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BAG bestätigt Zulässigkeit von Höchstbetragsklauseln in Sozialplänen

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Mit zwei jüngeren Entscheidungen (1 AZR 252/21; 1 AZR 562/20) hat das BAG die Zulässigkeit von Höchstbetragsklauseln in einem Sozialplan zugunsten eines weiten Entscheidungsspielraums der Betriebsparteien bzw. der Einigungsstelle weiter gefestigt. Für (gesonderte) „Klageverzichtsprämien“ besteht hingegen Änderungsbedarf.

Die Zulässigkeit von Regelungen in einem Sozialplan, die für eine Abfindung einen Höchstbetrag vorsehen (sog. Höchstbetragsregelungen), bleibt ein Dauerbrenner. Ziel solcher Regelungen ist es regelmäßig, ein (begrenzt) zur Verfügung stehendes Sozialplanvolumen vor allem in Zeiten älter werdender Belegschaften angemessen auf alle Betroffenen zu verteilen (Verteilungsgerechtigkeit). Dem in der Praxis noch immer verbreiteten Einwand, derartige Regelungen würden eine unzulässige „Altersdiskriminierung“ darstellen, wurde erneut eine Absage erteilt. Demgegenüber verstoßen entsprechende Begrenzungen auch einer „Klageverzichtsprämie“ gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 BetrVG).

Hintergrund

Sozialpläne und Betriebsvereinbarungen sehen vor allem im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen regelmäßig Höchstbetragsregelungen bzw. Kappungsgrenzen vor. Denn zunächst haben Sozialpläne eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion – wirtschaftliche Nachteile, die infolge einer Betriebsänderung entstehen, sollen zumindest „spürbar“ abgemildert werden; eine Kapitalisierung von Betriebszugehörigkeiten ist gerade nicht vorgesehen. Vor allem geht es aber darum, dass i.d.R. nur begrenzt vorhandene Sozialplanvolumen so zu verteilen, dass der Sozialplan diese Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion gegenüber (allen) betroffenen Arbeitnehmergruppen erfüllt. In der Folge haben regelmäßig „ältere“ Arbeitnehmer:innen mit längeren Betriebszugehörigkeiten resp. Arbeitnehmer:innen mit höheren Einkommen „Kappungen“ hinzunehmen.

Bei Verhandlung und Vereinbarung solcher Klauseln durch die Betriebsparteien oder die Einigungsstelle stellt sich daher vor allem die Frage, wo die Grenzen einer (unzulässigen) Ungleichbehandlung bzw. sogar Altersdiskriminierung zu ziehen sind. Denn Arbeitgeber und Betriebsrat haben nach § 75 Abs. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aufgrund ihres Alters unterbleibt, und die Regelung im Zusammenspiel mit § 7 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 1 AGG auch das Verbot von wegen des Alters benachteiligenden Bestimmungen in Vereinbarungen enthält.

Benachteiligung wegen des Alters ist hinzunehmen

Das BAG betont in mittlerweile ständiger Rechtsprechung, dass Höchstbetragsklauseln bei Vorsehen eines Festbetrags grds. keine unmittelbare Diskriminierung i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 1 AGG enthalten, da sie nicht an das Alter an sich anknüpfen, sondern die Abfindung vielmehr für alle Arbeitnehmer:innen gleichermaßen altersunabhängig begrenzen. Die somit noch in Betracht kommende mittelbare Diskriminierung i.S.v. § 3 Abs. 2 AGG sei zwar regelmäßig nicht von der Hand zu weisen, wenn die Sozialplanabfindung umso höher ausfalle, je länger die Betriebszugehörigkeit sei, da eine längere Betriebszugehörigkeit in diesen Fällen wiederum – allein aufgrund der dafür erforderlichen Dauer des Erwerbslebens – regelmäßig mit einem verhältnismäßig hohen Lebensalter einhergehe, sodass Höchstbetragsklauseln „typischerweise“ geeignet seien, Arbeitnehmer:innen mit höherem Lebensalter zu benachteiligen.

Eine mögliche mittelbare Diskriminierung sieht das BAG jedoch regelmäßig nach § 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG dann als durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt an, wenn mit der Festlegung einer Höchstabfindung gerade dem Umstand Rechnung getragen werden soll, dass die für den Sozialplan zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel limitiert sind. In diesem Fällen stellt die Gewährung eines zukunftsbezogenen Ausgleichs im Sozialplänen entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Arbeitnehmer:innen sogar ein legitimes Ziel i.S.v. § 10 Satz 1 AGG dar, wenn er der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel (Verteilungsgerechtigkeit) Rechnung trägt (BAG, Urteil vom 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17).

Diese Grundsätze hat das BAG nun in zwei jüngeren Entscheidungen (BAG, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 1 AZR 562/21 und BAG, Urteil vom 3. März 2022 – 1 AZR 252/21) weiter gefestigt und präzisiert.

Was sagen die beiden Entscheidung?

Den Entscheidungen des 1. Senats lag zum einen ein von den Betriebsparteien vereinbarter Sozialplan mit einer von der Betriebszugehörigkeit abhängigen und nach Lebensalter gestaffelten Abfindungsleistung bleib gleichzeitiger Begrenzung der Gesamtabfindungsleistung auf EURE 75.000 brutto zugrunde, der zugleich auch auf die Leistungen aus einer Betriebsvereinbarung „Klageverzichtsprämie“ erstreckt wurde; zum anderen ein Spruch der Einigungsstelle über einen Sozialplan mit einer von der Betriebszugehörigkeit und altersunabhängig einheitlichem Faktor abhängigen Abfindungsleistung, die der Höhe nach auf EUR 230.000 brutto begrenzt war.

In beiden Fällen bejaht der 1. Senat im Ergebnis die Zulässigkeit beider Regelungen zunächst unter Hinweis auf die zu § 3 Abs. 2 AGG skizzierten Grundsätze – dabei geht das BAG auch ohne ausdrückliche Regelung im Sozialplan nahezu selbstverständlich davon aus, dass durch die von den Betriebsparteien resp. der Einigungsstelle vorgesehene Höchstbetragsklausel „ersichtlich dem Umstand Rechnung getragen werden soll, dass die für den Sozialplan zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel limitiert“ seien; da Abfindungen für ältere Arbeitnehmer aufgrund ihrer regelmäßig längeren Betriebszugehörigkeit typischerweise besonders hoch ausfallen, bezwecke und diene die Regelung mit der Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit sogar einem legitimen Ziel i.S.v. § 10 S. 1 AGG. Ebenso seien beide Regelungen zur Erreichung von Verteilungsgerechtigkeit geeignet, erforderlich und angemessen.

In aller Klarheit betont das BAG dabei nochmals: Sozialpläne haben eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die Betriebsparteien resp. die Einigungsstelle verfügen insoweit über einen Gestaltungsspielraum bei der Entscheidung, ob, in welchem Umfang und wie sie die von ihnen prognostizierten wirtschaftlichen Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen oder abmildern wollen. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Höchstbetragsklausel ist unter diskriminierungsrechtlichen Maßstäben insoweit lediglich, dass die zu erwartende Abfindung die durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehenden Nachteile zumindest spürbar abmildert – denn in diesen Fällen gehe es in der Sache gerade nicht um eine Benachteiligung, sondern im Gegenteil um eine Beschränkung der durch Sozialplanformeln typischerweise zulasten „jüngerer“ bewirkte Begünstigung älterer Arbeitnehmer:innen.

Was ist „neu“ und warum sind die Entscheidung wichtig für die Praxis?

In seiner Entscheidung vom 3. März 2022 stellt das BAG zusätzlich klar, dass an den vorstehenden Grundsätzen auch der Umstand nichts ändere, dass sich eine längere Betriebszugehörigkeit bei Arbeitnehmer:innen mit höherem Bruttomonatsentgelt schon zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr abfindungserhöhend auswirke als bei geringerem Einkommen – vielmehr könne berücksichtigt werden, dass ein höheres Einkommen mehr Möglichkeiten zur Eigenvorsorge für den Fall einer Arbeitslosigkeit biete.

Wirkliche „Sprengkraft“ für die in der Praxis verbreitete Vereinbarung von Höchstbetragsklauseln kommt jedoch der Entscheidung vom 7. Dezember 2021 bei: Denn die zuvor genannten Grundsätze können nicht (mehr) auf die in der Praxis ebenso verbreitete Vereinbarung entsprechender Klauseln in (gesonderten) Betriebsvereinbarungen über „Klageverzichtsprämien“ beibehalten werden, wonach Arbeitnehmer:innen zusätzliche Abfindungsleistungen für den Fall der Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage zugesagt werden. Eine solche Kappung auch der „Klageverzichtsprämie“ verstoße laut BAG vielmehr gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 BetrVG) – da der Arbeitgeber in allen Fällen die mit dem Klageverzicht beabsichtigte Planungssicherheit erhielte, sie diese auch bei an sich bereits überschrittener Höchstbetragsgrenze zu kompensieren. Hier wird als Folge der Entscheidung in der Praxis anstatt einer Erhöhung des Abfindungsfaktors künftig eher mit Festbeträgen zu rechnen sein.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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