicht seitens der Unternehmensleitung. Darüber hinaus haben Aufsichtsratsmitglieder Einsichts- und Prüfungsrechte, Zugang zu unternehmensinternen Informationen sowie ein umfassendes Auskunftsrecht gegenüber der Unternehmensleitung. Um die Vertraulichkeit zwischen Unternehmensleitung und Aufsichtsrat herzustellen und offene Beratungen im Aufsichtsrat zu ermöglichen, ist für Mitglieder im Aufsichtsrat im Gegenzug in §§ 116 S. 2, 93 AktG eine umfassende Geheimhaltungspflicht normiert; auf diese Vorschriften verweisen auch das GmbHG und die Mitbestimmungsgesetze. Die Geheimhaltungspflicht gilt ohne Weiteres auch für die Zeit nach Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat.

Über eine Sprachregelung, welche Informationen an die Öffentlichkeit gelangen sollen, entscheidet nicht ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied, sondern grundsätzlich die Unternehmensleitung. Der Gesamtaufsichtsrat ist nur dann zuständig, soweit es um Angelegenheiten aus seiner Sphäre, z.B. die Vorstandsüberwachung geht. Für den gesetzlich zwingend zu errichtenden Aufsichtsrat ist der Umfang der Geheimhaltungspflicht der Aufsichtsratsmitglieder gesetzlich festgeschrieben und kann somit auch durch die Satzung weder verschärft noch gemildert werden. Möglich sind allenfalls interne Richtlinien, welche auf die Vertraulichkeit hinweisen und Verfahrensregeln aufstellen, jedoch für ein mit einem etwaigen Verstoß gegen die Verschwiegenheit befasstes Gericht nicht bindend sind. Lediglich für den fakultativen Aufsichtsrat kann in Satzungen hiervon abgewichen und die Pflicht zur Geheimhaltung konkretisiert, verschärft oder gelockert werden.

Nach der gesetzlichen Definition ist über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, die den Aufsichtsratsmitgliedern im Zusammenhang mit ihrer Aufsichtsratstätigkeit bekannt geworden sind, Stillschweigen zu bewahren. Was konkret darunter fällt, hängt von einer Einzelfallabwägung darüber ab, ob die Geheimhaltung im objektiven Unternehmensinteresse liegt und die Weitergabe zu einem Schaden der Gesellschaft führen könnte. Geschützt sind Geheimnisse und vertrauliche Angaben, die nicht öffentlich oder aus der Presseberichterstattung bekannt oder Gegenstand von Ad-hoc-Mitteilungen sind, und zwar unabhängig davon, ob sie explizit als geheim deklariert wurden.

Mandatskonflikte

Die Geheimhaltungspflicht gilt nicht nur gegenüber unternehmensfremden Personen, sondern insbesondere auch gegenüber Unternehmensangehörigen, Mitarbeitern und Aktionären. Sie ist von allen Aufsichtsratsmitgliedern, mithin von Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern gleichermaßen zu beachten.

Nach derzeitiger Konzeption ist die Aufsichtsratsfunktion – nicht zuletzt aufgrund der gesetzlich ausdrücklich normierten Geheimhaltungspflicht – nicht mit anderen Funktionen oder Mandaten unvereinbar, wie dies etwa kürzlich das BAG in Bezug auf die Unverträglichkeit der Funktion als Datenschutzbeauftragter mit der Mitgliedschaft im Betriebsrat angenommen hat (vgl. unseren Blog-Beitrag vom 14. Juni 2023). In Bezug auf Arbeitnehmervertreter sind die möglichen Konflikte verschiedener Mandate daher vielfältig. So werden Funktionsträger einer Gewerkschaft oder im Betriebsrat daran gehindert, Aufsichtsratsinformationen in Verhandlungen gegen die Arbeitgeberseite zu nutzen, aber auch Aufsichtsratsmitglieder, welche in Aufsichtsräten verschiedener Unternehmen vertreten sind, können kein übergreifendes Informationssystem aufbauen.

Die Geheimhaltungspflicht hat Vorrang vor einem etwaigen Informationsinteresse des Betriebsrats oder der Belegschaft (BAG vom 23. Oktober 2008 – 2 ABR 59/07). Bemerkenswert ist, dass das Aufsichtsratsmitglied gegenüber dem Betriebsrat zu schweigen hat, es aber umgekehrt keine gesetzlich normierte Pflicht in Bezug auf die Offenbarung von Betriebsratsangelegenheiten gegenüber dem Aufsichtsrat gibt (vgl. § 79 Abs. 1 S.3 BetrVG).

Bei Anteilseignervertretern im Aufsichtsrat besteht die Pflicht zur Geheimhaltung grundsätzlich nicht gegenüber der Unternehmensleitung oder Gesellschaftern, jedoch gegenüber Gesellschaftern im Konzern zwischen verbundenen Unternehmen. Demnach sind auch Aufsichtsratsmitglieder einer abhängigen GmbH an die Geheimhaltungspflicht gebunden, selbst wenn sie vom herrschenden Unternehmen in den Aufsichtsrat entsandt wurden. Eine Ausnahmeregelung von der strikten Vertraulichkeit gibt es bislang nur für von Gebietskörperschaften wie z.B. Gemeinden entsandte Aufsichtsratsmitglieder.

Konsequenz eines Verstoßes

Sofern von Unternehmensseite bei Verstößen eines Aufsichtsratsmitglieds gegen die Geheimhaltungspflicht eine gerichtliche Auseinandersetzung angesichts des damit ggf. verbundenen weiteren Reputationsschadens überhaupt gewollt ist, kommen neben einer Abberufung der betreffenden Person aus dem Aufsichtsrat auch Schadensersatzansprüche in Betracht. Schließlich droht dem Aufsichtsratsmitglied womöglich sogar ein Strafverfahren. Es handelt sich jedoch um ein sog. Antragsdelikt, bei dem die Entscheidung über die Einleitung eines Strafverfahrens dem Vorstand bzw. Abwickler obliegt; nicht einmal Geschäftsführer sind antragsbefugt.

Das Aufsichtsratsmitglied hat hinsichtlich des Vorliegens einer Verletzung der Geheimhaltungspflicht keinen Beurteilungsspielraum, sondern ist auf diese objektiv verpflichtet. Insoweit stellt auch eine Entscheidung der Unternehmensleitung oder des Aufsichtsrats über die Vertraulichkeit einer Angelegenheit lediglich ein Indiz dar, welches die Gerichte nicht bindet. Es kann allenfalls am Verschulden des Aufsichtsratsmitglieds fehlen, wenn es aufgrund eingeholten Rechtsrates zu der Überzeugung gelangen durfte, die Geheimhaltung aufheben zu dürfen.

Fazit

Aus Sicht von Aufsichtsratsmitgliedern gilt es, vorsichtig abzuwägen, inwiefern sie über Aufsichtsratsangelegenheiten sprechen und eine sorgfältige Abgrenzung zu anderen Funktionen und Mandaten vorzunehmen. Aber auch aus Unternehmenssicht sind im Falle eines (vermuteten) Verstoßes eines Aufsichtsratsmitglieds gegen die Verschwiegenheitsverpflichtung die Einleitung juristischer Schritte unter Abwägung eines weiteren Schadens im Falle einer ggf. öffentlichkeitswirksamen Auseinandersetzungen wohl zu überlegen.

Jutta Heidisch

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Senior Associate
Jutta Heidisch berät deutsche und internationale Unternehmen sowie Führungskräfte in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Schwerpunkte sind die Beratung bei Umstrukturierungen, betriebsverfassungs- und tarifrechtlichen Fragestellungen sowie die Vertretung von Mandanten in arbeitsgerichtlichen Urteils- und Beschlussverfahren in sämtlichen Instanzen. Besondere Expertise besitzt Jutta Heidisch außerdem im Arbeitskampfrecht sowie Fremdpersonaleinsatz in Unternehmen. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Aufsichtsratsberatung".
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