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Mogeln für Bonusziele: variable Vergütung als Compliance-Risiko

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Laut einer Marktforschungsumfrage hat fast jeder Dritte am Arbeitsplatz schon einmal etwas Verbotenes getan, um seine Bonusziele zu erreichen. Nicht jede Schummelei führt dabei in einen Compliance-Skandal, das potenzielle Risiko ist aber enorm. Deshalb, und spätestens mit den ESG-Anforderungen an „nachhaltige Vergütungssysteme“, müssen Arbeitgeber umdenken.

28 Prozent haben mindestens einmal für ihren Bonus gemogelt

Auf die Frage der Marktforscher „Wie oft haben Sie in den letzten zwölf Monaten etwas Unerlaubtes getan, um Ihre Ziele (Boni, vorgegebene Zahlen) zu erreichen?“ antworteten 28 Prozent der 1.500 in Deutschland befragten Erwerbstätigen: „Ja habe ich.“ 14 Prozent gaben zu, sogar zweimal oder öfter etwas Verbotenes getan zu haben, berichtet die WiWo.

Nicht selten führen solche vermeintlichen Kardinalsdelikte in einen handfesten Compliance-Skandal, dieser wiederum in eine komplexe interne Untersuchung. Beispiele aus der Automobilbranche (Ziele zur Emissionssenkung), dem Finanzsektor (Verkaufssteigerungen) oder dem Energiebereich (Wachstumsziele) zeigen, dass nicht selten am Ende die Staatsanwaltschaft das letzte Wort hat, wie der Vorfall zu bewerten ist und wie tief das betroffene Unternehmen ist die Tasche greifen muss.

Sind individuelle Ziele besser als Gruppenziele?

Bei welcher Art von Zielen eher gemogelt wird – Gruppenziele oder individuelle Ziele – fragten die Marktforscher nicht. Es wundert also weiterhin, wie sonst ehrliche Zeitgenossen am Arbeitsplatz zu Betrügern werden. Eine mögliche Erklärung wäre, dass Arbeitgeber vermehrt auf Gruppenziele zu wirtschaftlichen Erfolgen und Kennzahlen setzen, statt individuelle Leistungsziele zu definieren. Der Einzelne könnte eher geneigt sein, beim Erreichen eines Gruppenziels zu schummeln als bei einem ganz individuellen Ziel, für das er oder sie allein einstehen muss (so z.B. die Stanford Professorin Margaret Steen oder die Harvard Business Review). Der Einzelne hat ein Gewissen und ein Unrechtsbewusstsein, die Gruppe nicht.

„Das haben alle so gemacht“ als Ticket zum komplexen Compliance-Fall

Gruppenziele, die sich an wirtschaftlichen Kennzahlen orientieren führen oft dazu, dass sich ein „verbotener“ modus operandi als Schattenkultur im Unternehmen etabliert. Die Tatsache, dass „alle das so machen“ zerstreut jeden Zweifel bei den Betroffenen. E-Mails mit Formulierungen wie „wie immer gilt: offiziell dürfen wir das gar nicht…“ und ähnlichem brennen sich ohne weiteres Unrechtsbewusstsein für immer im IT-System ein. Es beruft sich einer auf den anderen, am Ende folgt der Fingerzeig auf ein „Organisationsverschulden“.

Dass dies kein theoretischer Bad Case ist, zeigen prominente Fälle aus der Wirtschaftskriminalität. Sie führen immer zu Compliance-Untersuchungen, die sehr komplex und langwierig sind und gleichzeitig zu einem enorm hohen Druck auf die Unternehmensführung, die gegenüber der Staatsanwaltschaft und Behörden Rechenschaft ablegen muss. Gerade die Vielzahl an involvierten Mitarbeitern macht es zur arbeitsrechtlichen Herausforderung, die Abfolge der Untersuchung (Einbeziehung des Betriebsrats, Mitarbeiterbefragungen, personelle Maßnahmen) vorausschauend zu planen und am Ende auch für den Ausspruch außerordentlicher Kündigungen das richtige Timing zu finden.

Nachhaltigere Vergütungsmodelle als Compliance-Maßnahme?

Wer als Arbeitgeber über nachhaltigere Vergütungsmodelle insgesamt und die Abschaffung von (wirtschaftlichen) Gruppenzielen im Besonderen nachdenkt, schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen dürfte sich das Risiko folgeschwerer „Mogeleien“ erheblich senken. Zum anderen dürfte mit dem bedachten und individualisierten Einsatz von Bonuszielen auch den Themen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung gedient sein, die spätestens jetzt aufgrund der Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive – kurz CSRD oder ESG) bei vielen Unternehmen auf die Agenda rücken.

Dass Bonusziele dabei nicht „einfach nur grün“ sein müssen, um den ESG-Anforderungen zu entsprechen, führen die Buchstaben „S“ für soziale Aspekte und „G“ für die Einhaltung gesetzlicher Regelungen und Offenlegungspflichten vor Augen. Ein „nachhaltiges Vergütungssystem“ verlangt nicht nur, dass Ziele wie z.B. die Erhöhung des Anteils von Recyclingmaterial künftig berücksichtigt werden. Es verlangt auch, dass „soziale Kriterien“ wie Diversität, Gesundheitsschutz, Zusammenarbeit und Zufriedenheit in den Katalog der Bonusziele aufgenommen werden – ebenso wie „G“-Ziele d.h. also beispielsweise die Förderung ethischer Geschäftspraktiken.

Fazit

Bonusziele, die vor allem wirtschaftliche Kennzahlen im Auge haben, sind ein handfestes Compliance-Risiko. Sollen Vergütungssysteme nicht grundlegend überdacht werden, müsste es jedenfalls Aufgabe der Compliance-Abteilung sein, Zielsetzungen und Zielerreichung zu kontrollieren – schon allein wegen des enormen Risikos, dass Mitarbeiter dem Bonus zuliebe „schummeln“. Besonders nachhaltig ist diese Art von Symptombehandlung im wahrsten Sinne des Wortes jedoch nicht. Denn soweit die ESG-Richtlinie nicht schon ohnehin aufgrund sozialer und umweltbezogener Aspekte ein Umkrempeln von Bonuszielen verlangt, so werden spätestens die „Governance“-Anforderungen den herkömmlichen, wirtschaftlich getriebenen Gruppenzielen ein Ende bereiten.

Katja Giese, LL.M.

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht / Attorney-at-Law (NY)
Partner
Katja Giese berät Arbeitgeber vor allem in Zusam­men­hang mit inter­na­tio­na­len Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen, der anschlie­ßenden Integration und Umstruk­tu­rie­run­gen. Sie verfügt außerdem über umfassende Erfahrungen im inter­na­tio­na­len Projektmanagement. Katja Giese ist zugelassen als Attorney-at-Law (NY) in den Vereinigten Staaten, wo sie Teile ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn verbrachte. Besondere Branchenkenntnis besitzt sie im Technologiesektor.
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