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Übergangszeitraum bis zur BVerfG-Entscheidung: Altersfreizeitanträge von Teilzeitbeschäftigten

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Sie ist ein alter Zankapfel: die Altersfreizeit nach Manteltarifvertrag Chemie bei Teilzeitbeschäftigten. Denn nach der tarifvertraglichen Regelung entfällt Altersfreizeit für Teilzeit-Arbeitskräfte, deren Arbeitszeit zweieinhalb Stunden oder mehr unter der regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit liegt. Doch das BAG hatte diese Regelung 2019 wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot für nichtig erachtet und gekippt. Das wiederum hält der Arbeitgeberverband BAVC für verfassungswidrig und hat Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe erhoben. Eine Orientierung, wie bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit entsprechenden Altersfreizeitanträgen umgegangen werden kann, gibt dieser Beitrag.

Welche Teilzeitbeschäftigten sind von der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung betroffen?

Von der Entscheidung des BAG und damit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind nicht alle Arbeitnehmer:innen in Teilzeit betroffen. Betroffen sind nur Arbeitnehmer:innen, deren regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 35 Stunden oder weniger umfasst. Diese haben nach der am 23. Juli 2019 ergangenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts gemäß § 2a Ziffer 1 Abs. 2 Satz 2 MTV Chemie i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG einen entsprechend ihrer Arbeitszeit anteilig zu kürzenden Anspruch auf Altersfreizeit. Denn die Regelung des MTV diskriminiert ungerechtfertigt Teilzeitbeschäftigte – so das BAG.

Eine solche Diskriminierung kann nur durch eine „Anpassung nach oben“ beseitigt werden. Für Teilzeitbeschäftigte, deren tägliche Arbeitszeit hingegen zwischen 35 Stunden und der regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 37, 5 Stunden liegt, ist die Entscheidung nicht relevant. Deren Anspruch folgt bereits aus § 2a Ziffer 1 Abs. 2 S. 1 MTV Chemie.

Ebenfalls nicht betroffen von der Entscheidung sind Arbeitnehmer:innen in Altersteilzeit (§ 9 Ziffer 3 Abs. 5 Tarifvertrag Lebensarbeitszeit und Demografie).

Übergangsregelung: gemeinsame Erklärung der Tarifvertragsparteien vom 18. November 2019

Um der durch die Erhebung der Verfassungsbeschwerde verursachten Unsicherheit im Umgang mit Altersfreizeitansprüchen von Teilzeitbeschäftigten zu begegnen, haben die Tarifvertragsparteien für die Zeit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einer gemeinsamen Erklärung Folgendes vorgeschlagen:

Teilzeitbeschäftigte, die nach dem Urteil des BAGs nun Anspruch auf Altersfreizeiten haben, erhalten diese anteilig. […] Der Arbeitgeber kann diese Altersfreizeiten bis zur abschließenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde den jeweiligen Arbeitszeitkonten der Teilzeitbeschäftigten vorläufig gutschreiben. Abhängig vom Ausgang des Verfahrens werden die angesammelten Altersfreizeiten entweder nachträglich gewährt oder das nicht gerechtfertigte Arbeitszeitguthaben wird wieder in Abzug gebracht.

Demnach können Unternehmen die nach der Rechtsprechung des BAGs zu gewährenden Altersfreizeiten für Teilzeitbeschäftigte mit weniger als einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden den jeweiligen Arbeitszeitkonten vorläufig gutschreiben.

Tipps zum Umgang mit Anträgen von Teilzeitbeschäftigten, die Altersfreizeit nach § 2a Abs. 1 S. 1 MTV Chemie beantragen

Zunächst sollte vorab geprüft werden, welche Art der Teilzeitbeschäftigung vorliegt. Im Hinblick auf den Antrag der verschiedenen Teilzeitbeschäftigten kann wie folgt vorgegangen werden:

  • Anträge auf Altersfreizeit von Arbeitnehmern in Altersteilzeit können abgelehnt werden.
  • Bei allen anderen Anträgen auf Altersfreizeit sollte geprüft werden, in welchem Umfang Teilzeit ausgeübt wird:
    • Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit über 35 Stunden ist Altersfreizeit anteilig nach § 2a Ziffer 1 Abs. 2 S. 1 MTV Chemie zu gewähren.
    • Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit unter 35 Stunden sollte auf die noch ausstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen werden. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann diesen Beschäftigten gemäß der gemeinsamen Erklärung der Tarifvertragsparteien vom 18. November 2019 anteilig Altersfreizeit auf deren Arbeitszeitkonten gutgeschrieben werden.

Je nachdem, wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausfallen wird, sollte die Altersfreizeit dann später in natura gewährt oder auf dem Arbeitszeitkonto in Abzug gebracht werden.

Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung von Lara Halm (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Düsseldorfer Büro) entstanden.

Juliane Bähr


Rechtsanwältin
Associate
Juliane Bähr berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät sie ihre Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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