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Nach „Quiet Quitting“ nun „Quiet Hiring“ – nur ein neues „Buzzword“ oder ein Modell mit Substanz?

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Quiet Hiring

Personalverantwortliche sehen sich zuletzt immer häufiger mit neuen Begriffen konfrontiert. 2022 war es unter anderem das sog. „Quiet Quitting“. Jetzt kursiert der neue Begriff „Quiet Hiring“ – zu Deutsch „stille Einstellung“. Handelt es sich dabei nur um ein (neues) Wortspiel? Oder um ein probates Mittel im Umgang mit Fachkräftemangel und technologischem Fortschritt? 

„Quiet Hiring“ ist an den Begriff des „Quiet Quitting“ angelehnt und bezeichnet gewissermaßen dessen Kehrseite. Während „Quiet Quitting“ eine innere Einstellung beschreibt, die darauf ausgelegt ist, nicht mehr zu tun als erforderlich (vgl. Blogbeitrag vom 31.10.2022), umfasst „Quiet Hiring“ als Oberbegriff insbesondere die Übernahme neuer Aufgaben durch Mitarbeiter sowie interne Neubesetzungen und Positionswechsel.

Dahinter steckt die – nicht neue – Vorstellung, dass neue Aufgaben, mit denen sich Unternehmen konfrontiert sehen, idealerweise von dem bereits vorhandenen Personal bewältigt werden. Dies bestenfalls unter Kompetenzentwicklung im Unternehmen und gegebenenfalls verbunden mit fachlicher Fortbildung.

Top für Arbeitgeber und Flop für Arbeitnehmer?

Die Vorteile für Arbeitgeber liegen auf der Hand: Zu denken ist hier insbesondere an eine Verringerung von Recruiting-Kosten. Zudem könnten Unternehmen sich langwierige Einstellungsprozesse sparen und schneller auf neue Entwicklungen reagieren. Die risikobehafte Probezeit entfiele ebenfalls. Außerdem sind vorhandene Mitarbeiter im Gegensatz zu externen Fachkräften bereits in die Unternehmen integriert, mit den Abläufen vertraut und könnten dies in Ausübung der neuen (Teil-)Funktion einbringen.

Aus der Perspektive der Arbeitnehmer dürften entsprechende Maßnahmen hingegen oftmals zunächst als problematisch wahrgenommen werden. Dies besonders dann, wenn der Eindruck entsteht, benachteiligt zu werden. Besonderes Augenmerk wird in vielen Fällen auf einer zunehmenden Arbeitsbelastung oder der Übernahme fachfremder Aufgaben liegen.

Bei richtiger Umsetzung eine Chance für beide Seiten

Bei genauer Betrachtung bieten sich auch für Mitarbeiter Chancen. Abgesehen von Erhalt und Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Arbeitsplatzes im Unternehmen kann der Erwerb zusätzlicher Fähigkeiten und praktischer Kenntnisse die Karriereaussichten auch außerhalb des Unternehmens verbessern und das Profil des Mitarbeiters schärfen. In Verbindung mit der Übernahme neuer Aufgaben kann auch eine Gehaltsanpassung in Frage kommen.

Regelmäßig dürfte es gerade bei offensichtlichen und weitreichenden Änderungen darauf ankommen, die Vorteile für die Mitarbeiter herauszuarbeiten und offen zu kommunizieren. Werden Mitarbeiter in den Entscheidungsprozess einbezogen, dürften sich Missverständnisse vermeiden und viele von ihnen für anstehende Veränderungen gewinnen lassen.

Verstehen Mitarbeiter die Erweiterung des Aufgabenkreises als Chance, könnte dies unter dem Aspekt der Talententwicklung sogar als Mittel zur Mitarbeiterbindung eingesetzt werden (vgl. zum Thema Mitarbeiterbindung auch unsere Blogbeiträge vom 8.6.2022 und vom 7.10.2021).

Zufriedenheit erstrebenswert – Einigung aber nicht zwingend

Falls Mitarbeiter der Übernahme neuer Aufgaben trotz guter Kommunikation nicht offen gegenüberstehen, können Arbeitgeber im Rahmen ihres Weisungsrechts (sog. Direktionsrecht) auch einseitig vorgehen. Hierzu gilt wie immer, dass die Ausübung billigem Ermessen entsprechen muss.

Mit einseitigen Weisungen stoßen Arbeitgeber an eine Grenze, wenn die Tätigkeit des Mitarbeiters nach der Zuweisung neuer (Teil-)Funktionen nicht mehr dem üblichen Berufsbild der Stelle entspricht. Insbesondere muss die Tätigkeit unter Berücksichtigung der neuen Aufgaben insgesamt gleichwertig bleiben.

Arbeitsvertrag entscheidend

Die aufgezeigte Grenze des Berufsbildes gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitsvertrag – wie im Regelfall – nur eine allgemeine Berufs- oder Tätigkeitsbezeichnung enthält.

Im Kontext der einseitigen Zuweisung neuer Tätigkeiten verbleibt also mit einer knappen Tätigkeitsbeschreibung ein größerer Weisungsspielraum für Unternehmen. Flexibilität kann auch durch einen (wirksamen) Versetzungsvorbehalt erreicht werden.

Je nach Ausgestaltung der Tätigkeitsbeschreibung könnte eine Zuweisung neuer Aufgaben also im Einzelfall einen Eingriff in den Arbeitsvertrag darstellen. Scheidet in dieser Konstellation eine freiwillige Übernahme der Tätigkeiten durch den Arbeitnehmer aus, ließe sich das Vorhaben nur mit einer Änderungsvereinbarung (gegebenenfalls unter Anpassung weiterer Vertragsbestandteile) oder bei Vorliegen der Voraussetzungen durch eine einseitige Änderungskündigung realisieren.

Letzte Hürde Betriebsrat?

Je nach Umfang und Ausgestaltung der Zuweisung neuer Aufgaben kann insbesondere eine Versetzung im Sinne der §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG in Betracht kommen. Dies jedenfalls dann, wenn sich durch das Hinzukommen oder den Abzug von (Teil)-Funktionen das Gesamtbild der Tätigkeit verändert oder wenn hierdurch grundsätzlich andere Kenntnisse verlangt werden. Unter Umständen können auch länger andauernde betriebsinterne Ausbildungen eine Versetzung darstellen. Es kommt dabei immer auf die tatsächlichen Umstände an. Nicht entscheidend ist, ob die Übernahme neuer Aufgaben mit dem Mitarbeiter vereinbart wurde oder im Rahmen des Direktionsrechts zugewiesen werden konnte.

Es sollte daher frühzeitig geprüft werden, ob der Betriebsrat zu beteiligen ist, um das Thema gegebenenfalls proaktiv steuern zu können.

Fazit

„Quiet Hiring“ benennt kein neues Phänomen und liefert keine neuen Antworten im Umgang mit dem Fachkräftemangel oder dem technologischem Wandel. Die sich hinter dem Begriff verbergenden Strategien und Mittel dürften den meisten Personalverantwortlichen bereits bewusst sein und werden in der Praxis gelebt.

Für viele Unternehmen dürfte sich dennoch anbieten, die Möglichkeiten interner Kompetenzentwicklung, arbeitgeberseitiger Aufgabenzuweisung sowie der Mitarbeiterbindung noch einmal in den Fokus zu rücken und den Status quo im Unternehmen zu hinterfragen. Gerade in Grenzfällen sollte dies von einer sorgfältigen arbeitsrechtlichen Prüfung begleitet und im Anschluss von den Unternehmen umgesetzt werden.

Vielen Dank an Canan Schneider (wissenschaftliche Mitarbeiterin im Düsseldorfer Büro) für die Mitwirkung bei der Erstellung des Beitrags.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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